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Kommentar: Mit Value-Strategien aus der Krise

Die mit der Corona-Krise verbundenen wirtschaftlichen Unsicherheiten und der damit einhergehende verkürzte Anlagehorizont vieler Investoren haben den Druck auf Value-Aktien nochmals verschärft. Doch langfristig sind es nicht nur Wachstumswerte, die vom beschleunigten Wirtschaftswandel profitieren.

Heather McPherson

Weit verbreitete Innovationen und der daraus resultierende sektorale Strukturwandel sind ein guter Grund dafür, dass Value-Titel seit anderthalb Jahrzehnten hinter Growth-Aktien und dem breiten Markt zurückbleiben. Doch eröffnet ein genauerer Blick auf die langfristigen Investmentrisiken im Zusammenspiel mit einer disziplinierten Analyse der Bewertungen Chancen, die sich aus Fehlallokationen ergeben.

Im ersten Halbjahr 2020 ist der Druck auf Value-Aktien erneut gewachsen. Dabei haben die durch das Corona-Virus hervorgerufenen wirtschaftlichen Schäden den durch langfristige Trends ohnehin bestehenden Gegenwind in bestimmten Sektoren nochmals verschärft.

Die Ursache ist vielfach der technologische Wandel. Dabei hat die Corona-Krise die Verbreitung disruptiver Technologien beschleunigt, etwa den Online-Handel, Streaming-Dienste und Cloud-basierte Softwarelösungen, die ortsungebundenes Arbeiten ermöglichen. Zudem haben Angst und Unsicherheit Investoren dazu veranlasst, während der Erholungsrally auf leicht verständliche Wachstumsstorys zu setzen, ohne einen näheren Blick auf die Bewertungen zu werfen.

Innovation und die Growth-Value-Disparität
Ein entsprechender Zuspruch zu Wachstumstiteln um jeden Preis bei gleichzeitig großer Abneigung, zyklische Risiken in Kauf zu nehmen, erklärt, warum 92% der Titel aus dem Russell 1000 Growth Index ihre Pendants aus dem Russell 1000 Value Index über die zwölf Monate bis zur Jahresmitte 2020 geschlagen haben. Dieser Trend hat zur Folge, dass der Bewertungsunterschied zwischen Value- und Growth-Titeln so groß ist wie zuletzt in den frühen 2000er Jahren.

Schlussendlich, so ist zu erwarten, werden sich diese Übertreibungen auflösen oder zumindest abschwächen. Den genauen Zeitpunkt für eine Trendwende im Growth-Value-Zyklus zu bestimmen ist allerdings unmöglich, insbesondere was eine nachhaltige Umkehr betrifft.

Stock Picking ist die Devise
Sinnvoller erscheint daher, sich gezielt auf die Suche nach einzelnen qualitativ hochwertigen Unternehmen zu begeben, die unter ihrem inneren Wert notieren. Hintergrund sind meist kurz- bis mittelfristige Schieflagen, die sich über die Zeit auflösen sollten. So geht es klarerweise nicht darum, die absolut am günstigsten bewerteten Aktien zu identifizieren, sondern vielmehr jene, die gemessen an ihren langfristigen Aussichten am attraktivsten bewertet erscheinen.

Dabei bietet sich an, individuelle kurzfristige Unternehmensumstände zu beachten, die der Markt als langfristiges Risiko fehlinterpretiert. Und hier sind Bewertungen durchaus hilfreich. So gibt es beispielsweise im Finanzsektor derzeit viele günstige Aktien, weil die Marktteilnehmer wegen des Corona-Virus mit einer anhaltenden wirtschaftlichen Schwächephase rechnen, die sich negativ auf die Kreditqualität von Banken und ihre Versicherungsansprüche auswirken wird. Hinzu kommen die Auswirkungen der Niedrigzinspolitik auf die Bilanzen im Bankgewerbe.

Günstige Bewertungen allein reichen aber naturgemäß nicht aus. Im Finanzsektor etwa gilt es, Banken in den Blick zu nehmen, deren Aufwärtspotenzial auf unternehmensspezifische Gründe zurückzuführen ist – dazu zählen etwa Kosteneinsparungen oder die Reduzierung des Kreditrisikos in Folge der Finanzkrise, die zu einer Outperformance gegenüber den Wettbewerbern führen sollte – weitestgehend unabhängig vom makroökonomischen Ausblick oder auch der Erwartung steigender Zinsen.

Kurzfristige Belastungen als langfristige Chancen
Interessante Gelegenheiten könnten sich auch in Bereichen eröffnen, in denen der Markt kurzfristige Störungen als langfristige Risiken einstuft, ohne das Potenzial für Verbesserungen der Fundamentaldaten auf Unternehmens- und Branchenebene zu erkennen.

Das gilt beispielsweise für die Holz- und Papierindustrie, deren Wertschöpfungskette weiteres Potenzial verspricht. Unter anderem sollte sich der Trend zu Papier- statt Plastikverpackungen langfristig positiv auswirken. Für ein Investment in die börsengehandelte Immobiliengesellschaft Weyerhaeuser, die Wälder und Holzverarbeitungsstätten besitzt, spricht beispielsweise trotz der aufgrund kurzfristiger zyklischer Schwierigkeiten erfolgten Aussetzung der Dividende nicht nur eine steigende Nachfrage, sondern auch weiterer Rückenwind, der sich daraus ergeben sollte, dass Wälder der Atmosphäre schädliches CO2 entziehen.

Investmentgelegenheiten bieten darüber hinaus auch Unternehmen, die grundsätzlich zu den Gewinnern des wirtschaftlichen Wandels zählen, deren nachhaltiger Erfolg jedoch umstritten ist und deren Bewertungen entsprechend bestechend erscheinen. Ein solches Unternehmen ist beispielsweise Qualcomm. Der führende Chip-Hersteller sollte vom globalen Ausbau der Mobilfunknetze auf den 5G-Standard profitieren, sieht sich allerdings in den vergangenen Jahren immer wieder Rechtstreitigkeiten mit Apple und Samsung gegenüber.

Wie bei jedem Value-Investment gilt auch hier: Es braucht Zeit, bis sich ein Engagement auszahlt. Durchaus möglich erscheint, dass sich eine Neubewertung grundsätzlich attraktiver Value-Werte durch das Corona-bedingt unsichere makroökonomische Umfeld weiter verzögert. Allerdings sollten sich am die Fundamentalanalyse und ein längerfristiger Investmenthorizont durchsetzen.

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*) Heather McPherson, Co-Portfoliomanager, T. Rowe Price US-Large-Cap Value Equity Strategy