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Nachhaltige Kapitalanlage bei deutschen Versicherern: Aktueller Stand, Herausforderungen und Lösungsansätze

Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage ist für Versicherer unumgänglich geworden: sowohl bei der Gestaltung des Eigenkapitals als auch im fondsgebundenen Geschäft. Es wird immer deutlicher, dass die Nicht-Betrachtung von Umwelt-, Gesellschafts- und Unternehmens-/ Regierungsführungs-Kriterien (ESG-Faktoren) Risiken für das Portfolio bedeuten kann. Diese bedeuten wiederum finanzielle und Reputationsrisiken. Darüber hinaus ist der Wille der Branche deutlich, einen positiven Beitrag für Umwelt und Gesellschaft zu leisten und als Marktteilnehmer, dessen Kerngeschäft die Absicherung von Risiken ist, nicht zur Verschärfung von ESG-Risiken beizutragen.

Marie Niemczyk

Treiber der Einbindung von Nachhaltigkeit in die Kapitalanlage
Die schnell zunehmende Regulierung ist ein weiterer wesentlichen Treiber der Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage. Neben risikobezogenen Überlegungen und aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen rücken zudem die Chancen des nachhaltigen Investierens und deren potenzieller Mehrwert verstärkt in den Fokus. Das Bewusstsein dafür ist bei Investoren zuletzt signifikant gewachsen und es wird zunehmend berücksichtigt, dass die Einbindung von ESG-Faktoren zu einem umfassenderen Risikomanagement führen kann.

Unterstützend wirken Erkenntnisse aus Forschung und Praxiserfahrung, dass sich Nachhaltigkeit nicht negativ auf das Rendite-Risiko-Profil auswirken muss. Das Bestreben, neue Anlageopportunitäten, die sich aus strukturellen Nachhaltigkeitstrends erschließen lassen, zu nutzen, wirkt ebenfalls als Triebkraft. Bei manchen Versicherern spielen im fondsgebundenen Geschäft kommerzielle Betrachtungen eine Rolle: Schließlich wächst bei Endverbrauchern stetig die Nachfrage nach mehr Nachhaltigkeit auch bei Versicherungsprodukten.

Aktueller Stand bei der Umsetzung
In der Praxis ist die Umsetzung von Nachhaltigkeit sehr unternehmensindividuell. Es ist wichtig, dass die Implementierung auf die spezifischen Anforderungen und Ziele des Versicherers abgestimmt ist und dass die Umsetzungswege zu den gehaltenen Instrumenten passen. Tendenziell folgen Versicherer aber einem ähnlichen Vorgehen, das aus drei Phasen besteht. Dies zeigt eine gemeinsame Studie von Candriam und den Versicherungsforen Leipzig zur Implementierung von ESG-Faktoren in die Kapitalanlage deutscher Versicherer.

Somit beschäftigen sich die meisten Versicherer seit mehreren Jahren verstärkt mit dem Thema und haben die konzeptionelle Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsagenda abgeschlossen. Im Laufe dieser ersten Phase wird generell auch die Organisation von Nachhaltigkeitsverantwortlichen definiert. Eine zweite Phase umfasst eine erste Umsetzung in der Kapitalanlage. Ausschlusslisten sind hier wegen ihrer zügigen und effizienten Umsetzbarkeit der branchenweite Startpunkt. Diese Ausschlusslisten werden oft zunächst bei liquiden Assets angesetzt. Im europäischen Aktienbereich erlaubt die gute Datengrundlage so einen einfachen Ausschluss von Aktivitäten wie Waffenproduktion, Tabak oder auch die CO2-intensive Energiegewinnung. Viele Versicherer haben diese zweite Phase heute umgesetzt.

Allein: Das Bewusstsein um die begrenzte Wirkung von Ausschlusslisten wächst. Ein großer Anteil der Versicherer erweitert diese deshalb in einem dritten Schritt um andere Umsetzungswege. Bei sogenannten Best-In-Class oder Best-In-Universe-Ansätzen wird nur in Unternehmen oder Länder mit den besten ESG-Ratings innerhalb ihrer jeweiligen Sektoren oder Universen investiert. Beim Ansatz Integration dagegen werden ESG Kriterien direkt in die Titelanalyse eingegliedert. Bei der Auswahl von Strategien, die einen solchen Integrations-Ansatz nutzen, ist es wichtig, dass Versicherer die vorherrschende Definitionsvielfalt beachten – die Tiefe der Integration kann deshalb sehr unterschiedlich ausfallen. Klare Nachhaltigkeits-Indikatoren sind also unverzichtbar. Thematische Anlagestrategien, die danach streben, Wachstumspotential aus strukturellen Megatrends wie der Energiewende oder der Kreislaufwirtschaft zu schöpfen, bieten eine weitere, immer häufiger eingesetzte Lösung.

Zunehmend werden die gewählten Umsetzungswege mit Stewardship verbunden – im Dialog mit den investierten Unternehmen zu ESG-Themen und mit einer engagierten Stimmrechtausübung, welche auch im Rahmen der Shareholder Rights Directive und ARUG II an Bedeutung gewinnt. Versicherer, die bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit relativ fortgeschritten sind, widmen sich zumeist in der dritten Phase auch der Ausarbeitung eigener Key Performance Indicators (KPIs), um die Auswirkungen der nachhaltigen Anlagepolitik zu erfassen.

Eigeneinschätzung und Zielsetzung
Die Studie von Candriam und den Versicherungsforen Leipzig zeigt, dass deutsche Versicherer ihren Ist-Zustand beim nachhaltigen Investieren als relativ positiv bewerten. Auf einer Skala von 1 bis 10 (Bestnote), verleiht sich ein Großteil der befragten Häuser eine Note von 6, 7 oder 8. Interessant ist, dass sie sich jedoch in ihrem Verständnis von der Bestnote unterscheiden: Ihre Definitionen variieren von vollkommen nachhaltigen Portfolios, über Impact Investing bis hin zu einem rein grünen Geschäftsmodell für das Gesamtunternehmen. In gewisser Weise spiegelt dies den derzeitigen Mangel an einheitlichen Standards und Maßstäben wider. Denn auch wenn europäische Richtlinien wie die Non-Financial Reporting Directive, die Taxonomy For Sustainable Activities und die Sustainable Finance Disclosure Regulation mehr Klarheit und Vergleichbarkeit schaffen sollten, gibt es bis zur Fertigstellung dieser Maßnahmen noch Ungewissheiten. Im Falle der Offenlegungsverordnung werden etwa mehrere der sogenannten Level-1-Anforderungen ab März 2021 in Kraft treten. Einige dieser Maßnahmen beruhen wiederum auf Elementen, die im noch nicht fertiggestellten Level 2 der Verordnung definiert werden sollen.

Die Studie identifizierte zwei Herangehensweisen in Hinblick auf solche regulatorischen Unsicherheiten. Versicherer, die bei der Einbindung von Nachhaltigkeit fortgeschritten sind, tendieren dazu, die Zeit der methodischen Freiheiten zu nutzen, um eigene Ideen zu entwickeln und der Regulatorik einen Schritt voraus zu sein. Demgegenüber stehen Versicherer, die bei der Messung von ESG-Risiken und Auswirkungen noch keine weitreichenden Maßnahmen getroffen haben und auf feste regulatorische Vorgaben warten, insbesondere für eine zielgerichtete Datenbeschaffung und Auswahl von Indikatoren.

Welche Ziele setzen sich deutsche Versicherer im Bereich der nachhaltigen Kapitalanlage?
Für Unternehmen die Nachhaltigkeitsmanagement nicht als Alleinstellungsmerkmal ansehen, zählen besonders die Messung des CO2-Fußabdrucks, die Einbindung von ESG-Kennzahlen im Risikomanagement, Klimastresstests und der Aufbau einer Reporting-Infrastruktur. Diese Ziele werden ebenfalls von Versicherern angestrebt, die das eigene Nachhaltigkeitsmanagement als Unique Selling Point (USP) ansehen. Diese Versicherer setzen zusätzlich auf die vollumfängliche Integration von ESG-Faktoren in allen Assetklassen, das Monitoring eigener Kennzahlen und das Erarbeiten von zum Endkunden sichtbaren Alleinstellungsmerkmalen.

Herausforderungen und Lösungsansätze
Aus der Studie geht hervor, dass die Erfahrungen deutscher Versicherer bei Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage, bislang positiv ausfallen und sich zudem keine negativen Performance-Rückschlüsse beobachten ließen. Das heißt aber nicht, dass sie dabei nicht auf zahlreiche Herausforderungen stoßen. Eine der größten Herausforderungen liegt in der Verfügbarkeit und Qualität von ESG-Daten. Dies ist bei nicht-börsengelisteten und illiquiden Wertpapieren besonders akut. Auch die fehlende Konsistenz zwischen den Datenanbietern kann die Entscheidungsfindung verzögern. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, dass nachhaltiges Investieren qualitative Anhaltspunkte zur zukünftigen Entwicklung benötigt – schließlich geht es darum, die Verbesserung von ESG-Kriterien zu unterstützen. Einen Ausweg bietet die Zusammenarbeit mit spezialisierten Asset Managern, die fundamentales ESG-Research durchführen und im steten Dialog mit Unternehmen stehen. So bekommen Versicherer ein besseres Bild zu Bewertungen, Stärken und Grenzen der angewandten Methodik sowie zu Gründen für Rating-Diskrepanzen.

Ferner stellt sich die Frage nach der Gewichtung der drei Faktoren – Umwelt, Gesellschaft und Unternehmens-/ Regierungsführung – bei verschiedenen Anlageklassen. Die Studie verdeutlicht, dass zum Beispiel bei Staatsanleihen lange die Tendenz vorherrschte, das systemische ESG-Risiko als gering einzuschätzen und Governance oft als einflussreichsten Faktor zu betrachten. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen aber, dass Nachhaltigkeit bei Staatsanleihen immer wichtiger wird. Auch die aktuelle Covid-19-Krise unterstreicht die Rolle des S-Faktors. Es ist also besonders wichtig, die Materialität von ESG-Faktoren zu verstehen, sprich: die relative Relevanz eines Faktors für ein bestimmtes Land.

Fazit
Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage ist mit Risiken und Chancen verbunden. Für Versicherer geht es darum, sie so umzusetzen, dass sie die Widerstandsfähigkeit der Kapitalanlage gegenüber Nachhaltigkeits-Risiken gewährleistet und soweit wie möglich erlaubt, attraktive Anlageopportunitäten zu eruieren. Die Fähigkeit, von diesen ESG-Chancen zu profitieren, ist ein Schlüssel zur Aufrechterhaltung des langfristigen Ertragspotenzials. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, Umsetzungswege zu wählen, die zum jeweiligen Portfolio passen sowie bei der Bewältigung, der mit Nachhaltigkeit verbundenen Herausforderungen, mit Partnern zusammenzuarbeiten, die über eine bewährte Expertise in diesem Bereich verfügen.

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*) Marie Niemczyk, Head of Insurance Relations bei Candriam