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Kommentar: Lernen aus der Coronakrise – nachhaltig muss mehr bedeuten als ökologisch

Die nächsten Monate werden ökonomisch ausgesprochen interessant. Nach und nach werden sich die wirtschaftlichen Folgen des wochenlangen Covid-19-Shutdowns zeigen: Wie schnell erholt sich die Nachfrage – sowohl auf globaler Ebene als auch beim Binnenkonsum? Welche Erfolge bringen Konjunkturpakete und staatliche Investitionsinitiativen? Und welche Auswirkungen wird dies auf maßgebliche Kennzahlen wie das Wirtschaftswachstum, den Arbeitsmarkt und das Zinsniveau haben?

Dr. Michael Held

Wann und wie stark sich eine konjunkturelle Delle auch bei Real Assets auswirken wird, ist kaum vorherzusagen. Doch gerade auf den Wohnimmobilienmärkten, die in der Folge der Hochkonjunkturphase seit 2010 einen Rekord nach dem anderen erklommen, sind Korrekturen sicher zu erwarten.

Insbesondere längerfristig orientierte Investoren, die eine hohe Wertstabilität und moderates, aber kontinuierliches Wachstum anstreben, müssen aus dieser Situation die richtigen Lehren ziehen. So wird es beispielsweise nicht ausreichen, auf aktuelle Klimaverträglichkeitskriterien und ökologische Nachhaltigkeit zu achten – auch wenn man damit bisher auf einigen enger werdenden Märkten teilweise noch herausstechen konnte.

In wenigen Jahren werden energieeffiziente Wohngebäude jedoch nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein. Entsprechend muss der bisher recht einseitig ausgelegte Nachhaltigkeitsbegriff im Angesicht der Krise neu definiert werden: Grundlage für sozialen und ökologischen Fortschritt ist eine nachhaltig positive ökonomische Entwicklung – und diese steht und fällt mit der Nachfragesituation.

Beim Wohnen gilt: Demografiefest ist krisenfest
Die wahrscheinlich sicherste Basis für deren Vorhersage bildet auf dem Wohnungsmarkt die demografische Entwicklung. Und diese weist in Deutschland vor allem in einer Altersgruppe ein gesundes und nachhaltiges Wachstumspotenzial aus: Durch die steigende Lebenserwartung wird die Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen bis 2030 um 28% auf knapp 21,8 Mio. wachsen. Diese Prognose macht das Service-Wohnen für Senioren, auch bekannt unter dem Begriff des betreuten Wohnens, zu einem attraktiven Segment. Denn gleichzeitig wird auch die Zahl der über 80-Jährigen innerhalb der kommenden zehn Jahre um 38% auf 6,2 Mio. steigen.

Für die Assetklasse folgt aus dieser Tendenz ein Investitionspotenzial von 64 Mrd. Euro bis 2035, da aktuell bereits ein klarer Angebotsmangel herrscht. Auf diesen Umstand weisen unter anderem die Immobilienweisen im Frühjahrsgutachten 2020 des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) hin: Dem auf 865.000 Wohneinheiten bezifferten Gesamtbedarf in Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern stehen knapp 300.000 existierende Service-Wohnungen gegenüber – eine deutliche Unterdeckung von etwa einer halben Million Einheiten. Unabhängig vom weiteren Verlauf der Coronavirus-Pandemie und den wirtschaftlichen Folgen ist klar, dass diese Angebotslücke in der nahen und mittleren Zukunft ohne eine deutlich verstärkte Neubautätigkeit immer größer werden wird. Und zwar um weitere 200.000 Wohnungen allein bis 2035, hat die ZIA-Analyse ergeben.

Nachfrage wird in allen Preisklassen hoch bleiben
Aufseiten der Nutzer scheint bereits seit Längerem kein Zweifel an der Attraktivität des Service-Wohnens zu bestehen. Zwar variiert der regionale Bedarf zum Teil recht deutlich, doch von einem ausgeglichenen Markt kann man fast nirgendwo sprechen. Während aus sozialer und medizinischer Fachperspektive eine Versorgung von fünf Prozent der Haushalte mit Personen über 70 Jahren geboten erscheint, auf 20 Haushalte also eine Wohnung kommen müsste, erreichen beispielsweise weite Teile von Rheinland-Pfalz und des Saarlands sowie der östlichen Bundesländer Werte von gerade einmal einem bis zwei Prozent.


Analysiert man die Assetklasse weitergehend, zeigt sich auch in der Breite eine deutliche Unterversorgung des aktuellen und zukünftigen Bedarfs der Bevölkerung. Im deutschlandweiten Premium-Segment, das den beiden obersten Kategorien des dem Hotelbereich entlehnten Sternesystems der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (gif) entspricht, fehlen beispielsweise schon heutzutage 90.000 bis 100.000 Wohnungen. Da in den kommenden Jahren die sogenannten Babyboomer – und damit die geburtenstärksten Jahrgänge des zwanzigsten Jahrhunderts – in Rente gehen werden, wird diese Lücke weiterwachsen: um 33.000 weitere Einheiten bis 2035.

Leistungsfähigkeit der Nutzer ist ebenfalls konjunkturunabhängig
Ein weiterer Vorteil hinsichtlich der langfristigen Krisenresistenz des Service-Wohnens ergibt sich aus der Einkommens- und Vermögenssituation der betreffenden Altersgruppe. Der weitgehende Teil der Zielgruppe ist für die Deckung der Wohnkosten nicht auf laufendes Erwerbseinkommen angewiesen, sondern kann auf Renten- beziehungsweise Pensionsansprüche sowie auf ein Vermögen zählen, das im Laufe des Arbeitslebens aufgebaut wurde. Dementsprechend lassen sich für das gesamte Segment mittlere Mieten von etwa 1.100 Euro, in der gehobenen Vier- und Fünfsternekategorie sogar Mieten von 2.100 bis 2.800 Euro realisieren. Aus dieser ebenfalls weitgehend konjunkturunabhängigen ökonomischen Grundlage lässt sich ableiten, dass die Assetklasse Service-Wohnen in den 2020er-Jahren an Bedeutung für Investoren zunehmen wird.

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*) Dr. Michael Held ist Vorstandsvorsitzender der TERRAGON AG.