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Gastbeitrag: Die Welt im Jahr 2050

Wenn wir uns mit der Welt im Jahr 2050 beschäftigen, können wir strukturelle Veränderungen erkunden, die das langfristige Wachstum vorantreiben werden. So gibt es plausible Prognosen, die darauf hindeuten, dass

• sich das globale BIP mehr als verdoppeln könnte

• die durchschnittliche Lebenserwartung um fünf Jahre pro Person steigen könnte, in Afrika sogar um fast neun Jahre

• der Anteil der Analphabeten an der Bevölkerung sich halbieren könnte

 

Weniger vielversprechend allerdings:

• die Zahl der Menschen, die in Städten leben, könnte um 40% auf fast 6,7 Milliarden steigen, was aufgrund der Überbevölkerung eine schnellere Ausbreitung von Krankheiten zur Folge hätte

• die Erträge wichtiger Nutzpflanzen könnten um fast 10% sinken

• das weltweite Abfallaufkommen könnte um rund 60% steigen

 

Es ist also klar, dass die Welt je nach Perspektive in den nächsten 25 Jahren ein viel besserer oder ein viel schlechterer Ort sein könnte.

 

Andrew Keiller

Unsere Branche konzentriert sich hauptsächlich darauf, Ereignisse in den nächsten ein bis zwei Jahren mit nahezu sicherer Wahrscheinlichkeit vorherzusagen: beispielsweise die Zinsentwicklung der Fed oder die neuesten BIP-Zahlen Chinas. Wir hingegen wollen Denkanstöße zu geben, wie sich die Welt langfristig verändern könnte, wobei wir uns insbesondere auf die Schwellenländer als Wachstumsquelle konzentrieren.

Die Demographie spielt die entscheidende Rolle
Auf einer Weltkarte, die – anders als die uns geläufige Mercator-Projektion – nach Bevölkerungsprognosen für 2050 neu gezeichnet ist, erscheinen Asien und Afrika viel größer. Die Mittelschicht Asiens wird insgesamt größer sein als die Europas und der USA zusammen. Die Altersstruktur wird in 25 Jahren so aussehen, dass es in den meisten Ländern mehr Großeltern als Enkelkinder gibt. Die harte Wahrheit für Nordamerika und Europa ist, dass wir bereits an Bedeutung verlieren, statt zu gewinnen; der „Rest” wächst schneller.

Was bedeutet eine anders geartete Bevölkerungsstruktur für den globalen Handel? Was bedeutet sie für die Ressourcen? Was bedeutet sie für globale Machtverschiebungen?
Schwellenländer treiben zunehmend miteinander statt mit dem Westen Handel. Der Handel innerhalb der Schwellenländer befindet sich derzeit auf einem Allzeithoch; China exportiert mittlerweile mehr nach Südostasien als in die USA.

Noch wichtiger als der wachsende Anteil ist die Tatsache, dass dieser Handel zunehmend in anderen Währungen als dem US-Dollar abgewickelt wird. Viele Handelsgeschäfte benötigen einfach keine US-Dollar. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2023 wurden etwa 20% des globalen Ölhandels in anderen Währungen abgewickelt. Das ist eine deutliche Veränderung gegenüber der Vergangenheit, und wenn sie sich fortsetzt, könnte dies einen Rückgang der auf US-Dollar basierenden Kapital- und Infrastrukturausgaben in vielen Schwellenländern sowie einen anhaltenden Rückgang der Verwendung des US-Dollars in den globalen Devisenreserven bedeuten.

Unter einem neuen Modell des Handels innerhalb der Schwellenländer ist es weitaus wahrscheinlicher, dass die Gegenparteien ihre Geschäfte in Renminbi, Rupien oder Real abrechnen. Es ist auch weitaus wahrscheinlicher, dass die Gewinne wieder in die Schwellenländer zurückfließen. Und genau hier setzen positive Rückkopplungseffekte ein.

Zwischen den Blöcken
In einer sich spaltenden Welt werden Länder wie Brasilien, Südkorea, Indien oder Indonesien, die nicht entweder dem Westen oder dem China-/Russland-Block zuzurechnen sind, noch wichtiger. Sie unterhalten enge Handelsbeziehungen sowohl zu China als auch zum Westen.

Der Bedarf an kritischen Vorleistungen wahrscheinlich nur noch weiter steigen. Wir werden seltene Erden und Mineralien benötigen, um den Übergang zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Wir werden fortschrittliche Halbleiter benötigen, um das Zeitalter der KI anzutreiben. Wir werden Stahl und Zement benötigen, um die neuen Lieferketten umzugestalten. Die Schwellenländer sind die besten und kostengünstigsten Produzenten dieser „Rohstoffe“.

Die jüngste Vergangenheit zeigt, wie stark die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen steigen kann: Zwischen 2000 und 2022 stieg die Gesamtmenge der zur Deckung des Verbrauchsbedarfs geförderten Rohstoffe um 71%. Das war mehr als doppelt so viel wie das weltweite Bevölkerungswachstum im gleichen Zeitraum. Darüber hinaus besteht die reale Möglichkeit, dass wir in den nächsten 25 Jahren noch mehr Infrastruktur benötigen.

Der entscheidende Punkt ist, dass die Nachfrage nach Rohstoffen tendenziell stärker wächst, als man intuitiv erwarten würde. Und wenn man bedenkt, dass die Schwellen-länder die größten Produzenten von Kupfer, Nickel, Kobalt und anderen Mineralien sind, wird klar, wen der Westen auf seiner Seite haben muss, um seine grünen Ambitionen zu verwirklichen.

Die Rohstoffindustrie scheint jedoch nicht darauf vorbereitet zu sein. Misst man beispielsweise anhand der Investitionsausgaben der Metall- und Bergbauindustrie, wie viel in die Versorgung fließt, liegen die Ausgaben etwa 30% unter ihrem Höchststand von 2012.

Dies bringt alle möglichen Herausforderungen mit sich. Aus Investitionssicht veranlasst uns dies jedoch, über Investitionen in Unternehmen nachzudenken, die von höheren Preisen in diesen Bereichen profitieren werden.

Es ist schön und gut, über Mineralien für die grüne Wende zu sprechen, aber in den Schwellenländern müssen wir darauf achten, dass wir die „traditionelle Energie” nicht übersehen. Ob es uns gefällt oder nicht, fossile Brennstoffe werden noch viele Jahre lang eine Rolle spielen. Auch hier scheint das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erheblich zu sein.

Eine Möglichkeit, die Nachfrage zu beziffern, besteht darin, den Pro-Kopf-Verbrauch in den Industrieländern und den Schwellenländern zu vergleichen. Nach dieser Maßgabe verbraucht beispielsweise Kanada etwa fünfmal so viel Öl wie China.

Mit dem Wachstum der Schwellenländer und dem Anstieg des Wohlstands der Mittelschicht steigt auch ihr Energieverbrauch. Die Investitionsausgaben für Öl und Gas liegen jedoch um mehr als 300 Mrd. US-Dollar unter dem Höchststand von 2014.

Wir gehen davon aus, dass es im Laufe der Zeit in vielen Schwellenländern eine positive Korrelation zwischen Energieverbrauch und Produktivität, Rentabilität und Schaffung von Arbeitsplätzen geben wird, was auch zu Investitionsmöglichkeiten führen wird.

Versorgungslücken als Wachstumstreiber
Über die „Rohstoffe” im traditionellen Sinne hinaus sollten wir das Rohstoffkonzept auch auf andere grundlegende Dienstleistungen ausweiten, die wir im Westen als selbstverständlich ansehen. Dazu gehören beispielsweise ein Internet, das schnell genug ist, um die von uns benötigten Anwendungen auszuführen, oder Bankdienstleistungen, die uns reibungslose Transaktionen und Interaktionen ermöglichen.

Dieser Online-Zugang bzw. dessen Fehlen ist auch einer der Hauptgründe für die unterschiedliche Abhängigkeit von Bargeld. Weltweit wurden 2023 16% der Ausgaben an Verkaufsstellen (einschließlich Zahlungen an Ladenkassen, Restaurant-tischen und Online-Kassen) in bar getätigt, aber in vielen Schwellen- und Grenzmärkten lag dieser Anteil deutlich höher.

Diese Lücke wird sich natürlich schließen, und die Auswirkungen eines breiteren Datenzugangs werden weit über die traditionellen Konsumgewohnheiten in Schwellen-ländern hinaus spürbar sein. So hat sich beispielsweise die Mobilfunktechnologie bereits im Gesundheitswesen als besonders hilfreich erwiesen.

In Kenia beispielsweise nutzen Regierungsbehörden Erkenntnisse aus Mobilfunkdaten – anstelle von Gehaltsabrechnungen oder Schulunterlagen –, um die Gesundheitspolitik und -versorgung zu planen. Diese Daten sind einfach leichter zu sammeln und zuverlässiger.

Auch die Makroökonomie der Schwellenländer scheint sehr widerstandsfähig zu sein. Die Verschuldung in den Schwellenländern ist relativ gering, und der Internationale Währungsfonds prognostiziert ein doppelt so hohes Wirtschaftswachstum wie für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Hinzu kommt, dass die Zahl der Weltklasseunternehmen in den Schwellenländern weiter steigt. Mehr als 60% der wachstumsstarken Aktien im MSCI ACWI Index sind Unternehmen aus Schwellenländern (wobei Wachstum als Unternehmen definiert ist, für die in den nächsten drei Jahren ein Gewinnwachstum von mehr als 20% prognostiziert wird). Schon heute sind dort Unternehmen von Weltrang zuhause, die ganze Industrien prägen: TSMC bei Halbleitern, MercadoLibre im E-Commerce oder Tencent im Internetgeschäft. Sie sind nicht nur wettbewerbsfähig, sondern oft sogar führend gegenüber westlichen Konkurrenten.

Gewichtung in globalen Aktienfonds entspricht nicht der wachsenden Bedeutung
Wenn dies also das Jahrzehnt ist, in dem starke Makro- und Mikroökonomie für Schwellenländer aufeinandertreffen, wird dies in den heutigen Anlegerportfolios zweifellos nicht angemessen widergespiegelt. Mehr als drei Viertel (77%) aller globalen Aktienfonds waren laut Copley Fund Research (Stand: Januar 2025) in Schwellenländern untergewichtet. Im Schnitt sind sie im Vergleich zum breiten, Schwellenländer umfassenden Index ACWI um 3,1 Prozentpunkte weniger investiert. Diese Untergewichtung mag gering erscheinen, aber Schwellenländer machen ohnehin weniger als 10% des MSCI ACWI aus.

Eine wichtige Prognose für 2050 lautet daher, dass sich dies ändern wird. Allein eine Rückkehr zur 20-Jahres-Durchschnittsgewichtung von 8,4%würde nach einer Berechnung von JP Morgan aus dem letzten Jahr Zuflüsse in Höhe von Hunderten von Milliarden US-Dollar bedeuten.

Für uns wäre es eine Überraschung, wenn die Schwellenländer langfristig nicht weiter an Boden gewinnen würden. Dementsprechend sind sie zum Beispiel in unserem Flaggschiffonds, dem Baillie Gifford Long Term Global Growth Fonds, mit 25% gewichtet – gegenüber den 10% im ACWI.

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*) Andrew Keiller, Partner beim schottischen Asset Manager Baillie Gifford