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Kommentar: Corona ist noch nicht ausgestanden

Stabilität, Qualität, Chancen und Diversifikation - Szenarioplanung und Asset Allokation in der Corona-Krise

Erik Knutzen

Mitte März traf sich das gesamte Neuberger Berman Asset Allocation Committe zur planmäßigen Prognoserunde für das zweite Quartal 2020: Erstmalig jedoch per Videokonferenz – eine ungewöhnliche Sitzung in einer ungewöhnlichen Zeit. In Europa hatte gerade der Lockdown begonnen. Die Anleihemärkte standen still und an den Aktienmärkten sollte der Tiefpunkt nicht mehr lange auf sich warten lassen. Würde die Weltwirtschaft nur wenige Wochen oder vielleicht mehrere Monate stillstehen? Was würde nach der Krise von der Wirtschaft überhaupt übrig bleiben? Werden wir die größten Anlagechancen seit 2009 erleben oder wird Bargeld der einzige sichere Hafen sein?

Rückblick
Im März lag der Fokus vor allem auf Schadensbegrenzung. Die Zuversicht wuchs, dass der Staat die Märkte stabilisieren würde und dennoch war allen bewusst, dass der Lockdown in Europa und Nordamerika alternativlos sein würde. In den nächsten zwölf Monaten würden die Ausbreitung des Virus und die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen die Wirtschaft bestimmen. Davon würden wiederum die Marktentwicklung und unsere Asset Allokation abhängen. Um entsprechend reagieren zu können, entwickelten wir plausible Szenarien für die Ausbreitung des Virus.

Unser Hauptszenario war eine „U-förmige“ Erholung. Im Mai oder im Juni würde die Epidemie in den USA ihren Höhepunkt erreichen. Spätere Ausbrüche würden lokal bleiben, sodass der Lockdown aufgehoben werden könnte. Die US-Arbeitslosenquote würde auf 15% steigen, um dann langsam wieder zurückzugehen; die US-Wirtschaft würde 2020 um 6% schrumpfen.

Dem stellten wir ein Positivszenario gegenüber, eine „V-förmige“ Erholung und ein „L-förmiges“ Negativszenario. Im Positivszenario würde die Pandemie ihren Höhepunkt schon im April erreichen; die US-Arbeitslosenquote würde nur auf 10% steigen und dann schnell wieder fallen. Die US-Wirtschaft würde sich rasch erholen und 2020 nur um 3% schrumpfen. Im Negativszenario lässt sich das Virus nicht so schnell unter Kontrolle bringen; die Lockerung der Lockdowns würde eine zweite Infektionswelle auslösen. Die Arbeitslosigkeit würde auf 25% steigen, die US-Wirtschaft auch im 3. Quartal schrumpfen. Insgesamt würde das US-BIP 2020 um 10% zurückgehen. Die anschließende Erholung hielte sich in Grenzen, die Rezession würde auch in der ersten Jahreshälfte 2021 anhalten.

In allen drei Fällen entstünden hohe Haushaltsdefizite und die Notenbanken würden noch sehr lange bei einer expansiven Geldpolitik mit sehr niedrigen Zinsen bleiben.

Fokus auf vier Themen
Jetzt, knapp drei Monate später, können wir getrost sagen, dass sich unser Hauptszenario in den meisten Fällen bewahrheitet hat, denn im Fokus unseres Interesses stehen in erster Linie Themen, die nach wie vor für alle drei Szenarien relevant sind: Nachhaltiger Ertrag, Regimewechsel bei Aktien, Fehlbewertungen und alternative Alphaquellen.

Vor allem Investmentgrade-Credits halten wir immer noch für interessant. Wenn die Leitzinsen noch länger niedrig bleiben, wird es bei den Renditen kaum anders sein. Außerdem werden die Unternehmen weiter Schulden abbauen, was die Position der Gläubiger gegenüber den Aktionären stärkt. Selbst im Positivszenario sind Investmentgrade-Anleihen aufgrund ihrer Bewertung attraktiver als High Yield und im Negativszenario würden im schlimmsten Fall die Notenbanken eingreifen.

Bei Aktien bevorzugen wir noch immer die USA gegenüber konjunktursensitiveren anderen Ländern und setzen hier insbesondere auf Qualitäts-Large-Caps. Sie haben die nötigen Ressourcen, um eine Rezession zu überstehen, sich anzupassen und weiterhin Dividenden zu zahlen. Außerdem rechnen wir weiterhin mit mehr Volatilität und bevorzugen deshalb Hedgefonds-Strategien, Volatilitätsoptionen und andere mit dem Markt nur wenig korrelierte Anlagen wie Insurance-Linked-Strategien.

Nicht entgangen sind uns die gut gefüllten Kassen der Private-Equity-Gesellschaften zu Jahresbeginn. Mit ihnen können Anleger ihren Portfoliounternehmen über die Krise helfen oder Fehlbewertungen nutzen, vor allem an den Sekundärmärkten für Private-Equity-Fonds, Private Debt und Collateralized Debt Obligations. Denkbar sind auch Co-Investments oder PIPE-Transaktionen.

Das sind unsere Investmentideen für das Hauptszenario. Im Positivszenario wäre eine etwas höhere Gewichtung von Substanzwerten, High Yield und den Emerging Markets interessant, im Negativszenario eine stärkere Gewichtung auf Anleihen der Kernmärkte und unkorrelierte alternative Alphaquellen.

Orientierung
BIP- und Gewinnschätzungen ändern sich zurzeit schnell und heftig. Sie reagieren auf neue Infektionszahlen, Einschätzungen von Epidemiologen und Nachrichten von Pharmaunternehmen, staatlichen Stellen, Notenbanken und aus der Wirtschaft. Szenarien, Themen und Asset-Allokation müssen daher regelmäßig geprüft werden.

Zurzeit gehen wir davon aus, dass die Lockdowns zwar mehr gebracht haben als wir erwartet hatten, aber der Neustart der Wirtschaft bleibt weiterhin eine gewaltige Herausforderung.

Die geld- und fiskalpolitischen Interventionen kamen so schnell und umfassend wie erwartet und unser konjunkturelles Hauptszenario scheint allmählich Konsens zu werden. Allenfalls die Arbeitslosenquote liegt dichter am Negativszenario.

Die starke Aktienmarkterholung scheint die März-Pessimisten zum Umdenken zu bewegen. Entscheidend waren aber defensive Wachstumswerte aus dem Technologie- und dem Konsumverbrauchsgütersektor – genau jene amerikanischen Qualitäts-Large-Caps, auf die wir gesetzt hatten. Und bei der Erholung der Credit-Märkte lagen Investmentgrade-Titel vor High Yield.

Wenn wir unsere drei Szenarien noch einmal Revue passieren lassen, kommen wir zu dem Schluss, dass bis heute nur wenige Projektionen aus dem pessimistischen L-Szenario ganz vom Tisch sind. Auch per Anfang Juni bleiben weitere Infektionswellen denkbar – und damit neue Lockdowns sowie wirtschaftliche und politische Verwerfungen, selbst wenn sich der S&P 500 um über 30% erholt hat.

Die Stimmung hat sich noch nicht auf breiter Front erholt. Vielmehr macht sich an den Märkten wieder die alte Zweiteilung breit: Die Spaltung in defensive Qualitätsunternehmen, die die Krise gut überstehen können und Firmen, die auf eine starke Konjunkturerholung angewiesen sind.

All dies passt zu unseren Einschätzungen aus dem März. Allerdings gibt es weniger interessante Distressed-Kredite, da sich Titel mit einer höheren Kreditqualität bis Ende April erholt haben. Vermutlich können sich die Märkte auch dann schnell neu sortieren, wenn die Konjunkturdaten immer besser werden. Vielleicht werden dann zyklischere Substanz-Large-Caps und hochwertige Small und Mid Caps interessant – und nicht amerikanische Titel.

Disziplin
Die taktische und strategische Asset-Allokation in der Krise hat gezeigt, wie nützlich Szenarioplanungen sind. Wenn wir uns von klaren, einfachen Parametern leiten lassen, können wir uns auf das Erreichte konzentrieren, statt auf Erfolge zu hoffen. Außerdem lässt sich so verhindern, dass man eine große Rotation in defensive Titel und Qualitäts-Credits mit einer echten Marktrallye verwechselt.

Einstweilen bleiben wir vorsichtig und bereiten uns auf Volatilität vor, wenn neue Konjunkturdaten bekannt werden und die Regierungen die Lockdowns lockern. Nachhaltige Erträge, Qualität, die Suche nach echten Fehlbewertungen und unkorrelierte Alphaquellen bleiben unsere vier Hauptthemen. So beeindruckend die Erholungsrallye auch war: Corona ist noch nicht ausgestanden.

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*) Erik Knutzen, Chief Investment Officer Multi-Asset Class bei Neuberger Berman