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Kommentar: Der künftige Wachstumsmarkt indische Staatsanleihen - attraktiv für die Portfolio-Diversifikation

Indien hat sich lange sowohl in der Finanz- als auch in der Realwirtschaft vom Rest der Welt abgekapselt. Nach den Plänen der Regierung soll Indien wirtschaftlich zu China aufschließen, was eine stärkere Öffnung seiner Märkte voraussetzt.

Volker Kurr

Das FAR-Programm
Der Subkontinent, mit 1,4 Milliarden Einwohnern der Staat mit der zweitgrößten Bevölkerung, ist die fünftgrößte Volkswirtschaft. Bis 2030 wird Indien voraussichtlich ein Fünftel des globalen Gesamtwachstums ausmachen und laut Prognose der OECD bis 2050 weltweit die – gemessen am Output – drittgrößte Wirtschaft nach China und den USA sein. Allein Indien ist von der Größe her in der Lage, eine Alternative zu China zu bieten, und könnte von dem momentan angespannten Verhältnis zwischen China und dem Westen profitieren.

Als Teil der Lockerung der bisherigen Politik führte die Reserve Bank of India Ende März 2020 das „Fully Accessible Route“ (FAR)-Programm ein. Seitdem können ausländische Investoren indische Staatsanleihen in lokaler Währung erwerben – ohne Quoten und anderen Restriktionen zu unterliegen, die die Investition zuvor nahezu unmöglich gemacht haben. Zu Beginn der Initiative umfasste das Programm fünf Staatsanleihen, derzeit sind 22 Anleihen mit einem Gesamtvolumen von etwa 320 Mrd. US-Dollar verfügbar.

Die Öffnung des Anleihemarkts befindet sich noch immer in einer Anfangsphase. Der Anteil ausländischer Anleger beträgt bislang nur ca. 2%, was im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern extrem niedrig ist. Dort jetzt – vielleicht noch mit First Mover Advantage – zu investieren, erscheint zweifellos sehr reizvoll. Doch wie attraktiv sind die indischen Staatsanleihen tatsächlich?

Diversifikation durch Anleihen mit niedriger Korrelation
Als Beimischung in einem Portfolio könnten die Titel zur Diversifikation beitragen, denn die Anleihemärkte der meisten Industrienationen sind positiv korreliert. Bei indischen Anleihen ist die Korrelation zu diesen Märkten nur sehr schwach oder sogar negativ. Auch die Korrelation zu anderen Schwellenländer-Märkten ist gering.

Dies ist eine Folge der Abschottungspolitik, die eine engere Verflechtung Indiens mit der Welt- und der Weltfinanzwirtschaft verhinderte. Ein weiterer Grund liegt in der besonderen Wirtschaftsstruktur Indiens. Die Rohstoffausfuhr ist hier, im Gegensatz zu vielen Schwellenländern, nur von untergeordneter Bedeutung. Dagegen exportiert das Land in großem Ausmaß Dienstleistungen, vor allem im IT-Bereich.

Renditen im Vergleich
Die Renditen der indischen Staatsanleihen können durchaus verlocken. Die Anleihen aus dem FAR-Programm wiesen per 11. Januar 2023 eine durchschnittliche Rendite von über 7% auf. Der Aufschlag gegenüber US-Staatsanleihen mit vergleichbarer Laufzeit ist damit erheblich.

Indien verfügt mit einer Bonitätsnote von BBB- über Investment-Grade-Status und die Erwartungen der Ratingagenturen für Indien sind stabil. Im Verhältnis zu vergleichbaren US-Unternehmensanleihen oder Anleihen anderen Staaten mit der Bewertung BBB- sieht der Renditeaufschlag somit ebenfalls attraktiv aus.

Die Volatilität und der bisherige Maximum Drawdown indischer Staatsanleihen bewegen sich ungefähr auf dem Level der USA und China – allerdings bei höherem Ertrag. Ebenfalls positiv zu vermerken: Indien ist ein „Non-Defaulter“. Seit der Gründung der Reserve Bank of India im Jahr 1935 ist noch keine indische Staatsanleihe ausgefallen. Indien hat im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von Ländern in diesem Zeitraum seine Schulden stets bedient.

Aufnahme in Flaggschiff-Indizes und die Folgen
Mit der zunehmenden Öffnung für ausländische Investoren wurde für Indexanbieter wie J.P. Morgan und Bloomberg der Einbezug Indiens in ihre Flaggschiff-Indizes ein Thema. Vorreiter könnte J.P. Morgan mit dem Global Bond Index – Emerging Market Global Diversified (JPM GBI-EM Global Diversified) sein.

Vor der Aufnahme in die JP Morgan GBI-EM index-Familie wird ein Land von J.P. Morgan zunächst in einer Watch List gelistet. China wurde im Juni 2017 auf die Watch List gesetzt, die Aufnahme wurde im September 2019 angekündigt. Der Einbezug selbst wurde in monatlichen 1%- Schritten durchgeführt und begann im Februar 2020. Da China aufgrund seiner Größe ein Indexgewicht von 10% erreichen konnte, nahm die Aufnahme zehn Monate in Anspruch.

Indien wurde im Januar 2020 auf die Watch List gesetzt und könnte einen Indexanteil von 10% erhalten. Damit wäre Indien nach China das zweitgrößte Land im Index. Bei einem mit China vergleichbaren Ablauf wäre mit einer Aufnahme in den Index in zehn monatlichen 1%-Schritten noch in diesem Jahr zu rechnen. Es wird angenommen, dass die Indexaufnahme zu Kapitalzuflüssen von schätzungsweise 30 bis 40 Mrd. US-Dollar führen könnte.

Dem Einbezug Indiens in die JP Morgan GBI-EM index-Familie könnte die Aufnahme in den Bloomberg Global Aggregate Index folgen. Der Anteil ausländischer Anleger an den Investoren würde mit den Indexaufnahmen voraussichtlich erheblich steigen; geschätzt wird eine Zunahme bis 2030 von derzeit lediglich 2% auf 9%.

Die vermehrte Nachfrage nach den Anleihen in Folge des Einbezugs in die Indizes dürfte zu einem Renditerückgang bzw. zu einem Kursanstieg führen, wie es schon zuvor bei China der Fall war. Vorstellbar ist eine Verringerung der Rendite in einem Bereich von 30 bis zu 40 oder sogar 50 Basispunkten.

Ausblick für die Rupie
Zu bedenken ist bei der Anlage in indische Anleihen in lokaler Währung die Volatilität der Rupie. In den letzten neun Jahren hat sich die Rupie gegenüber dem Euro und im Vergleich zu anderen Schwellenländerwährungen allerdings als relativ stabil erwiesen.

In Reaktion auf Krisen in der Vergangenheit hat Indien Devisenreserven aufgebaut. Mit etwa 550 Mrd. US-Dollar verfügt das Land über die viertgrößten Reserven der Welt und die zweitgrößten der Schwellenländer nach China. Damit besitzt es die Mittel, seine Währung ohne Zinserhöhungen zu stabilisieren. Auch nach den jüngsten Währungsinterventionen verfügt Indien noch über massive Reserven.

Indien hat ein niedriges Leistungsbilanzdefizit, was die Rupie im Falle höherer globaler Zinsen stärkt. Das Defizit wird vollständig durch ausländische Direktinvestitionen in die Realwirtschaft des Landes finanziert.

Trotz eines für ein Schwellenland erheblichen – wenn auch in den letzten zwei Jahren abnehmenden – Schuldenstands von immer noch 84% des BIP gilt Indien als verhältnismäßig krisensicher. Das Land ist fast ausschließlich im Inland verschuldet. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ferner die Wachstumsrate der Wirtschaft.

Indien und die ESG-Anforderungen
Bei der Entscheidung für die Aufnahme von Werten in ein Portfolio muss heutzutage auch die Frage nach der Erfüllung von ESG-Kriterien gestellt werden.

Die Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft ist ein großes Problem, das Indien konsequent angehen muss. In den Bereichen soziale Gerechtigkeit und Ökologie muss ebenfalls noch viel Arbeit geleistet werden. So hat sich Indien zwar zur Klimaneutralität verpflichtet, diese aber erst für das Jahr 2070 avisiert.

Im Falle Indiens ist aber ein Merkmal zu berücksichtigen, das schwer wiegt und finanzielle Unterstützung trotz einiger ESG-Schwachpunkten mehr als rechtfertigt: Indien ist eine Demokratie, die größte der Welt. In Zeiten, in denen sich in einer ganzen Anzahl von Staaten immer mehr autokratische Strukturen einschleichen, liegt jede Stabilisierung Indiens – zumindest aus westlicher Sicht – im Interesse der Weltgemeinschaft.

ETFs als Einstieg
Für diejenigen, die in indische Lokalwährungs-Anleihen investieren, sich aber diesem für die meisten Ausländer neuen Markt passiv annähern wollen, gibt es zwei ETFs, die sich an dem Index J.P. Morgan India Government Fully Accessible Route (FAR) Bonds orientieren. Der Index bildet die Wertentwicklung der festverzinslichen indischen Staatsanleihen in lokaler Währung, die im Rahmen des FAR-Programms erworben werden können, ab. Die ETFs werden an europäischen Börsen gehandelt und die Besteuerung als europäischer Fonds und ein europäischer Meldestatus ersparen dem Anleger komplizierte Steuerbehandlungen.

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*) Volker Kurr, Head of Europe, Institutional, bei Legal & General Investment Management (LGIM)