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Gastbeitrag: Wer die Herausforderung annimmt, dem bieten Mischnutzungen in innerstädtischen Lagen viele Chancen

Viele Beobachter verbinden den Wandel unserer Innenstädte dieser Tage mit einer Frage: Hat das klassische Shopping in der Innenstadt noch eine Zukunft? Und wenn ja, wie sieht diese aus?

Rowan Verwoerd

Wer sich im innerstädtischen Einzelhandel umhört, erlebt – allen Unkenrufen zum Trotz – eine erstaunlich vielfältige und nuancierte Sichtweise der Händler, die sich auch mit unserer Einschätzung deckt: Die Innenstädte verändern sich. Akteure, die unbeirrt ein klassisches Warenhauskonzept über mehrere Etagen mit einem standardisierten Sortiment und mittelmäßiger Beratungsqualität anbieten, dürfen sich nicht wundern, wenn Kunden „mit ihren Füßen abstimmen“ und fernbleiben. Zu vielfältig sind die Alternativen andernorts bereits heute, sowohl im innerstädtischen Handel selbst als auch online.

Ganz anders ist die Situation indes, wenn es gelingt, durch eine sorgfältige Marktanalyse und unter Ausnutzung der baulichen Möglichkeiten das bisherige, mittlerweile immer öfter leer stehende Warenhaus zu ersetzen durch attraktive, gemischt aufgestellte Konzepte, die das Einkaufen zum Gemeinschaftserlebnis werden lassen und – mit weiteren Dienstleistungen verbunden – die Verweildauer der Kunden erhöhen.

Mieter aus dem Sport- und Modehandel beispielsweise wollen ihr gesamtes Sortiment immer öfter in zentraler Lage an einem Top-Standort anbieten, um ein markenprägendes Einkaufserlebnis komplementär zu ihrem Online-Auftritt zu präsentieren.

Diese Mieter legen Wert darauf, Teil einer komplementären Konzeption zu sein, wo neben dem Einkaufs- und Markenerlebnis auch Angebote zur Freizeitgestaltung und Gastronomie, aber auch wechselnde Kulturprogramme vorhanden sind und dazu beitragen, die Aufenthaltsqualität zu verbessern.

Während die Flächen in den unteren Geschossen für Einzelhändler aufgrund der Größe und Sichtbarkeit attraktiv sind, greifen in den oberen Etagen individuelle, auf den jeweiligen Mieter abgestimmte Wohn- oder Bürokonzepte.

Da die bisherigen Warenhausstandorte meist in zentralen, attraktiven Innenstadtlagen errichtet worden sind, ist eine vielseitige Mischnutzung mit Einzelhandel, Gastronomie, Wohnen, Hotel und/oder Entertainment grundsätzlich auch für Investoren äußerst attraktiv.

Allerdings gilt es im Zuge der Transformation und einer Ausrichtung auf Mischnutzung zu berücksichtigen, dass bauliche Auflagen und Entwicklungsziele der zuständigen Kommune bereits zu Beginn der Revitalisierung und Umnutzung Berücksichtigung finden.

Themen wie Lichtverhältnisse, Deckenhöhen, Nord-Süd-Ausrichtung, Brandwände und weitere Brandschutzauflagen, Lärmschutz und gegebenenfalls auch Denkmalschutz sind dabei ebenso zu beachten wie die lokalen Vorgaben betreffend Grundflächenzahl (GRZ) und Geschossflächenzahl (GFZ). Auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit sind unterschiedliche lokale Auflagen zu beachten, ebenso wie die Installation von Photovoltaik-Paneelen auf Dachflächen oder Ladestationen für Elektromobilität.

Gleichzeitig sehen wir, dass jene Projekte, bei denen es gelingt, die entsprechenden komplexen und vielfältigen Anforderungen frühzeitig zu bündeln und in ein zukunftsorientiertes Konzept einzubeziehen, sich sowohl bei Mietern als auch bei deren Kunden überaus großer Beliebtheit erfreuen und dementsprechend aus Investorensicht langfristig sinnvoll sind.

Was die Vielfalt möglicher Mischnutzungen betrifft, sind aus Sicht des Handels insbesondere folgende Aspekte zu bedenken: Jedes Asset muss individuell hinsichtlich der vorgenannten Faktoren und der Ausgangssituation untersucht werden. Pauschale Lösungen sind nicht sinnvoll.

Wir bei Redevco haben – vor, während und auch nach der Corona-Pandemie – an zahlreichen Standorten in der DACH-Region gezeigt, wie sich der Umbau von Warenhäusern wirtschaftlich und nachhaltig umsetzen lässt: Die Kombination folgender Nutzungsformen hat sich dabei als besonders erfolgreich erwiesen: Hotelnutzungen mit Short- und Long-Stay-Konzepten, Schulen, medizinische Zentren, Büros, Fitnessstudios, Gastronomie im Zusammenspiel mit Einzelhandel wie Lebensmittel oder Mode.

Dabei sind wir uns sicher: Der Einzelhandel wird nicht verschwinden. Aktuelle Umfragen zeigen: Junge Menschen sind nach wie vor ausgeprägt innenstadtaffin. Wenn es gelingt, das Einkaufserlebnis mit dem gewachsenen Nachhaltigkeitsbewusstsein zu verbinden und in attraktive Erlebniswelten zu integrieren, werden die jungen Menschen die Innenstädte auch künftig in großer Zahl aufsuchen.

Indes haben sich die Erwartungen an das Angebot in allen Altersklassen deutlich verändert. Kurzfristige Bedarfsbereiche wie Lebensmittel, Gesundheit oder Körperpflege haben Mode und Schuhen mittlerweile den Rang abgelaufen und stehen an erster Stelle der innenstadtrelevanten Einzelhandelssegmente. Regionalität, Qualität und Nachhaltigkeit sind einer Studie von cima.monitor zufolge für drei Viertel der Befragten im innerstädtischen Einzelhandel besonders wichtig.

Mischnutzungen bieten auch die Gelegenheit, Büros wieder verstärkt in den Innenstädten anzusiedeln. Die zentrale Marktplatzfunktion, die immer mehr Menschen wieder für sich entdecken, kommt diesem Bedürfnis entgegen und lässt sich auch in Coworking-Konzepten praktisch umsetzen. Dabei gilt: Das Verbinden von digitalen und physischen Berührungspunkten muss bei der Mischnutzung konsequent von Anfang an berücksichtigt werden.

Gerade dieser Aspekt ist übrigens für Möbelanbieter und Autohersteller von Relevanz, die bisher aufgrund ihres traditionell hohen Flächenbedarfs kaum in Innenstadtlagen vertreten waren. Wer aber sein Auto digital konfiguriert und bei den Ausstattungsmerkmalen des Fahrzeugs mehr auf dessen Rechen- als auf Motorleistung achtet, für den ist das Probesitzen in vielen Fällen relevanter als das Probefahren selbst. Ähnlich ist die Entwicklung bei Möbeln, deren junge Käufergruppen oft in kleinen Wohnungen leben, meist kein Auto haben, aber ein modernes Einkaufserlebnis, in dem persönliche Beratung durch digitale Planungswerkzeuge unterstützt wird, zu schätzen wissen. Das haben beide Branchen erkannt und verlagern ihre Showrooms entsprechend in zentrale Innenstadtlagen. Der Kaufabschluss findet in Planungsstudios oder auch in Pop-up-Stores statt, unterstützt von kompetenter und persönlicher Beratung. Lieferung und häufig auch der Montageservice werden extra gebucht, wodurch die Verkäufer ihre nachgelagerte Logistik nicht in die Innenstädte verlagern müssen.

Zugegeben, die Anforderungen betreffend die Gestaltung der Transformation ist lang, und die Herausforderungen werden sich auch in den nächsten Jahren weiter verändern. Wem es aber gelingt, Einkaufserlebnisse zu realisieren, die sich konsequent vom Onlinehandel abheben, und mit klug durchdachten Mischnutzungen vielfältige Angebote um den Einkauf herum zu bündeln, der wird auch in Zukunft jene Lebensqualität schaffen, die unsere Städte für Einheimische und Besucher gleichermaßen attraktiv macht.

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*) Rowan Verwoerd ist Portfolio Director für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Redevco.