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Kommentar: Der besondere Charme der Immobilienaktien

Während des Kursrückgangs an den Aktienmärkten im ersten Halbjahr 2022 mussten auch viele Immobilienkonzerne deutliche Verluste hinnehmen. Manche notieren inzwischen gar unter dem Wert ihrer Immobilienportfolios. Das bietet interessante Einstiegschancen.

Dr. Karim Rochdi

Es war eines der schlimmsten Börsenhalbjahre seit Jahrzehnten. Egal ob Aktien, Anleihen oder Gold – so gut wie alle Anlageklassen kamen unter Druck. Verwunderlich ist es nicht, haben wir doch eine fast schon historische Häufung verschiedenster Krisen. Neben dem Krieg in der Ukraine kam es durch die anhaltende Corona-Pandemie zu massiven Problemen in den Lieferketten, dazu eine rekordhohe Inflation, eine dadurch hervorgerufene sehr aggressive Zinswende und nicht zuletzt die Sorge vor einer Rezession. Sichere Häfen gab es kaum, so gut wie alles wurde verkauft.

Kaum möglich ist es in dieser komplexen Situation, die massive Unsicherheit mit sich bringt, eine seriöse Prognose für die weitere Entwicklung an den Märkten abzuliefern. Was Investoren aber sehr wohl tun können, ist, sich auf die wesentlichen Fakten zu konzentrieren, die bekannt sind. Zum Beispiel auf die aktuelle Bewertung von Immobilienaktien. Die Aktie des größten deutschen Immobilienkonzerns Vonovia zum Beispiel liegt (Stand Ende Juli 2022) auf Sicht von zwölf Monaten mit rund 45% im Minus. Damit beträgt der Börsenwert noch etwa 23,5 Mrd. Euro. Allerdings steht diesen Zahlen ein Nettovermögenswert (berechnet auf Basis des Net Tangible Value (NTV) nach der Definition der European Public Real Estate Association (EPRA)) von rund 50 Mrd. Euro gegenüber – also mehr als doppelt so viel wie der Börsenwert.

Attraktive Dividendenrendite
Zugleich beträgt die erwartete Dividendenrendite für das laufende Jahr mehr als 5%, während die Ankaufsrenditen von Wohnimmobilien in den deutschen Top-Städten bei 3% liegen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bezogen auf die erwarteten Gewinne im laufenden Jahr liegt bei etwa sieben. Ein anderes Beispiel ist LEG Immobilien. Dort beträgt der Kursverlust auf ein Jahr 38%. Die erwartete Dividendenrendite für 2022 liegt damit nun bei knapp 5%, das KGV auf Basis der in diesem Jahr erwarteten Gewinne bei unter fünf. Und während die Aktie bei etwa 85 Euro steht, bringt das Immobilienportfolio rein rechnerisch 150 Euro pro Aktie auf die Waage.

Ob solche Aktien interessant sind, muss jeder für selbst entscheiden. Manch einer wird vielleicht noch mit weiteren Kursrückgängen rechnen, da es einen guten Grund gibt, warum Immobilienaktien unter Druck geraten sind: die rasant gestiegenen Zinsen. Denn dadurch steigen zum einen die Kosten der Finanzierung. Zum anderen können sich höhere Zinsen auch negativ auf die Bewertung auswirken, da damit die Renditeerwartungen an Immobilieninvestments steigen. Bei stabilen Mieten muss deshalb die Bewertung sinken. Zudem laufen Wohnungsmieten Gefahr, die Rolle eines Zinssubstituts, das sie in den vergangenen Jahren innehatten, dadurch zu verlieren. Hinzu kommt speziell hierzulande, dass das Vertrauen in den Bereich durch den Skandal um die Adler Group womöglich beeinträchtigt wurde.

Zahlreiche Vorteile von Immobilienaktien
Dennoch ist die grundsätzliche Beimischung von Immobilieninvestments im Portfolio gerade in der aktuell von großer Unsicherheit geprägten Situation überlegenswert. Schließlich geht es in dieser Anlageklasse vor allem um Mieteinnahmen. Und die sind aufgrund langfristiger Verträge häufig stabiler und berechenbarer als die Umsätze und Gewinne der Unternehmen aus anderen Branchen. Hierbei allerdings sollten Investoren darüber nachdenken, statt direkter Investments in Wohn- oder Bürogebäude als Alternative Immobilienaktien in Erwägung zu ziehen. Denn sie weisen, neben der zum Teil inzwischen recht günstigen Bewertung, einige weitere wichtige Vorteile auf.

So sind sie im Vergleich zu Direktinvestments sehr viel liquider und einfacher und günstiger handelbar. Und es lässt sich auf diese Weise eine sehr breite Diversifikation über eine Vielzahl an Immobilieneinheiten und nach unterschiedlichen Nutzungsarten erreichen. Außerdem sind sie aufgrund der quartalsweisen Berichterstattung und den laufend aktuellen Kursen transparenter. Kurzfristig können Immobilienaktien zwar, wie auch die aktuelle Entwicklung zeigt, mit den Aktienmärkten mitlaufen. Langfristig aber korrelieren gerade die Kurse von Bestandshaltern von Immobilien tendenziell eher mit den Immobilien- als mit den Aktienmärkten. Und sie entwickeln sich nach unserer Erfahrung langfristig weniger volatil als andere Aktiensegmente, da die Mieterträge als Basis für die Bewertung stabiler sind. Letztlich findet auf dem Immobilienaktienmarkt stetig eine deutlich sichtbare und tagesaktuelle Wertfindung statt, während dies auf dem illiquiden direkten Immobilienmarkt ein wesentlich komplexerer Vorgang ist und erst zeitverzögert erfolgt – so auch im aktuellen Umfeld.

Immobilienaktien verbinden somit das Beste aus zwei Welten: die Liquidität des Aktienmarkts mit den stabilen Einnahmen des Immobiliensektors. Dazu kommt aktuell die Frage, inwieweit das veränderte Zinsumfeld in den Kursen der Immobilienaktien inzwischen eingepreist ist und ob das Ausmaß der Neubewertung in dem einen oder anderen Fall nicht vielleicht sogar übertrieben war. Dafür spricht ein Blick auf die internationalen Märkte. Denn dort hat der FTSE NAREIT Global, der weltweite Index für Immobilienunternehmen und Real Estate Investment Trusts (REITs), im ersten Halbjahr lediglich etwa 11% eingebüßt, der MSCI World liegt aber mit rund 20% im Minus. International also haben REITs und Immobilienunternehmen weniger verloren als die breiten Indizes. In Deutschland war es teilweise umgekehrt.

Trotzdem genau analysieren
Entsprechend sind die Abschläge gegenüber dem inneren Wert bei manchen deutschen und auch europäischen Immobilien-AGs inzwischen deutlich höher als im angelsächsischen Raum. In den USA haben sich die Kurse der REITs wesentlich schneller erholt. So überzeugend dies alles klingen mag, eine genaue Analyse der Immobilienunternehmen und REITs ist dennoch unerlässlich. Denn nur durch eine tiefgreifende Analyse ist es möglich, das Potenzial eines solchen Unternehmens zu identifizieren. Entscheidend ist dabei zunächst das dahinter liegende Immobilienportfolio. Es stellen sich unter anderem folgende Fragen: Wie realistisch sind die einzelnen Immobilien bewertet? Wie hoch ist der Grad der Diversifizierung? Welche Zukunftschancen haben bestimmte Standorte und Nutzungsarten? Wie alt ist der Bestand?

Immer wichtiger werden zudem auch Überlegungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Immobilien. Das gilt für ökologischen Kriterien wie die Energieeffizienz von Gebäuden, aber auch Governance-Aspekte dürfen – wie der Fall der Adler Group verdeutlicht – nicht außer Acht gelassen werden. Und es genügt auch nicht, dass lediglich Immobilienexperten nach den attraktivsten und aussichtsreichsten Anlagen suchen. Vielmehr braucht es bei Immobilienaktien eine Kombination aus Immobilien- und Kapitalmarktexpertise, um einen wirklichen Mehrwert zu schaffen.

Es geht also darum, das gesamte Universum an Immobilienaktien weltweit, das mehr als 3.000 Titel umfasst, systematisch zu screenen, die Immobilienportfolios dahinter zu analysieren und nach potenziellen Unterbewertungen oder Wertentwicklungspotenzialen zu suchen. Und schließlich brauchte es dann, um in diesem Bereich erfolgreich zu investieren, eine ausreichende Diversifikation über verschiedene Regionen und Nutzungsarten, wobei auch Spezialsegmente wie Funkmasten, Labore oder Rechenzentren berücksichtigt werden sollten. Wer so vorgeht, kann langfristig in diesem Bereich äußerst attraktive Erträge erwirtschaften – auch in einem unsicheren und von Krisen geprägten Umfeld.

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*) Dr. Karim Rochdi, Gründungspartner und Geschäftsführer, Aventos Capital Management