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Kommentar: Europäische Kurzläufer sind zurück

Während die Europäische Zentralbank das Ende der langen Negativzins-Ära eingeläutet hat, sorgen attraktive Bewertungen und eine Ausweitung der Risikoaufschläge für ein deutlich verbessertes Gesamtertragspotenzial von kurzlaufenden Anleihen in der Eurozone

Konstantin Veit

Dieses Jahr wird für Anleger, die an den europäischen Märkten für Anleihen mit kurzer Laufzeit aktiv sind, ein wichtiger Wendepunkt sein. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nicht nur die Nettokäufe von Vermögenswerten beendet. Sie ist auch bestrebt, die Leitzinsen wieder in den positiven Bereich zu bringen. Auf ihrer Juli-Sitzung erhöhte sie die Zinssätze um 50 Basispunkte – das war etwas überraschend, da ein derartiges Tempo der Normalisierung der Geldpolitik zu Beginn des Jahres nicht zu erwarten war. Die Anhebung im Juli fiel ebenfalls stärker aus als die auf der EZB-Sitzung im Juni angekündigte Zinserhöhung. Sie bedeutet zudem das Ende einer achtjährigen Phase negativer Leitzinsen. Mittlerweile ist der Leitzins sogar positiv und weitere Zinserhöhungen werden folgen.

Der Inflationsdruck infolge der Pandemie und des Krieges in der Ukraine hat zu einer drastischen und plötzlichen Neubewertung des europäischen Zinsuniversums geführt, wobei die EZB derzeit einen Zinserhöhungszyklus von 175 Basispunkten einpreist (was einem Endsatz von 1,25% für die Einlagefazilität entspricht). Vor diesem Hintergrund sollten die aktuellen Marktpreise den Investoren in europäische Anleihen mit kurzer Laufzeit endlich eine viel angemessenere Entschädigung bieten als das, was während des größten Teils des letzten Jahrzehnts geboten wurde. Dennoch sollten Anleger den verschiedenen Schätzungen eines neutralen Leitzinses für den Euroraum nicht zu viel Bedeutung beimessen. So könnte der Endsatz des aktuellen Zinserhöhungszyklus durchaus im Bereich der restriktiven Politik statt der weitgehend neutralen 1,25% landen.

Zu erwarten ist auch, dass die EZB, nachdem sie die negativen Leitzinsen hinter sich gelassen hat, in Zukunft eher zurückhaltend sein wird, wenn es um die Wiedereinführung einer solchen Maßnahme geht. Die negativen Leitzinsen seit 2014 waren vor allem der Versuch, den Ankauf von Staatsanleihen so lange wie möglich zu vermeiden. Denn eine groß angelegte quantitative Lockerung war zu dieser Zeit politisch ein heikles Thema. Sollte in Zukunft ein disinflationäres Umfeld eine zusätzliche Akkommodation an der Nullzinsgrenze rechtfertigen, wird die EZB unserer Meinung nach eher auf breit angelegte Ankäufe von Vermögenswerten, günstige Refinanzierungsgeschäfte für den Bankensektor und eine klare Kommunikation über künftige geldpolitische Absichten, die sogenannte forward guidance, zurückgreifen - ohne dass negative Zinssätze wieder Teil des geldpolitischen Mixes sind.

Aus der Defensive zur gezielten Offensive
Grundsätzlich ist jetzt aller Voraussicht nach ein guter Zeitpunkt, um in europäische Anleihen mit kurzer Laufzeit zu investieren. Indes gilt es, zwei Risiken zu berücksichtigen, die für mittelfristige Anlageentscheidungen wichtig sind – Risiken, die für eine Umstellung auf selektive Offensive sprechen, ohne jedoch das Thema der Absicherung völlig aufzugeben. Die bevorstehende Volatilität (das erste Risiko) spricht für eine Konzentration auf aktives Management. Die Aussicht auf eine Rezession (das zweite Risiko) spricht für eine Konzentration auf Qualität.

Insgesamt ist künftig ein ganz anderes makroökonomisches Umfeld zu erwarten als in der jüngeren Vergangenheit, insbesondere im Vergleich zum Umfeld vor der Pandemie. Wir werden wahrscheinlich kürzere makroökonomische Zyklen und Finanzmarktzyklen mit größeren Schwankungen und stärkeren Divergenzen zwischen den Ländern erleben. Das bedeutet, dass Anleger sich in einem wesentlich schwierigeren Umfeld zurechtfinden müssen. Die Welt fragmentiert sich auch, da wir von einer unipolaren Welt (mit den USA als einziger Supermacht) zu einer multipolaren Welt übergehen. Eine stärker zersplitterte Welt erfordert einen selektiveren Ansatz, wenn es um die Allokation von Kapital zwischen verschiedenen Ländern geht.

Außerdem leben wir in einer Welt, die in Bezug auf die Inflation zu heiß und in Bezug auf das Wachstum zu kühl ist; eine Welt, die wir als „Anti-Goldilocks“ bezeichnet haben. Rezessionsrisiken sind für Europa mit seiner extrem großen Abhängigkeit von Energieimporten besonders relevant.

Da die Rezessionsrisiken zunehmen, wird die Auswahl der Kreditpapiere immer wichtiger werden. Aufgrund der jüngsten Ausweitung der Kreditspreads ist zu beobachten, dass einige qualitativ hochwertigere Marktsegmente wieder attraktive Bewertungen bieten. Allerdings könnte es bei Allokationen in einigen der kreditsensitivsten Sektoren angesichts der spätzyklischen Dynamik und der nachlassenden Unterstützung durch die Zentralbanken (aufgrund des erhöhten Inflationsdrucks) ein böses Erwachen geben. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Fiskalpolitik angesichts des Inflationsdrucks und der hohen Verschuldung, die in vielen Fällen die Folge einer breit angelegten Unterstützung während der Pandemiezeit ist, von nun an sehr viel gezielter sein wird.

Short-Duration-Strategien können Anlegern helfen, zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen – von der Suche nach einer höheren Rendite im Vergleich zu traditionellen Bargeldanlagen bei nur geringfügig höherem Risiko bis hin zur Verringerung des Marktrisikos und der Empfindlichkeit gegenüber steigenden Zinsen. Zwar weisen diese Strategien von ihrem Wesen her gewisse defensive Eigenschaften auf. Dennoch gibt es schon grundsätzlich, insbesondere aber unter den aktuellen Umständen wenig Raum für einen so genannten „Hands-Off“-Managementansatz, der den Markt weitgehend passiv abbildet. Denn das makroökonomische Umfeld deutet auf unbeständige Zeiten hin und erfordert ein aktives Management der liquiden Mittel und der kurzfristigen Allokationen, wobei die Qualität im Vordergrund stehen sollte – sowohl aus Sicht der Top-Down-Vermögensallokation als auch bei der Bottom-Up-Kreditauswahl.

Risikoentschädigung sieht viel vernünftiger aus
Mit einem derartigen Fokus auf aktives Management mit Qualitätsorientierung könnten Anleger jetzt wieder eine viel angemessenere Entschädigung für das Risiko bekommen, das sie am vorderen Ende der europäischen Renditekurven eingehen. Ein Mangel an solcher Entschädigung hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass europäische Anleger aggressiv die Durations- und Qualitätsleiter nach oben und unten geklettert sind, um negative Renditen zu vermeiden. Die Neufestsetzung der EZB-Leitzinsen und die Ausweitung der Kreditspreads sollten jetzt ein vielversprechenderes Umfeld für die Gesamtrendite schaffen – und zwar ohne die Notwendigkeit eines übermäßigen Engagements in Durations- und Kreditrisiken.

Noch vor einem Jahr, als ein Ende der Nettokäufe von Vermögenswerten durch die EZB nicht absehbar war (und Zinserhöhungen in weiter Ferne zu liegen schienen), mussten die Anleger rund 6,4 Jahre Durations- und Spread-Risiko in Kauf nehmen, um eine Gesamtrendite von 0,5% für ihre Anlagen zu erreichen. Heute hat sich diese Zahl erheblich verändert und liegt derzeit bei 0,6 Jahren Durations- und Spread-Risiko.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Betrachtung verschiedener Indizes mit niedriger Duration. So hat sich der Bloomberg Euro Aggregate 1-3 Year Index (ohne Unternehmensanleihen und verbriefte Vermögenswerte) im letzten Jahr von minus 0,5% auf 1,0% Rendite bis zur Fälligkeit bewegt.

Bei einem kurzfristigen Portfolio ist das Durations- und Spreadrisiko in der Regel nicht genau gleich hoch. Mit einer Kombination aus Indizes, die kurzlaufende Anleihen abbilden, lässt sich derzeit eine Rendite von 1,6% bis zur Fälligkeit erzielen, bei einem bescheidenen Durationsrisiko von einem Jahr und einem Spread-Risiko von 1,45 Jahren bei hoher Qualität. Dieses potenzielle Rendite-Risiko-Verhältnis erscheint nicht nur im historischen Vergleich attraktiv, sondern auch im Vergleich zu traditionellen Bargeldanlagen. Diese werfen in der Regel deutlich weniger Rendite ab und passen sich in einem Umfeld steigender Zinsen langsamer an. Die Reaktion der Banken auf den Leitzinszyklus im Hinblick auf die Anpassung der Einlagenvergütung ist tendenziell asymmetrisch. Während geldpolitischer Lockerungszyklen erfolgt sie eher schnell und vollständig, während der Erhöhungszyklen jedoch langsam und teilweise. Dies gilt insbesondere für Privat- und Firmenkundeneinlagen.

Deutlich verbessertes Gesamtrenditepotenzial
Zusammenfassend erscheint der Markt für kurzlaufende Anleihen aus Bewertungssicht endlich wieder attraktiv, da die EZB die negativen Leitzinsen hinter sich lässt und sich die Kreditspreads an die schwächeren Wachstumsaussichten angepasst haben. Eine Konzentration auf aktives Management und die höherwertigen Segmente des Anleihenspektrums sollten der Schlüssel für ein stark verbessertes Gesamtrenditepotenzial während der kommenden volatilen und unsicheren Zeit sein.

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*) Konstantin Veit, Portfoliomanager und Leiter des Euro-Staatsanleiheteams bei PIMCO