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Gastbeitrag: Schuldenobergrenze in den USA - welche Risiken lauern rund um den Tag X?

Die Sorge um die US-Schuldenobergrenze macht sich an den Finanzmärkten breit. Zwar kann es in der Zwischenzeit zu Marktschwankungen kommen, dennoch erwarten wir eine Lösung, wenn auch möglicherweise erst in letzter Minute.

Libby Cantrill

Das US-Repräsentantenhaus hat einem Gesetzesentwurf zur Anhebung der Schuldenobergrenze zugestimmt. Der Entwurf hat jedoch keine Chance, in diesem Kongress Gesetz zu werden – trotzdem betrachten wir seine Verabschiedung als einen wichtigen ersten Schritt zu formelleren Verhandlungen zwischen dem Repräsentantenhaus, dem Senat und dem Weißen Haus, um eine Einigung zu erzielen.

Der Zeitpunkt ist entscheidend: Da der aktuelle Finanzierungsbedarf des US-Finanzministeriums im Vergleich zum Vorjahr etwas höher ausfällt, könnte der so genannte Tag X – das geschätzte Datum, an dem das Finanzministerium seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann – früher eintreten als in der durch das Congressional Budget Office geschätzten Zeitspanne von Juli bis September. Dies ist für die Märkte wichtig, weil es die akuten Phasen politischer Volatilität vorverlegen könnte, die in der Vergangenheit mit einer erhöhten Volatilität an den Aktien- und Anleihemärkten zusammenfielen.

Vermeidung eines Zahlungsausfalls bleibt Basisszenario
Eine Einigung über die Schuldenobergrenze ist nach wie vor unser Basisszenario – die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch. Ein technischer Zahlungsausfall ist zwar möglich, aber wir gehen nicht davon aus, dass es dazu kommen wird – auch, da die Folgen nicht nur an den Märkten oder der Wirtschaft sichtbar werden. Umfragen zufolge sind mehr als 70% der Amerikaner dafür, einen Zahlungsausfall zu vermeiden. Sein Eintreten wäre auch für niemanden ein politischer Gewinn die Führung beider politischer Lager ist sich dessen bewusst.

Obwohl wir zuversichtlich sind, dass es vor Ablauf der Schuldenobergrenze zu einer Lösung kommen wird, sind der Zeitpunkt und die genaue Ausgestaltung ungewiss. Orientiert man sich an der Vergangenheit, dann wird es wahrscheinlich in letzter Minute und erst nach einigen hitzigen Debatten zu einer Einigung kommen.

Die Eckdaten könnten hierbei in etwa wie folgt aussehen:
1.       Die Schuldenobergrenze wird ausgesetzt oder angehoben – idealerweise so, dass die nächste Frist über die Wahlen im November 2024 hinausgeschoben wird
2.       Ein Gesetz zur Reform der Energiepolitik wird könnte Teil des Deals werden
3.       Nicht verwendete Covid-19-Gelder werden zurückgefordert
4.       Einsetzung einer Schuldenkommission

Der Tag X
Wir erwarten zwar eine Lösung, aber der Zeitplan wird eindeutig durch den Tag X beeinflusst, wenn das Finanzministerium seine Notfinanzierungsmaßnahmen ausschöpft. Dieses Datum ist aufgrund der Ungenauigkeit der Steuereinnahmen und bestimmter staatlicher Zahlungen immer ungewiss. In diesem Jahr ist der Finanzierungsbedarf des Finanzministeriums gestiegen, da die Steuereinnahmen um die Zahlungsfrist am 15. April deutlich unter dem Vorjahresniveau liegen.

Unter Berücksichtigung dieser und anderer Faktoren gehen wir davon aus, dass der Liquiditätspuffer des Finanzministeriums vor dem 15. Juni – dem geplanten Termin für die vierteljährlichen Unternehmenssteuerzahlungen - gefährlich niedrig sein wird.

Unmittelbare Marktauswirkungen
Die Debatte über die Schuldenobergrenze und die Ungewissheit über den Zeitpunkt X haben bereits jetzt Auswirkungen auf die Märkte, da einige Anleger US-Treasuries im Vorfeld eines möglichen – wenn auch unwahrscheinlichen – Zahlungsausfalls meiden. Für Anleger besonders relevant sind hierbei die folgenden Punkte:

• Einmonatige Treasuries mit Fälligkeiten vor dem voraussichtlichen X-Datum sind nach wie vor hoch bewertet (d. h. mit niedrigeren Renditen). Tatsächlich liegen ihre Renditen um ein Prozent (bzw. 100 Basispunkte) oder mehr unter dem Benchmark-Zielsatz des Federal Open Market Committee (FOMC) (Fed Funds) und dem Index der Secured Overnight Financing Rate (SOFR). Zwar liegt die nominale Rendite für einmonatige Treasuries, die bis zur Fälligkeit gehalten werden, derzeit immer noch bei rund 3,60%. Die Anleger zahlen einen Aufschlag (in Form einer geringeren Rendite), um etwaigen Ausfallrisiken zuvorzukommen.

• Im weiteren Verlauf der Geldmarktkurve bieten US-Staatanleihen mit Fälligkeitsterminen um das derzeit prognostizierte X-Datum (ab Mitte Juni bis August) höhere Renditen, die sich enger an den Referenzsatz des FOMC anlehnen, obwohl sie angesichts der strukturellen Nachfrage nach Treasuries mit kurzer Laufzeit durch reine Geldmarktfonds immer noch zu niedrigeren Renditen gehandelt werden als der SOFR-Referenzsatz. Sollten die Anleger zunehmend über die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls besorgt sein, würden wir angesichts unserer früheren Erfahrungen mit der Dynamik des Marktes im Zusammenhang mit der Schuldenobergrenze erwarten, dass diese Renditen deutlich höher ausfallen, vielleicht sogar um mehr als 100 Basispunkte.

• Repos für Cash-Investitionen haben an Attraktivität gewonnen, da der Wunsch, Tag-X-Risiken zu vermeiden, zu einer großen Differenzierung der Renditen für kurzfristige, qualitativ hochwertige Anlagen geführt hat. So bieten beispielsweise Repo-Geschäfte zur Anlage von Barmitteln eine um 50-100 Basispunkte höhere Rendite im Vergleich zu kurzfristigen Papieren. PIMCO betrachtet diese Repos aufgrund ihrer Liquidität über Nacht und ihrer überbesicherten Struktur als grundlegendes Element des Cash-Managements. Im Allgemeinen werden bilaterale Repos in relativer Nähe zur Reverse Repurchase Rate (RRP) der Fed von 4,80% gehandelt und bieten deutlich mehr Rendite als die meisten Wechsel vor dem X-Datum.

Risiken und Chancen im größeren Rahmen
Obwohl wir einen Zahlungsausfall bei US-Schuldverschreibungen für sehr unwahrscheinlich halten, könnte es unter Umständen zu Verzögerungen bei den Zins- und Fälligkeitszahlungen kommen.

In Anbetracht des Diskontcharakters von T-Bills (sie werden zu einem Diskontpreis ausgegeben und zum Nennwert fällig) würden T-Bill-Anleger wahrscheinlich nicht rechtzeitig für aufgelaufene Zinsen aus verzögerten Fälligkeitszahlungen entschädigt, und die impliziten Nettorenditen wären geringer als ursprünglich projiziert. Da die Fälligkeitsleiter in der Regel ein wichtiger Bestandteil der Cash-Management-Strategien von Privatanlegern und Unternehmen ist, könnte eine verspätete Zahlung Kaskadeneffekte für andere Zahlungen im privaten Sektor haben.

Natürlich könnte die Fed im Falle eines technischen Ausfalls versuchen, einzugreifen, indem sie ausfallgefährdete T-Bills aufkauft und gute Sicherheiten gegen schlechte tauscht. Sie wäre jedoch nicht in der Lage, eine große fiskalische Klippe zu umschiffen – beispielsweise falls das Finanzministerium seine Zahlungen an die Sozialversicherung und andere Stellen einstellen sollte, die sich auf über 100 Mrd. US-Dollar pro Monat belaufen.

Auch hier rechnen wir nicht mit einem Zahlungsausfall, aber eine Lösung dürfte es erst in letzter Minute geben. An den Märkten ist in dieser Zeit mit erhöhter Volatilität zu rechnen. So lag die durchschnittliche Höchst-zu-Tiefst-Performance des S&P 500 im Monat vor dem Beschluss über die Schuldenobergrenze in den letzten zwölf Jahren bei etwa -6,5%. Auch wenn sich die Risikomärkte nach einer Lösung in der Regel wieder erholt haben, könnten die Auswirkungen auf die Kassamärkte auch nach einer Einigung über die Schuldenobergrenze noch anhalten.

Wir empfehlen Anlegern, die Liquiditätskosten und -bedingungen auch nach einer Einigung über die Schuldenobergrenze im Auge zu behalten. Das Finanzministerium dürfte versuchen, seine Kassenbestände wieder aufzustocken, die im Vorfeld des X-Dates weiter abgebaut werden. Wir sollten davon ausgehen, dass das Angebot an US-Treasuries nach einer Einigung erheblich zunehmen wird – vielleicht sogar um eine Billion US-Dollar oder mehr. Diese umfangreiche Emission wird dem Markt vor Jahresende überschüssige Liquidität entziehen. Zwar würde ein angemessener Teil dieser Liquidität durch eine Verringerung des RRP-Saldos der Fed ausgeglichen werden. Dennoch könnte dies Auswirkungen auf die allgemeinen Kosten für Finanzierung und Liquidität an den Kapitalmärkten haben.

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*) Libby Cantrill, Managing Director und Expertin für Public Policy bei PIMCO