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Kommentar: Was das europäisch-chinesische Investitionsabkommen für Investoren bedeutet

Ende Dezember gab die EU-Kommission den grundsätzlichen Abschluss ihrer Verhandlungen mit China über ein umfassendes Investitionsabkommen bekannt. China verpflichtet sich, seine Märkte für Investoren aus der EU stärker als je zuvor zu öffnen. EU-Unternehmen sollen im Wettbewerb mit staatseigenen Unternehmen fairer behandelt werden. Subventionen werden transparenter, erzwungenen Technologietransfer soll China unterbinden. Der Vertrag muss jedoch noch ratifiziert werden, was wohl erst 2022 der Fall sein wird.

Prof. Dr. Kai Lucks

Beeindruckend ist, wie schnell der Vertrag auf den Weg gebracht wurde. Es wurden sieben Jahre verhandelt, über Wettbewerbsrecht, Marktzugänge, Technologiesicherheiten und Arbeitsbedingungen. Das Abkommen betrifft Verpflichtungen Chinas, Unternehmen aus der EU beim Zugang zum chinesischen Markt nicht mehr zu benachteiligen, wie im E- Mobility-Sektor, bei Cloud-Diensten oder in der Finanz- und Gesundheitsindustrie. Auch die bestehende Verpflichtung, in einigen Branchen Joint Ventures einzugehen, soll abgeschafft werden. Im Gegenzug erhalten chinesische Unternehmen einen einfacheren Zugang zu Europas Energie- und Batteriemarkt. Obwohl Klauseln, wie Beendigung der Benachteiligung von EU- Unternehmen bei staatlichen Ausschreibungen, stärkerer Investitionsschutz und verbindliche Verpflichtungen für Arbeitsbedingungen, nicht aufgenommen wurden, überwiegen die Vorteile des Abkommens für die EU-Unternehmen.

Gewicht und Ziele
In den letzten 20 Jahren haben die Direktinvestitionen der EU nach China mehr als 140 Mrd. Euro betragen, umgekehrt waren es 120 Mrd. Euro. Es wirkt also auf den ersten Blick ausgewogen. Dennoch: Europäische Investoren werden in China einseitig benachteiligt, wenn man den Vergleich zu chinesischen Unternehmern in Europa zieht.

Die Wirtschaftssektoren, auf die die Vereinbarung zielt, sind das Verarbeitende Gewerbe, die Automobilbranche, wo sich China bereit erklärt, Joint-Venture-Auflagen abzuschaffen und sich zum Marktzugang für alternativ angetriebene Fahrzeuge verpflichtet; aber auch Finanzdienstleistungen, wo China mit der schrittweisen Liberalisierung der Branche beginnt und Öffnungen für Investoren aus der EU gewährt. Joint-Venture-Auflagen und Obergrenzen für ausländische Beteiligungen für das Bankwesen, den Handel mit Wertpapieren und Versicherungen und Vermögensverwaltung werden abgeschafft. Ebenso Teil des Abkommens sind Gesundheitswesen, Forschung und Entwicklung, Telekommunikations- und Cloud-Dienste, IT-Dienstleistungen, Telekom-Dienstleistungen, der Seeverkehr.

Ziele sind also faire Wettbewerbsbedingungen, das Ende erzwungener Technologietransfers sowie anderer wettbewerbsverzerrender Praktiken, Garantien und Erleichterungen für Genehmigungen zugunsten europäischer Unternehmen, insbesondere in Verwaltungsverfahren, Sicherheit bei gegebenen Genehmigungen zu geschäftlichen Tätigkeiten, Verzicht auf verdeckte Subventionen chinesischer Unternehmen, Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards und insbesondere der Verzicht auf selektive Absenkung von Standards, um in konkreten Fällen Aufträge gegenüber EU-Anbietern zu gewinnen.

Randaktivitäten im Fokus
Dennoch: Die Öffnungen werden eher schrittweise vollzogen und in vielen Bereichen nur die Randaktivitäten umfassen, wobei die Kernaktivitäten weiterhin rein chinesischen Unternehmen vorbehalten bleiben. Wir müssen uns darüber hinaus auch selbstkritisch fragen: Wurden die Möglichkeiten von Interessenbündelungen zwischen USA und Europa verspielt? Hätten wir gemeinsam eine bessere Verhandlungsposition gegenüber China aufbauen können?

Das zeigen Lehren, die die deutschen Verhandler der Industrie in China immer wieder machen mussten: Chinesen haben bei der Entwicklung von industriellen Verträgen erst dann richtig Druck gemacht und versucht, Nachbesserungen durchzusetzen, wenn die offiziellen Verhandlungen abgeschlossen waren, die Verträge von beiden Seiten als unterschriftsreif erklärt und Tinte noch nicht verspritzt war. Als langjähriger M&A-Verhandler in China hatte ich immer wieder den Eindruck, dass Chinesen erst einmal Scheinverhandlungen führen und austesten, ob es der europäische Partner mit seinem Abschlusswillen ernst meint.

Zweifellos könnte das europäisch-chinesische Abkommen aber einen großen Wandel in den Wirtschaftsbeziehungen einleiten und unserer Industrie sichere Rechtspositionen im Land der Mitte schaffen. Deshalb setzt die Wirtschaft auch große Hoffnungen in die Umsetzung des Vertrages. Die Erfahrungen und die Vernunft gebieten jedoch, mit Realitätssinn an die nächsten Vorhaben heranzugehen und insbesondere Vorleistungen und Investitionen weiterhin mit größer Vorsicht anzugehen.

China öffnet seine Märkte für das Ausland nur in dem Maße wie seine eigenen Player die Ausländer nicht mehr fürchten müssen und inwieweit sie aus deren Präsenz von Ausländern in China Vorteile ziehen können, wie Technologie- und Kompetenzgewinn. Wenn China jetzt also Konzessionen macht, dann dort, wo und weil sich das Land stark und dem Wettbewerb aus dem Ausland gewappnet oder überlegen fühlt. Die strategisch denkende Zentralregierung hat dabei vor allem auch im Auge, dass chinesische Firmen führende Positionen im Weltmarkt erreichen sollen. Als herausragende Beispiele für weltweite Spitzenstellungen gelten vor allem die Internet-, Computer-, Bahnindustrien sowie die Elektromobilität, die Filmindustrie, der Tourismus und die Netzwerktechnik.

Ausgeschlossene Wirtschaftsbereiche
Zentrale und strategisch entscheidende Bestandteile der kritischen Branchen bleiben in chinesischer Hand. Ausländer sind weitgehend ausgeschlossen. Dazu zählen Infrastruktur zur Kommunikation, Energieversorgung, Transport und Logistik, Wasserwirtschaft, Entsorgung, Tourismus und Landwirtschaft.

Faktisch blockieren die mittlerweile marktdominanten Ex-Staatsbetriebe den Marktzutritt europäischer Wettbewerber, weil diese der Markmacht und den führenden Positionen der Chinesen wenig entgegensetzen können. Europäer sind nur noch zugelassen und erwünscht, wenn sie Kompetenzen anbieten, die chinesische Anbieter abdecken. Solche Märkte werden dann von Seiten Chinas als „offen“ deklariert, sie sind aber faktisch zunehmend für westliche Anbieter verschlossen, es sei denn sie gewährleisten Wissenstransfer nach China.

Der Staat entscheidet auch über Gedeih und Verderben der eigenen chinesischen Unternehmen. Er zwingt etwa die Internetkonzerne, allen voran die führende Gruppe, die sogenannten BAT-Konzerne (Baidu/Alibaba/Tencent), ihre allerneuesten Entwicklungen zunächst dem Staat zu öffnen und dann erst auf den Markt zu bringen. Der Staat entscheidet über die Existenzen der Unternehmer. Insofern sind steuernde Eingriffe in Branchen und Unternehmen, die für strategisch entscheidend gehalten werden, gängige Praxis in China - auch der ausländischen Firmen.

Im westlichen Kontext bleibt also offen, ob der dynamische Vorstoß von Angela Merkel wirklich die EU voranbringt oder ob ein Vertragswettlauf mit den USA angestoßen wurde, der das westliche Gewicht gegenüber China eher schwächt.

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*) Prof. Dr. Kai Lucks ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions e.V.