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„Die Pandemie hat uns mehr denn je bewusst gemacht, dass die Welt ein anderes ‚Geschäftsmodell‘ braucht“

Inwieweit hat die Corona-Krise geholfen, den Blick auf ESG und Impact Investing zu schärfen? IPE D.A.CH bat Huub van der Riet, Lead Portfolio Manager Impact Equity bei NN Investment Partners, um eine Einschätzung.

Huub van der Riet

IPE D.A.CH: Wie kann Impact Investing eine nachhaltige und umweltfreundliche Erholung von der Corona-Pandemie ermöglichen? Welche spezifischen Bereiche der Wirtschaft können so unterstützt werden?
van der Riet: Selbst als großflächige Lockdowns die Welt im Jahr 2020 zum Stillstand brachten, verschärfte sich die Klimakrise weiter. Viele Länder verzeichneten ein weiteres Jahr mit Rekordtemperaturen und zunehmenden Naturkatastrophen. Jetzt richtet sich die Aufmerksamkeit auf die UN-Klimakonferenz (COP26) und auf die neue US-Regierung, deren Präsident Biden kürzlich das Pariser Abkommen erneut ratifiziert hat.
Wir sind uns der Tragweite dieser Krise bewusst. Impact-Investing-Strategien können dabei helfen, Unternehmen zu identifizieren, die den Klimawandel mit Lösungen für eine grüne Energiewende, kohlenstoffarme Technologien und erneuerbare Energien aktiv bekämpfen. Beim Impact Investing geht es darum, in Lösungen zu investieren, die die Welt besser machen und Unternehmen auszuwählen, die Kapital zur Lösung gesellschaftlicher Probleme bereitstellen, wie in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) festgelegt.
Die Pandemie schärfte auch das gesellschaftliche Bewusstsein für die positiven Auswirkungen von gesunden Lebensmitteln und einem aktiven Lebensstil. Das Arbeiten im Homeoffice und die Disintermediation des Sportunterrichts haben die Akzeptanz von Software- und Online-Lösungen erhöht. Darüber hinaus hat sich der digitale Zahlungs- und Datenverkehr beschleunigt, was höhere Investitionen in die Infrastruktur für zuverlässige und effiziente Netzwerke erfordert. Corona hat auch die Digitalisierung in der klinischen Entwicklung beschleunigt, und der Prozess wie Studien durchgeführt werden, hat sich weiterentwickelt. Der Einsatz von Technologie hat sich auch bei der Patientenbehandlung verändert und zu einem zunehmenden Einsatz von Telemedizin geführt, um die Vernetzung zwischen Ärzten zu verbessern.
Ein Aktienbeispiel ist das niederländische Unternehmen Alfen. Die Geschäftstätigkeit von Alfen liegt im Zentrum der Energiewende. Das Unternehmen entwirft, entwickelt und produziert intelligente Stromnetze, Energiespeichersysteme und Ladestationen für Elektrofahrzeuge, die es zu integrierten Lösungen kombiniert. Das Unternehmen trägt mit seinen Geschäftsfeldern dazu bei, eine dringend benötigte Infrastruktur für erneuerbare Energien aufzubauen, die es den Verbrauchern ermöglicht, von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzusteigen. Das Unternehmen erschließt zudem schnell wachsende Märkte: Der weltweite Bestand an Elektrofahrzeugen wird jährlich um 36% wachsen und bis 2030 245 Mio. Fahrzeuge zählen. Der Markt für erneuerbare Energien wird dank steigender Kosteneffizienz und wachsender Verbrauchernachfrage jährlich um mehr als 5% wachsen.

IPE D.A.CH: Hat die Pandemie die Sichtweise auf Impact Investing verändert? Welche Bereiche haben dadurch an Relevanz gewonnen?
van der Riet: Die Ereignisse des Jahres 2020 rückten einige der größten gesellschaftlichen Herausforderungen in den Mittelpunkt und veränderten die Sichtweise auf viele Themen. Die Pandemie hat Impact Investing nicht verändert, aber die Notwendigkeit von Impact Investing beschleunigt. Sie hat uns mehr denn je bewusst gemacht, dass die Welt ein anderes „Geschäftsmodell“ braucht – eines, das inklusiver ist und alle relevanten Stakeholder einbezieht. Vor allem aber hat die Pandemie Ungleichheiten aufgedeckt und soziale Fragen in den Mittelpunkt gerückt. Ein soziales Problem, das die Pandemie hervorgehoben hat, ist die Gesundheitsversorgung. Die künftige Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens ist durch eine alternde Bevölkerung, Fettleibigkeit und einen ungesunden Lebensstil bedroht. Insgesamt führt dies zu einer höheren Nachfrage und steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Die Corona-Pandemie hat dieses Risiko erhöht und die Notwendigkeit eines gerechteren Zugangs zur Gesundheitsversorgung ins Rampenlicht gerückt. Denn ärmere Gemeinden waren von der Pandemie stärker betroffen als wohlhabendere. Da Prävention effektiver und leichter zugänglich ist als eine Heilmethode, konzentrieren wir uns auf Unternehmen, die einen gesünderen Lebensstil fördern. Außerdem engagieren wir uns bei Pharmaunternehmen für einen gleichberechtigten Zugang zur Medizin. Besonderes Augenmerk legen wir auch auf Life-Science- und Genomik-Unternehmen, die bei der Identifizierung potenzieller neuer Krankheiten von entscheidender Bedeutung sein könnten.
Auch das Bewusstsein für Ungleichheit ist im Jahr 2020 sprunghaft angestiegen. Die Pandemie hat die Unterschiede zwischen und innerhalb von Industrie- und Entwicklungsländern in Bezug auf ihre Fähigkeit, mit den Lockdowns und den unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu Impfstoffen umzugehen, aufgedeckt. Auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wurde deutlich: Frauen haben die wirtschaftliche Hauptlast der Krise getragen, da die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzverlustes während der Pandemie bei ihnen 1,8 Mal höher war als bei Männern. Viele der Unternehmen, in die wir investieren, arbeiten aktiv an der Reduzierung der Ungleichheit in ihren Lieferketten. Wir sind uns bewusst, dass soziale Gleichheit zu einer nachhaltigeren und wohlhabenderen Welt für alle Beteiligten führt.
Das vergangene Jahr hat uns auch näher an ökologische Wendepunkte gebracht. Wie wir diese Herausforderungen jetzt angehen, wird die Entwicklung der Welt für die nächsten Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte bestimmen. Diese Entwicklungen spiegeln sich in der Kundennachfrage wider und unterstreichen die zunehmende Relevanz von Impact Investing. Biodiversität ist dabei für uns ein Schwerpunktthema. 2020 warnten die Vereinten Nationen, dass die Menschheit in Bezug auf die biologische Vielfalt an einem Scheideweg steht. Abholzung, Umweltverschmutzung, Klimawandel und Raubbau an der Natur haben den Artenreichtum auf unserem Planeten stark gefährdet. Die biologische Vielfalt ist die Grundlage für die Gesundheit unseres Planeten. Ohne sie ist die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser und damit die Zukunft der Menschheit ernsthaft in Gefahr. Wir zählen zu den ersten Finanzdienstleistern, die den „Finance for Biodiversity Pledge“ unterzeichnet haben. Wir halten Ausschau nach Unternehmen, die Lösungen für die Probleme der Nahrungsmittelversorgung und des Wassermanagements anbieten. Im Rahmen unseres Engagements befragen wir Unternehmen auch zu ihrer Biodiversitätspolitik.

IPE D.A.CH: Welche Verpflichtungen und Initiativen sehen wir dazu in Europa als Teil der Anstrengungen zur Erholung, um einen positiven sozialen Impact zu erzeugen?
van der Riet: Die Verpflichtungen und Initiativen, die auf den Wiederaufbau nach der Pandemie abzielen, sind vielfältig und umfassen eine Reihe von sozialen und ökologischen Themen. Die Europäische Union hat ein Konjunkturprogramm in Höhe von 750 Mrd. Euro verabschiedet, das in den nächsten fünf Jahren für Forschung und Innovation, Klimawandel, digitale Lösungen und ein neues Gesundheitsprogramm ausgegeben werden soll. Das Paket wird sich auch mit der Ernährungssicherheit befassen, da es die nachhaltige Landwirtschaft, den Klimawandel, die biologische Vielfalt und die Gleichstellung der Geschlechter fördert.
Großbritannien wird vom 31. Oktober bis 12. November 2021 Gastgeber der 26. UN-Klimakonferenz der Vertragsparteien (COP26) in Glasgow sein. Dieser Gipfel wird wahrscheinlich zu einer Reihe neuer Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels führen und das Momentum für grüne Energiequellen unterstützen. Es wird erwartet, dass die Europäische Kommission in diesem Sommer Ziele für erneuerbare Energien in der Industrie und in Gebäuden festlegen wird. Deutschland kündigte Pläne an, seine Ziele für 2030 für Solar- und Windenergie nach oben zu korrigieren, um die höheren CO2-Reduktionsziele der EU zu erfüllen.
Diskussionen über die Politik in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Lebensstil gewinnen im Umfeld der Pandemie ebenfalls an Bedeutung. So forderte das Council of Public Health & Society, ein unabhängiges Beratungsgremium für Regierung und Parlament in den Niederlanden, ein Verbot von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die Einführung einer „Zuckersteuer“ und die Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse. Außerdem spricht sich das Gremium dafür aus, den Kommunen zu erlauben, Fast-Food-Restaurants und Imbissbuden aus bestimmten Gebieten zu verbannen. In Gesamteuropa besteht ein eindeutiger Bedarf an höheren staatlichen Ausgaben für die präventive Gesundheitspolitik. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Gesundheitsprobleme mit allgemeineren gesellschaftlichen Problemen wie Armut, Arbeitslosigkeit und einer geringeren Lebenserwartung für die ärmeren Bevölkerungsschichten verknüpft sind. Wir gehen davon aus, dass der Druck auf die Regierungen in Europa zunehmen wird, Maßnahmen zu ergreifen, die eine gesunde Lebensweise fördern und ungesunde Ernährungsweisen und Lebensstile verhindern.