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Kommentar: Zukunft des Einzelhandels – ohne Parkplätze?

Viele Städte denken Mobilität neu, prüfen und probieren innovative Konzepte. Denn die Kommunen der Zukunft müssen gewaltige Herausforderungen lösen: einerseits Zuzug, wachsende Urbanisierung und Ausdehnung in ländliche Räume, andererseits Reduktion der Versiegelung, Senkung des CO2-Ausstoßes und der Feinstaubbelastung, mehr Grünflächen und bessere Belüftung der Stadträume. Der Verkehrsinfrastruktur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Letztlich laufen alle Konzepte darauf hinaus, den motorisierten Verkehr zu reduzieren oder ganz aus den Innenstädten zu verbannen zugunsten von Fußgängern und Radfahrern. Wäre das der Todesstoß für den ohnehin schon gebeutelten Einzelhandel in den Innenstädten? Eine Analyse.

Thomas Lavater

Ladengeschäfte brauchen regelmäßige Kundschaft sowie ein attraktives Umfeld mit hoher Aufenthaltsqualität und arrondierendem Konsumangebot. Für die Besucherfrequenz ist es entscheidend, dass Kundinnen und Kunden möglichst ohne Hemmnisse in die Einkaufsstraßen kommen. Welche Fortbewegungsart – zu Fuß, per Fahrrad, Tram, Bus oder Auto – bevorzugt wird, ist sehr individuell. Wichtig ist aber, dass die Wahlfreiheit für alle gegeben ist.

Nehmen wir an, mit Ausnahme des Lieferverkehrs und öffentlichem Nahverkehr würden innerstädtische Straßen zu Promenaden, Parks und Radwegen umgestaltet. Dann würde damit eine Idylle für Personen geschaffen, die gerne den sonst so hektischen Alltag entschleunigen und sich umweltverträglich verhalten möchten. Für diese Gruppen wäre das Einkaufserlebnis attraktiver. Doch was passiert mit denen, die ihre Einkäufe mit dem Auto transportieren müssen oder wollen? Welcher Einzelhandel findet dann noch in den Innenstädten genügend Kundschaft? Ein Abfluss von Kaufkraft, Handel und Verkehr ins Umland wäre wahrscheinlich. Statt weniger Verkehr wäre womöglich eine Zunahme die Folge – verbunden mit weiterer Flächenversiegelung.

Es braucht Konzepte, bei denen das Einkaufserlebnis auch für den motorisierten Individualverkehr attraktiv bleibt. Viele Städte haben bestehende Einkaufssituationen analysiert und arbeiten an Lösungsmöglichkeiten für weniger Verkehr in ihren Zentren. So hat zum Beispiel die Stadt Zürich Ende 2017 ihre auf die Retail-Branche zugeschnittene Studie „Handel im Wandel“ publiziert, in der verschiedene zukünftige Szenarien dargestellt sind.

Großzügige, kostengünstige Parkmöglichkeiten an der Peripherie der autofreien Zonen könnten eine Lösung sein, wenn zugleich ein komfortables Angebot für den Transport der Einkäufe gemacht wird. Hier sind neben den Stadtplanern auch die Einzelhändler gefragt. Denn ein (kostenloser) Lieferdienst nach Hause oder zu den Parkhäusern wird dann für jedes Ladengeschäft zur Pflicht. Gleichzeitig gilt es die Verkehrsströme um die verkehrsberuhigten Zentren herum zu lenken. Das könnten Ringstraßen oder Tunnel sein. In jedem Fall müssen verschiedene Zugangsoptionen zur autofreien Zone angeboten werden. Ziel muss sein, ein komfortables Einkaufserlebnis zu schaffen ohne das eigene Auto zu benötigen.

Gelingt das, laden Plätze, Boulevards und Gassen wieder zum Flanieren und Cafés zum Verweilen ein. Spielplätze beleben den öffentlichen Raum und in den Läden kann – befreit von Einkaufstaschen – gestöbert, anprobiert und ausgesucht werden. Die Stadtinfrastruktur wird wieder an den Menschen ausgerichtet, nicht an den Bedürfnissen des motorisierten Verkehrs. Damit besteht die Chance, die Zentren wieder attraktiv zu machen, Treffpunkte zu schaffen, ein Einkaufserlebnis zu kreieren. Das wird auch in den Umsätzen der Einzelhändler spürbar werden.

Wie ein innovatives Mobilitätskonzepte funktionieren kann, zeigen Beispiele aus den Niederlanden. Die Stadt Groningen wurde Ende der Siebziger Jahre in vier Sektoren aufgeteilt und der motorisierte Verkehr zwischen den Sektoren stark eingeschränkt. Etwa zur gleichen Zeit setzte man in der Gemeinde Houten ein Konzept um, das komplett autofrei ist, in dem es die Autos auf einer Ringstraße um die Stadt herumführt.

Die Umsetzung eines neuen Mobilitätskonzepts braucht Zeit, gesellschaftlichen Konsens und politischen Willen. Wichtig ist, dass für die Zeit des Umbaus die Ladenzeilen zugänglich bleiben, denn Neuansiedlungen sind langwieriger und schwieriger, wenn die Kundschaft einmal abgewandert und die Innenstadt verödet ist. An dieser Stelle sind vor allem Behörden, Gemeinden und Stadtplaner gefordert, Lösungen für die Verkehrsströme, Kleinmengenlogistik, Parkraumgestaltung und Zugangsoptionen zu finden und umzusetzen. Gelingt dies, werden Kommune, Einzelhandel sowie Bürgerinnen und Bürger davon profitieren können.

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*) Thomas Lavater ist Portfolio Manager des SF Retail Properties Fund der Swiss Finance & Property Group in Zürich.