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Kommentar: Indexanlagen – viele Wege führen zur ESG-Integration

Indexfonds sind aus institutionellen Portfolios nicht mehr wegzudenken. Doch wer in die so genannten passiven Vehikel investiert, ist nicht notwendigerweise auch ein passiver Anleger. Auch bei Indexfonds treffen Investoren bewusste Entscheidungen für oder gegen bestimmte Anlageklassen und -strategien – und auch Indexfonds können in eine verantwortungsbewusste Investmentstrategie anhand der ESG-Kriterien eingebunden werden.

Volker Kurr

Fadi Zaher

Durch die Auswahl des Indexes können Anleger zum Beispiel ein Engagement in Unternehmen ausschließen, die mit ihren eigenen Werten in Konflikt stehen. Sie können weiterhin durch Untergewichtung im Portfolio die von den Portfoliounternehmen emittierte CO2-Menge reduzieren oder einen größeren Teil ihres Kapitals an Unternehmen mit höherer Diversität in den Führungsteams oder einer besseren Unternehmensführung allokieren.

Dabei gilt jedoch zu beachten: Bei Indexanlagen ist das, was erreicht werden soll, in hohem Maße abhängig von der Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Indexfonds sind regelbasiert und wenn ESG-Strategien entwickelt werden sollen, müssen Anleger verstehen, wie diese Regeln funktionieren.

Von Ausschluss bis Tilting
Zur Integration von ESG-Kriterien in einen Index kommen üblicherweise drei Methoden zum Einsatz:

Ausschluss: Das Ausschluss-Verfahren – oder Negativ-Screening – war in der Vergangenheit die gängigste Methode, um bestimmte Unternehmen oder Branchen in einem Index zu vermeiden. Typisch ist vor allem der Ausschluss von Tabak, Alkohol, Glücksspiel, fossilen Brennstoffen und Waffen. Die Vorteile: Ein solcher Ansatz ist transparent und wirkungsvoll. Zudem sind Anleger beruhigt, die sicher sein wollen, nicht in derartige Sektoren investiert zu sein.

Allerdings kann diese Methode das Profil des Portfolios in erheblichem Maße verändern, wenn der ausgeschlossene Sektor oder Emittent ein wesentliches Gewicht im Mutterindex hat. Folglich neigt der Index bei einer hohen Zahl von Ausschlüssen dazu, von der Erzielung marktähnlicher Renditen und auch eines marktähnlichen Risikoprofils abzuweichen. Wenn Anleger die Ausschlussmethode anwenden, können sie außerdem nicht positiv auf Unternehmen einwirken oder diese wegen Verstößen gegen ein nachhaltiges Verhalten zur Verantwortung ziehen.

Optimierung: Dieser Ansatz zielt darauf ab, den ESG-Score oder das Rating eines Index zu maximieren. Nützlich ist dies für Investoren, die nach Vorreitern im Bereich ESG suchen oder nach Unternehmen, die sich an den Best Practices orientieren. Im Gegensatz zum Ausschlussprinzip werden durch die Optimierung Wertpapiere eher über- oder untergewichtet, anstatt sie zu entfernen, um ein ESG-Ergebnis zu erreichen, das an Tracking-Error-Ziele oder ein aktives Risikobudget gebunden ist.

Darüber hinaus kann die Optimierung auch recht effizient sein, wenn sie auf eine Indexstrategie angewendet wird, bei der mehrere Ziele gleichzeitig erfüllt werden müssen, wie etwa die Einhaltung von Benchmarks zur Bekämpfung des Klimawandels im Sinne des Pariser Klimaabkommens. So könnte ein für diese Ziele optimierter Index folgende Einschränkungen gleichzeitig aufweisen:
*ein Tracking-Error-Ziel;
*Reduzierung der Kohlenstoffintensität um 50% von Beginn an und um weitere 7% in jedem folgenden Jahr;
*spezifische oder allgemeine Sektorabweichungen von nicht mehr als 1% im Vergleich zu einer Benchmark.

Solche Optimierungsmethoden sind jedoch nicht immer transparent oder intuitiv, und wenn der Index häufig optimiert werden soll, um Entwicklungen der Wertpapiere widerzuspiegeln, wird der Turnover vermutlich steigen. Für Manager von Anleiheindizes ist dies aufgrund der allgemein höheren Transaktionskosten festverzinslicher Anlagen ein besonders wichtiger Gesichtspunkt.

Tilting: Hier werden Unternehmen mit höheren ESG-Werten bei der Kapitalallokation gegenüber solchen mit schlechteren Werten bevorzugt. Für die Aufteilung können verschiedene Techniken angewendet werden, zum Beispiel nach Dezilen von ESG-Scores. Dabei wird das Indexgewicht des untersten Dezils um 80% herabgestuft, während das oberste Dezil das Doppelte des ursprünglichen Gewichts im Index erhält.

Aus unserer Sicht bietet der Tilting-Ansatz eine sinnvolle Mischung aus Wirkung, Transparenz und Marktrisiko.

Tilting wirkt positiv bei Schwellenländeraktien
Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass auch das Tilting zu ungewollten Verschiebungen führen kann, wenn die zugrunde liegende Methodik nicht tragfähig ist. Bei der Formulierung unserer eigenen Präferenzen bei LGIM stoßen wir vor allem auf zwei Herausforderungen:

Zum einen muss gewährleistet werden, dass die Daten, die den ESG-Score beeinflussen, zuverlässig sind, denn dieser ist für die Berechnung des Tilts von zentraler Bedeutung. Die LGIM-eigenen Scores stützen sich auf 28 verschiedene ESG-Indikatoren, die wir als quantifizierbar, konsistent und über breite Anlageuniversen hinweg verfügbar identifiziert haben, wobei die Rohdaten von vier marktführenden Anbietern bezogen werden. Dazu bewerten wir mehr als 16.000 börsennotierte Unternehmen weltweit und verfügen somit über eines der größten Universen am Markt.

Zum anderen muss die ESG-Wirkung gegen den Tracking Error abgewogen werden, den ein Anleger zu tolerieren bereit ist. So kann der ESG-Score zum Beispiel um den Faktor zwei modifiziert werden. Dieser Multiplikator könnte erhöht werden, um eine größere ESG-Wirkung zu erzielen, aber dadurch würde sich das Risikoprofil des „verlagerten“ Index weiter vom Ausgangsuniversum entfernen.

Schwellenländeraktien sind ein Segment, das sich für diesen Ansatz besonders gut eignet. Der Hebel lautet: Unternehmen aus Schwellenländern hinken ihren Konkurrenten in den Industrieländern hinsichtlich ESG- und Transparenzanforderungen in vielerlei Hinsicht weit hinterher. Mit Hilfe von Tilts lässt sich deshalb ein Index für Schwellenländeraktien ohne ESG-Berücksichtigung so gestalten, dass das Risiko-Rendite-Profil imitiert, aber gleichzeitig eine Reihe von ESG-Kriterien deutlich verbessert werden. Durch Tilting lässt sich also einerseits eine breite Marktabdeckung erreichen und andererseits eine messbare Auswirkung auf das ESG-Profil eines Index erzielen.

Dazu kommen weitere Vorteile: So kann ein ESG-Index mit Tilts nicht nur Risiken reduzieren, sondern auch das Potenzial nachhaltig wirtschaftender Unternehmen besser erfassen. Im Gegensatz zum Ausschlussverfahren bleiben Anleger auch in Unternehmen investiert, die ihre ESG-Scores und damit Renditechancen allmählich verbessern. Darüber hinaus kann Tilting dazu führen, dass gerade durch die Allokationsverschiebung Unternehmen im gesamten Index einen Anreiz haben, ihre ESG-Aktivitäten zu verbessern.

ESG-Integration entwickelt sich weiter
Aber auch der Tilting-Ansatz ist noch nicht der Schlusspunkt der Entwicklung. Es gilt daher, weitere Möglichkeiten der Integration von ESG-Erwägungen in die Indexkonstruktion zu untersuchen. Dazu zählen:

*Die Kombination von ESG-Kriterien und Faktor-Investments. Da bei faktorbasierten Ansätzen der Schwerpunkt auf dem Backtesting liegt, ist es wichtig zu untersuchen, welche Faktoren eher zyklisch sind, und logische Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, wie sich ESG-Erwägungen überlappen und im Laufe der Zeit bewegen können. Beispielsweise lagen frühere Analysen aus unserer Sicht mit der Folgerung falsch, dass der Value-Faktor sehr negativ mit den ESG-Scores korreliert sei.

*Die Verbesserung nicht nur der ESG-Daten selbst, sondern auch ihrer Nutzung. Heute existieren etwa 300 ESG-Basiskennzahlen, z. B. zur Kohlenstoffintensität, Diversität der Vorstandsmitglieder usw., aber oft wird nur ein Teil davon für die Unternehmensbewertung genutzt. Möglich sind jedoch rund 11,5 Milliarden verschiedene Scoring-Kombinationen für ein einzelnes Unternehmen.

*Als aktiver Eigentümer auftreten. Aus unserer Sicht ist Stewardship ein wesentliches Element verantwortungsbewusster Index-Investments. LGIM hat 2020 beispielsweise angekündigt, gegen ein Unternehmen zu stimmen, wenn dieses keine ausreichend große ethnische Diversität aufweist. Verantwortungsbewusste und engagierte Aktionäre können schließlich ebenfalls dazu beitragen, die Marktstandards beständig zu verbessern.

Auch in den kommenden Jahren wird der Bedarf an verantwortungsbewussten Investments weiter steigen. Die Kriterien für Umweltschutz, Soziales und Unternehmensführung lassen sich dabei durchaus anhand der individuellen Ziele und Präferenzen des Anlegers in Indexfonds einbetten – und eine Weiterentwicklung der bewährten Methoden am besten durch die Zusammenarbeit von Investoren und Asset Managern erreichen.

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*) Volker Kurr, Head of Europe, Institutional, und Fadi Zaher, Head of Index Solutions, Legal & General Investment Management (LGIM)