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Kommentar: Kommt jetzt der Abstieg vom Zinsgipfel?

In den USA und in Europa stehen die Zinsen so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein ungewöhnliches Umfeld für Anleihen-Investoren. Die entscheidende Frage ist: Wie geht es nun mit den langfristigen Renditen weiter – ist das Rendite-Hoch vorbei oder folgen Plateau und Nebengipfel?

Dr. Volker Schmidt

Viele Anleger schienen im vierten Quartal 2023 auf ein schnelles Absinken der Renditen zu setzen: Geldflussdaten zeigen, dass das Tempo der Käufe langlaufender Staatsanleihen – vor allem in den USA – so hoch war wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das hängt mit der Antizipation baldiger Zinssenkungsschritte der Zentralbanken zusammen. Denn die schürt ihrerseits die Erwartung sinkender Renditen – und steigert dadurch die Nachfrage nach langfristigen Anleihen.

Zinssenkungserwartungen an Federal Reserve (Fed) und Europäische Zentralbank (EZB) teilten Ende des vergangenen Jahres auch viele Analysten: Bank of America (BofA) Global Research erwartete beispielsweise, dass die Fed ihre Leitzinsen 2024 in vier Schritten um insgesamt 100 Basispunkte senken würde. Den ersten Schritt erwartete die BofA bereits im März. Für die Eurozone lag der Marktkonsens für das Gesamtjahr 2024 im Dezember sogar bei Zinssenkungen um insgesamt 150 Basispunkte. Experten der Deutsche Bank rechneten dabei mit einem ersten Schritt im April.

Der Renditeweg ist unklar: Folgen Abstieg, Plateau oder Nebengipfel?
Doch Vorsicht bei derlei Wetten: Sie sind mit einigen Risiken verbunden. Zwar gelten Zinssenkungen 2024 mittlerweile als nahezu sicher. Gleichzeit bemühten sich die Währungshüter in den USA und Europa noch Mitte Dezember darum, Erwartungen an eine baldige Zinswende zu bremsen. Denn um den Jahreswechsel gibt es einige Indikatoren, die den Desinflationsprozess in Frage stellen:

Die Arbeitsmarktlage in den USA und Europa kühlt sich insgesamt nur langsam ab. Das Lohnwachstum blieb im dritten Quartal 2023 auf einem hohen Niveau. In der Folge sind auch die Konsumdatendaten – vor allem in den Vereinigten Staaten – stabil. Ein angespannter Arbeitsmarkt und starker Konsum sprechen gegen einen baldigen Rückgang der Teuerungsraten auf das in USA und Eurozone ausgegebene Ziel von zwei Prozent.

Ein weiteres Risiko bleibt die geopolitische Lage. Das Kräftemessen zwischen China und den USA, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Krise in Nahost trüben die Aussichten auf den internationalen Handel.

Die Faktoren sowohl auf Angebots- als auch Nachfrageseite deuten insgesamt auf eine hartnäckige Inflation hin. Der Optimismus der Märkte auf baldige Zinssenkungen könnte vor diesem Hintergrund verfrüht sein. Kommt es gar zu einem plötzlichen Angebotsrückgang durch externe Schocks oder einem überproportionalen Nachfragezuwachs, dann droht sogar ein erneuter Anstieg der Teuerungsrate. Die Renditen für langlaufende US-Anleihen könnten entgegen der Erwartung vieler Anleger also vorerst auf einem Plateau verbleiben und nur langfristig zurückgehen – oder sogar noch einmal ansteigen.

Risikofaktor Staatverschuldung
Auch die beispiellose Staatverschuldung auf beiden Seiten des Atlantiks ist ein Risiko. Die von Eurostat prognostizierte Summe von 12,6 Billionen Euro im Jahr 2023 entspricht über 90% der Wirtschaftsleistung (13,4 Billionen Euro) des Euroraums. Das ist eine Verdopplung seit 2008. In den USA haben sich die Staatsschulden im selben Zeitraum sogar mehr als verdreifacht. 2023 werden sie laut der Prognose des Internationalen Währungsfonds (IMF) bei 33,2 Billionen US-Dollar liegen – und somit bei 120% der Wirtschaftsleistung der vereinigten Staaten.

Und die Verlangsamung der Staatsverschuldung ist nicht zu erwarten: Laut Prognosen des Haushaltsbüros des US-Kongresses (Congressional Budget Office/CBO) werden die Haushaltsdefizite von 2024 bis 2033 in jedem Jahr 5,5% des BIP erreichen oder überschreiten. Damit liegen sie deutlich über dem jährlichen Durchschnittsdefizit von 3,6% des BIP seit 1973. Das spricht für eine ungesunde Dynamik der US-Staatsverschuldung.

Das dürfte die Renditen durch ein höheres Angebot auf dem Anleihen-Markt steigen lassen. Dies würde für die Renditen langfristiger ebenfalls auf ein Plateau hindeuten als auf einen baldigen Abstieg.

Sinnvolle Maßnahmen in der derzeitigen Situation
Für Investoren, die in Anleihen investieren, ist diese Entwicklung Fluch und Segen zugleich: Einerseits sorgen Zinssteigerungen für Kursverluste bei bestehenden Investments. Andererseits können Sie auch der Grundstein für eine positive Performance in der Zukunft sein.

Was also tun, um das Anleiheportfolio sicher durch diese unsicheren Zeiten zu steuern? Zum einen können Anleger vorsorglich die Duration ihrer Portfolios reduzieren, das heißt die durchschnittliche Bindungsdauer ihres eingesetzten Kapitals verringern. Zum Beispiel, indem sie Anleihen mit langer Laufzeit verkaufen und Zinssicherungsinstrumente einsetzen. Auf diese Weise minimieren sie ihre Exposure gegenüber Zinsänderungsrisiken: Das Anleihen-Portfolio wird weniger anfällig für Kurssteigerungen bzw. -senkungen.

Kurz vor oder während eines Zinsgipfels kann es für Anleger auch attraktiv sein, neu emittierte Anleihen mit höherem Kuponzinssatz zuzukaufen. Trotz zwischenzeitlicher Aufwärtsdynamik werden die Zinsen mittelfristig sinken, was Anlegern in festverzinslichen Wertpapieren eine gute Performance bescheren dürfte. In der Erwartung, dass es keine weiteren Zinserhöhungen geben wird, ist der Aufbau von Positionen am längeren Ende der Kurve dementsprechend ein aussichtsreicher Schritt. Wer von langfristig hohen oder sogar noch steigenden Zinsen profitieren möchte, der kann auch Short-Positionen auf Staatsanleihen in Betracht ziehen.

Insgesamt ist ein vorsichtiger Ansatz in einem unsicheren Marktumfeld ratsam. Das gilt insbesondere für Anleihen-Anleger, die langfristig mit dem Rückgang der Renditen, allerdings mit Zwischenstopps und möglichen Anstiegen am langen Ende der Renditenkurve rechnen.

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*) Dr. Volker Schmidt, Senior Portfolio Manager des Ethna-DEFENSIV bei ETHENEA