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„Europa macht gegenwärtig eine gute Figur“

In einem sich abkühlenden wirtschaftlichen Umfeld sinken auch die Zinssätze, nicht nur wegen der Covid-Krise. Wir befinden uns nicht mehr in einer Wohlfühlwirtschaft, meint Robert Tipp, CFA, Managing Director, Chief Investment Strategist und Head of Global Bonds bei PGIM Fixed Income. Gleichwohl sieht er im Gespräch mit IPE D.A.CH Chefredakteur Frank Schnattinger Investmentopportunitäten in bestimmten Anleihesegmenten.

Robert Tipp

IPE D.A.CH: Lassen Sie uns Eingangs einen Blick in die Vergangenheit werfen: Haben Regierungen und Banken immer das Richtige getan?
Tipp: Es ist nicht schwer, Regierungen dazu zu bringen, in Krisen Geld auszugeben. Probleme entstehen nach der Krisenbewältigung in Ländern, in denen es an Mechanismen fehlt, die zu Einsparungen und Schuldenreduktion zwingen. In der EU ist die Einhaltung von Defizitgrenzen systemimmanent während es in anderen Ländern wie z.B. in Japan gelebte Praxis ist, wie man an der Erhöhung der Mehrwertsteuer gesehen hat. Irgendwann wird das auch in China so sein, weil dort zwar die Verschuldung deutlich höher ist als bisher angenommen, aber auch die Sparquoten sehr hoch sind. In Deutschland besteht sogar ein Überangebot an Sparguthaben.

IPE D.A.CH: Was sollte der nächste Schritt seitens der Zentralbanken sein? Wird es regionale Unterschiede geben?
Tipp: Es wird große Abweichungen geben. Die Zentralbanken haben sicherlich das Richtige getan. Doch es gibt meines Erachtens ein übergreifendes Systemproblem: das Inflationsziel der USA von 2%. Die EZB macht eine sehr gute Arbeit, wenn man davon ausgeht, dass 2% das richtige Ziel ist. Ich glaube jedoch nicht, dass 2% das richtige Ziel ist, sondern halte eher 1% für angemessen, insbesondere in der EU. Und ich weiß nicht, warum die Zentralbanken daran festhalten, nur weil Neuseeland und ein paar andere Länder das 2%-Ziel erreicht haben. Bedeutet dies, dass dies für alle Industrieländer gelten soll? Japan etwa hatte früher eine natürliche Inflationsrate von 0 bis 0,1%, während der Verbraucherpreisindex der USA bei 2% lag. Zinssätze unter 0% benachteiligen sowohl Sparer als auch Investoren. Ich nehme es den Zentralbanken nicht übel, dass sie dieses massive Kaufprogramm in der Krise aufgelegt haben, es erscheint mir durchaus sinnvoll. Indem die Zentralbanken jedoch ein zu hohes Inflationsziel anvisieren, verbleiben auch die Leitzinsen auf zu niedrigem Niveau. Das Zinsniveau wiederum verschärft die Not der Sparer. Und das ist das eigentliche Grundproblem in den entwickelten Volkswirtschaften: Sie haben nicht genug Ersparnisse für ihre alternde Bevölkerung. Daher ist die aktuelle Geldpolitik falsch. Gleichwohl gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, mit der richtigen Geldpolitik ein Gleichgewicht herzustellen, doch gegen Ende des letzten Jahres war diese Politik unangemessen locker. Die Konsequenz war eine höhere Marktvolatilität und die Entstehung von Spekulationsblasen. Grundsätzlich betrachtet sind die häufigen Schocks, denen die Wirtschaft ausgesetzt sind, aber natürlich eine gute Zeit für aktive Vermögensverwalter.

IPE D.A.CH: Wird es bei der EZB ein Umdenken geben?
Tipp: Es hat aktuell nicht den Anschein, dass die EZB einen grundlegenden Sinneswandel beabsichtigt. Doch bleibt zu hoffen, dass sie ihn vollzieht. Ich glaube, dass die politischen Entscheidungsträger die Geldpolitik überbewerten, indem sie davon ausgehen, dass die Geldpolitik alles beeinflussen kann. Was seit 30 Jahren zu beobachten ist, beginnend mit Japan: Man kann Disinflation nicht exakt anvisieren, vielmehr gehen Volkswirtschaften ihre eigenen natürlichen Wege in puncto Inflation. Deshalb sollte die Geldpolitik darauf achten, ob sich die Wirtschaft überhitzt und Abkühlung benötigt. Dies könnte auf Seiten der Vermögenspreise geschehen, es könnten auch die Löhne sein – und es könnte etwas sein, das sich nicht durch makroökonomische Anreize kontrollieren lässt. Ein Preisstabilitätsziel ist die Zahl, der die Geldpolitik folgt – aber sie lässt sich nicht erreichen. Ich halte das für eine sehr gefährliche und unnütze Formel. Es bleibt zu hoffen, dass einige Veränderungen vorgenommen werden. Aber ich vermute, es wird sehr langsam vonstattengehen.

IPE D.A.CH: Lassen sich mit Staatsanleihen schwächerer Länder noch Zusatzrenditen erwirtschaften?
Tipp: Absolut. Es ist großartig für Anleger, dass die EZB Anleihenmärkte wie Spanien, Italien und Portugal unterstützt. So ist ein Default in einem dieser Länder auf Sicht der kommenden fünf Jahre kaum vorstellbar. Die schwächeren Volkswirtschaften, die mit der Migrantenlast zu kämpfen haben, ziehen mit Hilfe der EZB an einem Strang. Mit ihrem Stimulus-Paket sind die Hüter des Geldes in der Lage, diese Länder zu unterstützen. Manche dieser Regierungen können Druck auf osteuropäische Länder ausüben, die teilweise von der Demokratie abrücken. Daher bin ich der Meinung, dass Europa in dieser Hinsicht gegenwärtig eine sehr gute Figur macht. Zurzeit sind die Spreads der Peripherie-Anleihen sehr attraktiv – vor allem, wenn man die Unterstützungsmechanismen der EZB und die Wahrscheinlichkeit berücksichtigt, dass sie zumindest für die nächsten sechs Monate oder länger sehr intensiv am Markt agieren wird.

IPE D.A.CH: Ist der US-Dollar für europäische Investoren interessant? Oder schwächen die niedrigen Zinssätze dem Greenback?
Tipp: In den vergangenen Jahrzehnten hatte man einen Bullenmarkt für den japanischen Yen und für die Deutsche Mark beobachten können. Und es ist anzunehmen, dass der Euro diese Entwicklung weiterträgt. Die hohen Zinssätze in den USA, die Probleme in Europa und einer im Vergleich zu allen anderen sehr lockeren Zentralbankpolitik haben uns dorthin geführt, wo wir jetzt sind: Die Geldpolitik der Zentralbanken gleicht sich an. Können Sie sich vorstellen, wie Europa im Vergleich zu den Vereinigten Staaten in zehn oder 20 Jahren aussehen wird? Ich glaube, Sie wissen es. Den Vereinigten Staaten steht eine gut prognostizierbare Explosion der Pensions- und Rentenempfänger bevor. Gleichzeitig haben sie nicht nur eine schlechte Ausgangslage, damit umzugehen, sondern zudem mangelhafte politische Prozesse. Europa hingegen hat teilweise ein umlagefinanziertes System. Zugleich gibt es einen Haushalt, der zumindest gegenwärtig eine viel bessere Gesundheitsversorgung der Bevölkerung finanziert. Europa ist in der Alters- und Gesundheitsvorsorge daher meiner Meinung nach besser aufgestellt als die USA, zumal die Migration die demographische Struktur in Europa unterstützen wird (auch wenn dies sie an anderen Stellen destabilisierend wirkt). Dies ist die Realität. Ich glaube, dass der Euro paradoxerweise eine starke Währung sein wird, ähnlich wie es seinerzeit der Yen gewesen ist. Zumal der Zinsvorteil der USA ebenso verschwunden ist wie deren Vorteil der hohen Ölpreise. Und das Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten ist im letzten Jahr geschrumpft – auch das gilt es zu berücksichtigen.

IPE D.A.CH: Auf dem Anleihemarkt lagen die Risikospreads schon bis zu 13% tiefer als heute. Was bedeutet dies für Anleihenanleger?
Tipp: Nach der Corona-bedingten Spreadausweitung haben sich die Risikoaufschläge zum Jahresende 2020 wieder auf ein Niveau bewegt, welches unterhalb des historischen Durchschnitts liegt. Was wir grundsätzlich sehen werden, ist, dass die Märkte aufgrund der aggressiven geldpolitischen Stimulierungsprogramme weiterhin von hohen historischen Bewertungen, sehr tiefen Zinsen und höheren Bewertungsmultiplikatoren geprägt bleiben. Die teils negativen Zinssätze werden einen konstanten Druck für Investoren erzeugen. Sie werden zulasten von Staatsanleihen zunehmend in Unternehmensanleihen, strukturierte Produkte, Hochzinsanleihen und Schwellenländerbonds in harter und lokaler Währung investieren. Und es wird das traditionelle Muster zu beobachten sein, dass Hochzinsanleihen Staatsanleihen outperformen. Daher werden die kommenden 12 bis 24 Monate von hoher Volatilität und einer Zunahme der Konjunkturimpulse geprägt sein.

IPE D.A.CH: Wie beurteilen Sie Schwellenländeranleihen?
Tipp: Mit gemischten Gefühlen. Ich glaube, dass viele dieser Länder in einer kritischen Lage waren, als sie in diese Krise gerieten. Nehmen Sie Südafrika: Das Land hatte sehr große Haushaltsprobleme und viele strukturelle Schwierigkeiten. Als die Krise zuschlug, war man gezwungen, die Defizite zu vergrößern – was die Probleme aber nicht beseitigte. Vor der Krise hatte Südafrika sein Kreditprofil nicht wirklich stabilisiert – und danach wird es nicht leichter werden. Mit Blick auf dieses Beispiel glaube ich, dass es in den kommenden Jahren ein stetiges, von negativer Kreditmigration und Herabstufungen geprägtes Ungleichgewicht in den Schwellenländern geben wird. Andererseits sind die Bewertungen sehr niedrig. Insgesamt gehe ich davon aus, dass sich sowohl die Hartwährungsanleihen der Schwellenländer als auch deren Pendants in lokaler Währung gut entwickeln werden. Auf währungsgesicherter Basis dürfte dies effizienter sein und eine geringere Volatilität aufweisen. Ungehedgte Lokalwährungsanleihen werden stark vom Geschehen am Devisenmarkt abhängen und ein unzuverlässiger Renditebringer sein. Es wird Schwankungen geben, aber es bieten sich gute Chancen – auch wenn es für diese Länder viele Herausforderungen gibt.

IPE D.A.CH: Wie schätzen Sie High Yield-Unternehmensanleihen und Bank Loans ein?
Tipp: Diese Anlageklasse ist sehr attraktiv. Es gibt eine Menge Geld da draußen, von dem wir nicht sicher sind, ob es Spekulationskapital ist. Dies ermöglicht es den Emittenten von Hochzinsanleihen, ihre Verbindlichkeiten – häufig in weniger rentablen Branchen – auszuweiten. Die Bewertungen sind durchschnittlich bzw. allenfalls leicht überhöht, wenn man die aktuell erhöhten Risiken der Krise berücksichtigt.

IPE D.A.CH: Was steht in Ihrem Global Bonds-Portfolio im Fokus?
Tipp: Wir stützen wir uns auf einen sehr diversifizierten Pool von Investment-Grade- und High Yield-Unternehmensanleihen, auf Hartwährungs- und abgesicherte Lokalwährungsanleihen aus den Schwellenländern, auf qualitativ hochwertige strukturierte Produkte sowie europäische Unternehmensanleihen, die wir übergewichten. In jüngster Zeit gab es eine wirklich gute Rally, als die Renditen in Australien, Neuseeland, Chile, Kolumbien und sogar in den Vereinigten Staaten ihre Untergrenze erreicht haben. Einige dieser Märkte hatten steile Zinskurven, doch rechne ich damit, dass wir uns letztendlich auf eine lange Duration zubewegen.

IPE D.A.CH: Besten Dank für diese Einblicke.