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Gastbeitrag: Schwellenländeranleihen - Überraschungen bei zwei Wirtschaftsindikatoren könnten die Aussichten prägen

Die starke Entwicklung der US-Wirtschaft und die weltweit rasch nachlassende Inflation – zwei Wirtschaftsindikatoren, die 2023 bislang nach oben überrascht haben – dürften sich bis weit ins nächste Jahr hinein positiv auf Schwellenländeranleihen auswirken.

Ricardo Adrogué

Das reale BIP-Wachstum der USA verstärkte sich im zweiten Quartal auf eine Jahresrate von 2,4% gegenüber 2,0% im ersten Quartal dieses Jahres (Quelle: U.S. Bureau of Economic Analysis. Stand: 30. Juni 2023). Die Erholung in China geriet dagegen ins Stocken und das Wachstum im Euroraum belief sich im zweiten Quartal auf nur 0,3% – angesichts der unter den Erwartungen gebliebenen Belastungen durch den Russland-Ukraine-Krieg für die Energiekosten eine eher überraschende Entwicklung (Quelle: Eurostat. Stand: 30. Juni 2023). Unter der Annahme, dass die USA in nächster Zeit weiterhin die globale Wirtschaftstätigkeit ankurbeln, dürften Mittelamerika, die Karibik und natürlich Mexiko die größten Nutznießer sein, während auch andere Schwellenländer Zuwächse verzeichnen sollten – alles positive Faktoren für Staats- und Unternehmensanleihen aus Schwellenländern.

Vielleicht noch größere Auswirkungen hat das unerwartete Nachlassen der weltweiten Inflation. Es ist nicht auszuschließen, dass die Inflation Anfang 2024 kein Thema mehr sein wird. Bezeichnenderweise war die jährliche Inflation in den Schwellenländern Mitte 2023 niedriger als die durchschnittliche Inflation der Industrieländer (Quelle: S&P Global Market Intelligence. Stand: 11. August 2023).

Die Zentralbanken einiger Schwellenländer haben bereits erste Zinssenkungen vorgenommen, wobei Costa Rica, die Dominikanische Republik, Ungarn, Uruguay, Chile und Brasilien hier die Vorreiter sind. Es sollte nicht überraschen, wenn die Zentralbanken der meisten anderen Schwellenländer die Zinsen noch vor Jahresende und die Notenbanken der Industrieländer ihre Zinsen kurz danach herabsetzen werden.

Die Regierungen der Schwellenländer befinden sich im Vorfeld dieses Wandels in solider Verfassung, da sie den sozial problematischen Inflationsdruck der letzten Zeit gut gemeistert und generell eine populistische Politik vermieden haben. Als Reaktion auf Corona haben die Schwellenländer eine robustere Geldpolitik und eine konservativere Finanzpolitik verfolgt als die Industrieländer. Folglich nähert sich die Inflation in den Schwellenländern praktisch der Inflation in den Industrieländern an. Der Schuldenstand der Schwellenländer hat im Verhältnis zum BIP wieder das Niveau der Zeit vor der Pandemie erreicht, wobei die Abhängigkeit von ausländischen Ersparnissen relativ gering ist. Trotz einiger Ausfälle und Notlagen, die für Schlagzeilen sorgten, ist die überwiegende Mehrheit von Schwellenländeranleihen mit Investment-Grade- und BB-Ratings bewertet und steht auf einer sehr soliden Basis.

Anlagechancen bei Schwellenländeranleihen
Bei den Staatsanleihen der Schwellenländer dürfte die wahrscheinliche Entwicklung des US-Dollars und der lokalen Zinssätze der Schwellenländer den hoch bewerteten Emittenten in Hartwährung Rückenwind verleihen. Nationen mit starken Institutionen, stabilen politischen Rahmenbedingungen und einem politischen und gesellschaftlichen Konsens über makroökonomische Stabilität dürften am besten abschneiden. Trotz der Führung durch Mitte-Links-Präsidenten hat sich diese Dreierkombination zum Beispiel in Brasilien, Chile, Kolumbien und Peru für Rentenanleger gut bewährt. Auch Länder wie Albanien und Serbien, deren Institutionen und politische Strategien durch ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union oder ihren Status als EU-Beitrittskandidaten verankert sind, sollten profitieren.

Bei Unternehmensanleihen aus Schwellenländern dürfte sich die weit verbreitete Annahme, dass höhere Refinanzierungskosten zu steigenden Ausfällen führen, als falsch herausstellen, wenn die Zentralbanken der Industrieländer Anfang nächsten Jahres allmählich die Zinsen senken. Angesichts des sich aufhellenden wirtschaftlichen Umfelds und der nachlassenden Inflation haben Unternehmensemittenten aus den Schwellenländern vermehrt Transaktionen durchgeführt, die Kündigungsoptionen, Rückkaufangebote und Rückzahlungen beinhalten. Folglich gelingt es mehr High-Yield-Emittenten, ihre Schulden zu verlängern, zu tilgen beziehungsweise zu refinanzieren, als ursprünglich angenommen wurde. Wichtig sind auch die Rohstoffpreise, die zwar im Jahresvergleich gefallen sind, aber immer noch über dem langjährigen Durchschnitt liegen (Quelle: Bloomberg. Stand: 31. August 2023). Infolge der Preisentwicklung der letzten Zeit ist der Umsatz von Rohstoffproduzenten gesunken, doch andere Schwellenländerunternehmen konnten von niedrigeren Produktionskosten profitieren.

In Anbetracht des Rückenwinds durch eine stärkere US-Wirtschaft, eine rasch sinkende Inflation und niedrigere Zinsen sind die Aussichten für Schwellenländeranleihen gut.

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*) Ricardo Adrogué, Head of Global Sovereign Debt and Currencies