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Kommentar: Investieren in den 2020ern – alles auf Klimaschutz?

Die neue Dekade hält viele neue Herausforderungen bereit. Investoren sollten sich auf ein schwieriges Kapitalmarktumfeld einstellen und ihre Strategien anpassen.

Yoram Lustig

Das vergangene Jahrzehnt war ein großartiges für Investoren. Die globalen Aktienmärkte stiegen um fast 146%, die Rentenmärkte verzeichneten ein stattliches Plus von 49% (gemessen am MSCI All Country World Index und dem Barclays Global Aggregate Bond Index). Das sind schon nominal außergewöhnlich starke Ergebnisse; real, also nach Abzug der Inflation, sehen sie dank der historisch niedrigen Teuerungsraten noch einmal besser aus.

Das kommende Jahrzehnt wird anders sein: Investoren sollten von moderateren Erträgen ausgehen und sich darauf einstellen, dass es früher oder später zu einer Rezession kommt. Das heißt keinesfalls, dass sie unmittelbar bevorsteht und der Bullenmarkt 2020 enden wird. Er kann sich durchaus noch ein oder zwei Jahre fortsetzen, möglicherweise auch länger.

Dennoch sollten sich Investoren bereits jetzt auf weitreichende Veränderungen einstellen, die aller Voraussicht nach erhebliche Folgen für Weltwirtschaft und Kapitalmärkte haben werden. Als prägend für das Jahrzehnt werden sich Entwicklungen erweisen, die sich im Englischen als die vier „D“s bezeichnen lassen: Demographics, Debt, Disorder und Disruption, auf Deutsch etwa: Demografie, Verschuldung, Unordnung und Umbrüche.

So stellen die alternde Bevölkerung in den Industriestaaten und ein historisch hoher globaler Schuldenberg sowie wachsende politische Unsicherheiten eine große Herausforderung für die Weltwirtschaft dar. Als positiv könnten sich dagegen die Folgen der aus der Digitalisierung resultierenden technologischen Umbrüche erweisen.

Die vier Ds im Detail
Demographics – Demografie:
Eine alternde Bevölkerung in den Industriestaaten bedeutet, dass immer weniger Beschäftigte immer mehr Ruheständler finanzieren müssen. Das bremst die Konsumneigung insgesamt und führt zudem zu einer Veränderung der Konsummuster. Schließlich haben ältere Menschen andere Bedürfnisse als junge. Das könnte die Unternehmensgewinne in einigen Sektoren nachhaltig belasten, Inflation und Anleihezinsen auf Tiefständen festschreiben und das Wachstum verlangsamen.

Debt – Verschuldung: Wenn Schulden dazu verwendet werden, die Produktivität zu steigern, können sie eine positive Wirkung auf das Wachstum entfachen; sorgt die Verschuldung hingegen nur für eine Aufblähung von Vermögenswerten, hat sie keine positiven Wachstumseffekte. In diesem Fall kann eine angestrebte Normalisierung des Zinsniveaus vielmehr dazu führen, dass eine wachsende Zahl von Unternehmen und Regierungen Schwierigkeiten bekommt. Ihre Schulden zu bedienen. In Folge dessen sind den Zentralbankern weitgehend die Hände gebunden.

Disorder – Unordnung: Populismus, Handelsstreitigkeiten und eine wachsende Ungleichheit sorgen dafür, dass statt der Zentralbanken immer häufiger Regierungen und Politiker zentralen Einfluss auf die Entwicklung der Weltwirtschaft nehmen. Das führt zu wachsenden Unsicherheiten, die sich in erhöhten Schwankungen an den Märkten widerspiegeln sollten.

Disruption – Umbrüche: Der technologische Wandel hat vielschichtige Umbrüche zur Folge. Unter anderem hat er der Welt das Online-Shopping und andere digitale Dienstleistungen beschert, neue Energiequellen erschlossen und viele Produktions- und Geschäftsprozesse fundamental verändert. Die mit diesem Wandel vielfach verbundenen Produktivitätssteigerungen fördern die globale Wachstumsdynamik. Gleichzeitig könnten aus den technologischen Entwicklungen resultierende Preissenkungen allerdings das Ende der 70-jährigen Geschichte inflationsgetriebenen Wachstums und einer auf Inflation fokussierten Geldpolitik einläuten.

In Summe sprechen die vier Ds für ein schwierigeres Marktumfeld für Investoren. Unsicher erscheint auf den ersten Blick nur, ob es zu einer schweren Rezession kommt oder ob sie mild ausfallen wird. In jedem Fall sollten sich Investoren auf ein Ende des aktuellen Kapitalmarktzyklus vorbereiten. Absicherungsstrategien und eine aktive Steuerung des Aktienrisikos sind ein gangbarer Weg, ebenso Multi-Asset-Ansätze, die dynamisch alle zur Verfügung stehenden Ertragsquellen nutzen.

Auch aktives Management ist in Zeiten auseinanderdriftender Wertentwicklung einzelner Wertpapiere und Assetklassen neuerlich eine Option. Erfahrene Manager, die Gewinner und Verlierer identifizieren und Fehlbewertungen einzelner Wertpapiere aufdecken können, sollten von den wachsenden Unterschieden der Ertragsaussichten profitieren.

Klimaschutz als Wachstumsprogramm
Beachtenswert erscheinen zu dem die Auswirkungen des Klimawandels auf Weltwirtschaft und Kapitalmärkte. Der Klimawandel zählt zu den größten Herausforderungen, denen sich die Menschheit je gegenübersah. Um ihn aufzuhalten, bedarf es massiver Investitionen in eine klimafreundliche Infrastruktur. Diese könnten wie ein riesiges Konjunkturpaket wirken und gemeinsam mit den Produktivitätssteigerungen doch noch die drohende Rezession vermeiden.

Ein weiterer Aspekt dieser grünen Revolution ist, dass Investoren zunehmend auf Unternehmen setzen, die anerkennen, dass die Aktionäre nicht ihre einzige Interessengruppe sind. Langfristig sollte sich die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien auch darum bezahlt machen, weil unter Umwelt-, sozialen und Unternehmensführungsaspekten (ESG, Environmental, Social and Governance) gut aufgestellte Unternehmen zum globalen Wunsch nach Nachhaltigkeit und einer Lösung der Herausforderungen passen, denen sich die Menschheit derzeit ausgesetzt sieht.

Investments in Nachhaltigkeit könnten in der kommenden Dekade viel bewegen. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien könnte Investitionen in Richtung einer grünen Infrastruktur der nächsten Generation lenken. Und das könnte den Anfang der nächsten Stufe der Industriellen Revolution einläuten, auf der die Menschheit den Klimawandel und die digitale Revolution bewältigt. Dieser weltweite Übergangsprozess könnte Arbeitsplätze schaffen, auch für weniger qualifizierte Arbeitskräfte, und einen notwendigen fiskalpolitischen Ausgabenschub mit sich bringen, der Konjunkturzyklus und Bullenmarkt noch für eine lange Zeit am Leben erhält.

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*) Yoram Lustig ist Head of Multi-Asset Solutions, EMEA, bei T. Rowe Price