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Kommentar: Infrastructure Debt und ESG - Frühe Risikobewertung in der Projekt-Due Diligence als Schlüssel zum Erfolg

Der Infrastrukturbereich in Deutschland steht vor gleich mehreren gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen. Zum einem liegt die Modernisierung der Verkehrswege vor allem auf der Schiene weit zurück. Die Pandemie hat zudem gezeigt, dass wir beim Ausbau von Glasfasernetzen und der längst fälligen Digitalisierung von Bildung und Verwaltung im europäischen Vergleich nicht Schritt halten können. In der schulischen Bildung ist die digitale Versorgungslücke besonders eklatant, doch auch bei Unternehmen gibt es Nachholbedarf bei der Verwendung von Plattformdiensten oder der Umsetzung hybrider Arbeitsmodelle. Es ist aber vor allem die zwingend erforderliche Energiewende zur Erreichung der Pariser Klimaziele 2050, die uns vor große Aufgaben stellt: Der Ausbau regenerativer Energien und die Entwicklung von technischen Lösungen zur CO2-Bindung und Speicherung sind nur zwei Beispiele. Für Investoren gilt in dem Zusammenhang zunehmend ESG-Kriterien bereits im Anfangsstadium einer Projektplanung zu berücksichtigen. Klar ist: Ohne innovative Zukunftstechnologien wird der Weg zur Klimaneutralität nicht zu beschreiten sein. Für Anleger ist das eine gute Nachricht – denn für sie tun sich erhebliche Investitionschancen auf.

Thomas Bayerl

Benjamin Hemming

Gewaltiger Investitionsstau
Allein in Deutschland bewegt sich der geschätzte Investitionsbedarf über die kommenden fünf Jahre in den einzelnen Bereichen von Bildung bis Verkehr im niedrigen dreistelligen Milliardenbereich. Für Europa sieht der Juncker-Plan ein Investitionsvolumen im hohen dreistelligen Milliardenbereich vor. Und auch in den USA hat Präsident Biden ein milliardenschweres Programm im Infrastrukturbereich angekündigt. Der immense Erneuerungsbedarf und die genannten Programme werden in den kommenden Jahren für einen steten Strom neuer Ausschreibungen und Projekte sorgen, für deren Umsetzung die private Bereitschaft zur Finanzierung und Investition dringend benötigt wird. Die Staaten und supranationale Organisationen können und sollten diese Schuldenlast mit Blick auf zukünftige Generationen nicht allein schultern.

ESG-Kriterien sind essentiell
Schon heute gilt: ESG-Kriterien nehmen für Vermögensverwalter bei der initialen Prüfung aber auch beim laufenden Monitoring von Infrastrukturprojekten eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Ihre Berücksichtigung wird kontinuierlich ausgebaut, intensiver in der Due Diligence der Investitionen betrieben und ist fest im Investitionsprozess verankert. Die Ergebnisse aus der ESG-Prüfung sollten in einem nächsten Schritt vom Front Office, wie auch funktionsunabhängig vom Risikomanagement, in den Entscheidungsvorlagen dokumentiert und dem Investment Committee vorgelegt werden. So haben alle Entscheidungsinstanzen volle Transparenz über Chancen und Risiken einer Investition – nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern eben auch im Hinblick auf ESG-Kriterien. Eine Steuerung größerer Investmentportfolien im Infrastrukturbereich kann somit gezielter unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und transparenter Governance erfolgen.

Wesentlich ist hierbei unter anderem die Analyse von Fragen zu Umwelteinwirkungen auf das Projekt (Outside-In) und Auswirkungen eines Infrastrukturprojekts auf Mensch und Natur (Inside-Out). Im Zuge steigender Anforderungen an die Transparenz werden immer mehr relevante Daten erhoben und ausgewertet. Am Ende bedarf es dabei einer Gesamtschau auf mögliche Konsequenzen einer Investition. Anhand der folgenden zwei Praxisbeispiele zeigt sich, wie wichtig eine umfassende ESG-Risikobewertung bereits zur Projekt-Due Diligence für Investitionsentscheidungen sein kann.

Beispiele aus der Anlagepraxis: Autobahn & Rechenzentrum
Die Finanzierung von Autobahnen im Rahmen eines PPP-Modells ist ein „Klassiker“ im Bereich Infrastruktur-Investments. In Finnland erfolgte beispielsweise in 2014 eine Ausschreibung für den Bau sowie den langfristigen Betrieb eines Autobahnteilstücks der E18. Der Streckenabschnitt gehört zu den Transeuropäischen Verkehrsnetzen (TEN-V), einer EU-Initiative zur engeren Zusammenführung der Mitgliedstaaten. Das Teilstück ist deswegen hinsichtlich des Buchstaben S in ESG hoch eingewertet. Doch während der Due Diligence des Projekts galt es kritisch zu beurteilen, dass die Autobahn durch ein Gebiet verlaufen würde, in dem eine geschützte Tierart verbreitet ist. Die Streckenführung war bereits so beplant, dass sie den geringsten Einfluss auf die umliegenden Habitate der nordeuropäischen Gleithörnchen nimmt. Die finnischen Behörden hatten zudem entschieden, dass das verbleibende Habitat geschützt und geordnet umgesiedelt werden musste, bevor mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Die Entscheidung für die Autobahn war mit Blick auf den Tierschutz somit abgesichert. Mit Hilfe von Experten wurde der Bestand der betroffenen Gleithörnchen erhoben, diese eingefangen und in einem neuen, für geeignet befundenen Areal wieder ausgesetzt. Somit ließen sich Tierschutz und Kohäsion in der EU ideal miteinander vereinen.

Eher neu ist hingegen die Finanzierung großer Rechenzentren. Im konkreten Fall ging es um einen sogenannten Hyperscaler in den Niederlanden. Hyperscaler sind bei laufendem Betrieb substantielle „Stromfresser“, es ist daher vorteilhaft und wichtig, dass hierfür möglichst emissionsfrei erzeugter Strom aus Erneuerbaren Energien genutzt wird. Gleichzeitig müssen Hyperscaler gekühlt bzw. innerhalb bestimmter Temperaturbereiche betrieben werden. Dennoch wurde im Rahmen der ESG-Prüfung gezeigt, dass die zukunftsweisende digitale Infrastruktur des Projekts mit Klimaschutzzielen vereinbar ist. Das Design sowie passive Kühlelemente des Gebäudes tragen maßgeblich zur energieschonenden Kühlung der Serveranlagen bei. Künftig ist bei vergleichbaren Rechenzentren zudem denkbar, dass die Abwärme weiterverwendet wird, indem sie in Fernwärmenetze eingespeist oder für die Beheizung von angrenzenden Gewächshäusern oder Aquakulturen genutzt wird. Gleichzeitig sollte die Errichtung eines Rechenzentrums in einem dicht besiedelten Gebiet nicht zu Lasten von Wohnraumflächen gehen. In dem vorliegenden Beispiel ist der Standort ein ehemaliges Hafengebiet, für das keine Wohnbesiedlung zugelassen ist.

Private Investoren liefern Beitrag zum Klimaschutz
Die Analyse von Transaktionen unter ESG-Aspekten ist bereits heute essenziell und muss zudem immer wieder den steigenden regulatorischen Anforderungen angepasst werden. Ja, mehr noch: Mit Blick auf die Pariser- und die aktuellen COP26-Klimaziele wird nachhaltiges Investieren von überragender Bedeutung für den Kapitalmarkt und seine Akteure sein. Doch der Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis 2050 ist ambitioniert. Für Investitionstätigkeiten im Infrastrukturbereich bedeutet das, sich mit noch mehr Nachdruck auf CO2-neutrale Industrie- und Produktionsanlagen, Carbon-Capture, alternative Antriebe und neue Formen der Energiegewinnung zu konzentrieren. Dazu zählen zukünftig etwa CO2-Filteranlagen, Produktion und Verteilung von Wasserstoff und fortgeschrittenere Verfahren im Recycling von Wert- und Rohstoffen. Auch digitale Infrastruktur, wie der Ausbau von Glasfaser- oder 5G-Netzen, bietet relevante Anlagemöglichkeiten.

Es steht in unserer Verantwortung, diese Zukunftsprojekte zu finanzieren. Sie ermöglichen es privaten Investoren, eine intakte und zukunftsfähige Infrastruktur zu schaffen – bei gleichzeitiger Berücksichtigung gesellschaftlicher Ziele. Die Chancen dieser Investitionen sind auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten immens. Um sie zu nutzen, ist eine profunde ESG-Expertise jedoch unumgänglich – und zwar in jeder Phase eines (möglichen) Investments.

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*) Thomas Bayerl, Head of Illiquid Assets Debt, und Benjamin Hemming, Head of Infrastructure Debt, MEAG