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Gastbeitrag: Die Potenziallagen für Einzelhandelsimmobilien erkennen

Schon jetzt ist der Einzelhandel einem rasanten Wandel unterworfen, der sich weiter beschleunigen wird. Langfristig orientierten Immobilieninvestoren drängt sich unweigerlich eine Frage auf: Wer sagt ihnen, dass eine Handelsimmobilie auch in zehn oder 20 Jahren noch gut zu vermieten und werthaltig ist?

Gabriele Volz

Joachim Stumpf

Niemand kann so weit in die Zukunft blicken. Aber langfristige Megatrends lassen – richtig gedeutet – schon heute erkennen, in welche Richtung die Reise geht. Denn hinter abstrakten Begriffen wie „Konsument“ und „Verbraucher“ verbergen sich immer individuelle Menschen, die bei konkreten Händlern einkaufen, ob online oder stationär. Wer ihr Verhalten genau beobachtet, kann sehr viel über erfolgreiche Einzelhandelsimmobilien von morgen lernen. Ein feines Gespür für Standorte, die Positionierung unterschiedlicher Geschäftsmodelle sowie Weitsicht für gesellschaftliche Megatrends sind Grundpfeiler für langfristig wertstabile Investmententscheidungen.

Es genügt nicht, nur auf die nackten Investmentkennziffern zu achten, die das Hier und Jetzt beschreiben – so wichtig dies auch ist. Für unsere aktuelle Studie „Future Retail“ haben wir uns deshalb für einen ganzheitlichen Ansatz entschieden, der sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigt. Während der quantitative Teil auf dem zusammen mit BBE Handelsimmobilien entwickelten Wealthcap-Scoring beruht, wurden im qualitativen Teil Experten aus Einzelhandel, Stadtplanung, Wissenschaft sowie Markt und Investment nach ihren Erwartungen für die Zukunft des Einzelhandels befragt.

Beispiel Würzburg: Das Kopplungspotenzial der Umgebung nutzen
Werfen wir einen Blick nach Würzburg. Dank einer sehr hohen Einzelhandelszentralität ist die Bedeutung der unterfränkischen Stadt als Handelsstandort groß. Im Zentrum Würzburgs, inmitten historischer Bauten und Universitätsfakultäten, befindet sich in der Einkaufspassage „Echter-Galerie“ ein Biomarkt. Immer mehr Menschen setzen aus Überzeugung auf „Bio“ und verantwortungsvollen Konsum. Die Bereitschaft, für ein gesundes und bewusstes Leben mehr Geld auszugeben, nimmt stetig zu. Der Biomarkt hat sich aus seiner Nische gelöst, ist etabliert und expandiert weiter. Doch wohin expandieren in nachverdichteten Innenstädten? Für die „Echter-Galerie“ sind trotz geringer Sichtbarkeit und eingeschränkter Zugänglichkeit für den Autoverkehr die Bedingungen ausgezeichnet, um hohe Frequenzwerte zu erreichen.

Die Vielfalt an Einkaufsmöglichkeiten in den zahlreichen innerstädtischen Geschäften macht den Biolebensmittelmarkt vor allem für Studenten, Tagesbesucher und Anwohner im näheren Umkreis interessant, zumal sich der Standort gut an die veränderten Mobilitätsgewohnheiten des urbanen Publikums angepasst hat und beispielsweise viele Abstellmöglichkeiten für Fahrräder bietet. Der lediglich 450 Quadratmeter große Biomarkt wird durch ein eigenes Bistro ergänzt, das mit wechselnden Gerichten in Bioqualität zum Verweilen nach dem Einkauf verleitet.

Das Beispiel des Biomarkts in der „Echter-Galerie“ zeigt, worauf es ankommt: Dass die höchst unterschiedlichen Potenziale eines Standorts erkannt und individuell genutzt werden – das gilt gleichermaßen für die Herausforderungen. Bei zukunftsstarken Standorten handelt es sich nicht automatisch um diejenigen, die für einen Core-Investor gemäß harter Investmentkennzahlen auf den ersten Blick ideal sind.

Die günstigeren Einstiegskonditionen und die größeren Entwicklungschancen können oftmals in Potenziallagen gefunden werden. Die Kunst ist es, die Standorte mit dem größten Potenzial für einen langfristigen Investmenterfolg zu identifizieren, auch wenn diese eine vielleicht nicht ganz ideale Ausgangssituation haben. Dabei sind Daten und Fakten hilfreich, aber es kommt eben auch auf Trendexpertise und ein tiefes Verständnis für das Konsumverhalten von morgen an.

Zentrale Thesen für den stationären Einzelhandel
Wichtig ist die Erkenntnis, dass es in einer so heterogenen Branche wie dem Einzelhandel keine pauschale Antwort auf alle Fragen und Herausforderungen geben kann. Einer der Megatrends mit der größten Sogwirkung ist beispielsweise die Urbanisierung. Urbane Gründerzeitviertel sind gerade auch bei jungen Menschen sehr beliebt. Kleinere, spezialisierte Geschäfte liegen wieder im Trend. Doch auch das Fachmarktzentrum und das SB-Warenhaus auf der grünen Wiese können funktionieren – sofern das Konzept und das Warenangebot zur Verbrauchernachfrage in der Umgebung passen. Vielleicht überlebt nur eines von zwei SB-Warenhäusern. Die Frage lautet: Welches? Aus unserer Studie „Future Retail“ lassen sich unter anderem folgende Thesen ableiten:

1. Handelsimmobilien müssen sehr viel mehr leisten. Sie werden nicht mehr reine Orte des Konsums sein. Stattdessen werden sie Aufgaben übernehmen, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren: Freizeitgestaltung, Entertainment, Naherholung, als Mobilitätszentren oder gar Logistik-Hubs. Die Handelsimmobilie wird immer flexibler und muss sich perfekt in ihre Umgebung integrieren.

2. E-Commerce und stationärer Handel wachsen zusammen. Auf der einen Seite experimentiert der stationäre Handel mit Möglichkeiten, um sich mithilfe digitaler Technologien kundenfreundlicher und effizienter aufzustellen. Andererseits eröffnen vormals reine Online-Anbieter verstärkt stationäre Geschäfte, sei es zur Markenpflege oder für den persönlichen Kundenservice. Die Grenzen verschwimmen.

3. Ein klassisches Investmentkriterium ist und bleibt die Lage. Darüber hinaus entscheidet immer mehr die schnelle und bequeme Erreichbarkeit. Und das betrifft längst nicht nur das Auto. Ob mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zum Elektroroller – die Vielfalt wird größer. Lediglich ein großes Parkplatzangebot vor der Tür erhöht nicht gerade die Aufenthaltsqualität und wirkt auf manchen Verbraucher möglicherweise sogar abschreckend.

4. Um dem reinen Online-Handel etwas entgegenzusetzen, kommt es darauf an, den Kunden ein erfüllendes Einkaufserlebnis zu bieten. Wer Individualität und Individualisierbarkeit in sein Konzept integriert und den Konsumenten auf einer persönlichen Ebene erreicht, kann auf einen stärkeren Zulauf hoffen – sowohl von Stammkunden als auch von Laufkundschaft.

5. Immer mehr Menschen sind bereit, für ethischen Konsum und nachhaltige Produkte mehr Geld auszugeben. Nachhaltigkeitsaspekte machen aber nicht beim Produktsortiment halt: Ökologische und soziale Aspekte greifen immer stärker auf den Einzelhändler und sogar auf die Handelsimmobilie selbst über. Dazu zählen nachhaltige Bauweisen und geringer Ressourcenverbrauch im Objekt.

6. Nachhaltig erfolgreiche Handelsimmobilien sollten auf flexible Flächennutzungskonzepte setzen, die im besten Fall Lösungen für größere gesellschaftliche Anforderungen bieten. Handelslagen, die als intermodaler Knotenpunkt mit E-Ladestationen oder Last-Mile-Logistikhubs positioniert werden, könnten einen bedeutenden Beitrag zur Verkehrswende in unseren Städten leisten.

Die Beispiele zeigen: Der Handel ist in Bewegung – und wird es auch bleiben. Investoren könnten sich vor diesem Hintergrund dazu entscheiden, sich vorsichtshalber aus diesem Segment zurückzuziehen. Oder sie entdecken die Chancen, die sich daraus ergeben – und beschäftigen sich intensiv mit den Potenzialen und Herausforderungen dieser spannenden Assetklasse.

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*) Gabriele Volz, Geschäftsführerin, Wealthcap und Joachim Stumpf, Geschäftsführer, BBE Handelsberatung