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Gastbeitrag: Überbelegt – zur Mietwohnungskrise in Europa

Urbanisierung, Zuwanderung und zu geringer Mietwohnungsbau führen in den europäischen Großstädten nicht nur zu steigenden Mieten; die Trends sind auch der Grund dafür, dass immer mehr Mieterhaushalte in Wohnungen leben, die eigentlich zu klein für sie sind.

Lars Vandrei (Bildrechte: Catella Investment Management)

Grundlage des Befunds sind Haushaltsgrößen und -zusammensetzungen, für die nicht genügend Räume zur Verfügung stehen. Den Zahlen von eurostat zu Folge wohnten in der EU im Jahr 2014 18,1% der Bevölkerung in zu kleinen Wohnungen. Diese Gesamtzahl ging bis zum Jahr 2024 leicht zurück auf 16,9%.

Gleichzeitig stieg jedoch der Anteil der Mieter, die nicht genügend Räume zur Verfügung haben von 20,4% im Jahr 2014 auf EU-weit 24,4% zehn Jahre später. Das heißt: Mieter sind von der Wohnungsnot in wachsendem Maße betroffen, während sich im Bereich der Eigentümerhaushalte eine Entlastung abzeichnet. Dies ist auch einem Stadt-Land-Gefälle schuldet, da der Anteil von Mieterhaushalten vor allem in den Städten sehr hoch ist.

Steigende Überbelegungsquoten unter Mietern gibt es demnach in Belgien (+9,0 Prozentpunkte), Spanien (+8,0 Prozentpunkte) und Irland (+7,9 Prozentpunkte) und auch in Deutschland. Dort leben mit 18,4% inzwischen deutlich mehr Mieter in zu kleinen Wohnungen als noch zehn Jahre zuvor (11,5%).

Dies unterstreicht die zunehmende Herausforderung der Mietwohnungsnot in Europa. Dabei ist eine kurzfristige Entlastung nicht in Sicht. Denn der Krieg in der Ukraine beispielsweise hat zu einem raschen Anstieg der Zuwanderung vor allem in ost- und mitteleuropäische Staaten und zu einer Verteuerung des Mietwohnungsbaus durch gestiegene Zinsen und höhere Rohstoff- und Energiepreise geführt: Von den insgesamt knapp sechs Millionen innerhalb Europas geflüchteten Ukrainern leben laut UNHCR derzeit mehr als 1,1 Millionen in Deutschland, 960.000 in Polen, 350.000 in Tschechien und in Spanien 202.000. Diese Zuwanderung trifft auf ein geringeres Wohnungsangebot.

Einer Prognose des Münchner ifo Instituts zu Folge werden in Europa in diesem Jahr so wenige neue Wohnungen gebaut wie zuletzt 2015. Mit insgesamt 1,5 Millionen Einheiten liegt die erwartete Zahl 5,5% unter dem Wert des vergangenen Jahres. So werden in Deutschland 2025 demnach voraussichtlich etwa 205.000 neue Wohnungen entstehen. Im vergangenen Jahr waren es noch rund 250.000 Einheiten.

Ersten Erholungen namentlich in den skandinavischen Ländern stehen dort teilweise 50-prozentigen Rückgängen in den Vorjahren gegenüber.

So ist beispielsweise in Finnland definitiv die mangelnde Verfügbarkeit von Wohnraum – und nicht dessen preisliche Gestaltung – der Hauptgrund für die wachsende Überbelegung von Wohnraum. Dort könnten sich ältere Kinder und Verwandte vielfach den Umzug in eine eigene Wohnung leisten, finden aber kein geeignetes Angebot.

In Irland und Spanien wird die Ausgründung von Haushalten dagegen durch das Miet- und Preisniveau beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass diese Länder eine hohe Eigentumsquote aufweisen. Es darf angenommen werden, dass hier viele Menschen in einer Wohnung leben, weil einige Haushaltsmitglieder auf etwas Eigenes sparen.

Es wird große Anstrengungen erfordern, um der Hausforderung der Überbelegung gerecht zu werden. Auf europäischer Ebene sind erste Bemühungen erkennbar und auch die nationalen Regierungen räumen der Förderung eine höhere Priorität ein.

So will die EU-Kommission im kommenden Jahr einen ersten European Affordable Housing Plan vorlegen. Der Plan soll die Wohnraumversorgung in den Mitgliedsstaaten unterstützen. Um mehr Investitionen für bezahlbaren und nachhaltigen Wohnraum anzuziehen, soll der für Wohnen zuständige EU-Kommissar mit der Europäischen Investitionsbank zusammenarbeiten und mit der Bank eine paneuropäische Investitionsplattform etablieren. Einbezogen werden sollen unter anderem auch nationale Förderbanken.

In Deutschland bemühen sich Bund und Länder derzeit um Planungserleichterungen, um über steigende Genehmigungszahlen und eine Aktivierung des Bauüberhangs mehr Fertigstellungen zu erreichen.

Solchen Anstrengungen gegenüber stehen gesellschaftliche Trends, wie die zunehmende „Versingelung“ und der Remanenzeffekt, die zu einem wachsenden Wohnflächenverbrauch führen. Von letzterem dürften namentlich stark regulierte Mietwohnungsmärkte betroffen sein, die das Verbleiben älterer Menschen in einer nach dem Auszug der Kinder zu großen Mietwohnung durch die große Differenz zwischen Bestands- und Neuvertragsmieten begünstigen.

Hingegen könnten Digitalisierung und teilweise auch die Sharing-Ökonomie wiederum zu einem perspektivisch geringeren Wohnflächenverbrauch führen. In vielen Neubauprojekten wird diese Entwicklung durch kleinere Wohnungen und teils größere Gemeinschaftsflächen bereits antizipiert. Dass sich dieser Trend signifikant auf das Marktgeschehen auswirkt, ist momentan jedoch noch nicht zu erkennen.

In diesem Sinne bleibt als Antwort auf die Herausforderungen der Wohnraumversorgung vor allem, den Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen zu erleichtern. Zumal die europäischen Großstädte auch weiterhin viele Neubewohner anziehen werden.

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*) Lars Vandrei ist Head of Research bei Catella Investment Management