Foundation | Welcome

Menu


Kommentar: Ohne „S“ kein ESG

Ökologische und soziale Nachhaltigkeit

Dr. Moritz Isenmann

Die Klimakrise bestimmt seit einiger Zeit die inhaltliche Wahrnehmung des Nachhaltigkeitsbegriffs. Dies ist aufgrund der Dringlichkeit von Maßnahmen zur Begrenzung des menschengemachten Klimawandels nicht verwunderlich. Dieser hat vielerorts bereits zu extremen Wetterphänomenen geführt, und wenn das 2015 in Paris gesteckte 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden soll, können dem Weltklimarat IPPC zufolge weltweit und von 2020 als Anfangsjahr ausgehend nur noch 400 Gigatonnen (Gt) CO2 emittiert werden.¹ Angesichts eines globalen Ausstoßes von 36,3 Gt im vergangenen Jahr² bleibt nur noch ein kleines Zeitfenster, um das Schlimmste zu verhindern.

Doch dürfen hierüber soziale Nachhaltigkeitsaspekte nicht ins Hintertreffen geraten – nicht zuletzt deshalb, weil es vielfältige Wechselwirkungen zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit gibt, die dazu führen, dass das eine nicht ohne das andere zu erreichen sein wird. Denn einerseits ist zu erwarten, dass der Klimawandel zu einer massiven Verschärfung sozialer Probleme gerade in den ärmeren Ländern der Welt führen wird, die von der Erderwärmung und ihren Folgeerscheinungen besonders stark betroffen sind. Andererseits sind soziale Gerechtigkeit und Wohlstand eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen überhaupt ökologisch nachhaltig handeln können. Wer sich Sorgen darüber machen muss, wie er seine Familie ernährt, für den ist Nachhaltigkeit von nachrangiger Bedeutung. Denn Nachhaltigkeit braucht Wohlstand.

MSME-Finanzierung in den Emerging Markets: ein wichtiger Beitrag zum Erreichen der SDGs
Der Leitstern für eine ganzheitlich nachhaltige Entwicklung sind die 2016 in Kraft getretenen nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die sogenannten SDGs (kurz für: Sustainable Development Goals). In ihnen werden soziale Zielsetzungen mindestens ebenso stark gewichtet wie umweltbezogene.

Für die SDGs wird ein zusätzlicher Investitionsaufwand allein in Bezug auf die Entwicklungsländer von durchschnittlich 2,5 Billionen USD pro Jahr veranschlagt. Dieses Investitionsvolumen ist von der öffentlichen Hand nicht allein zu bewältigen. Der Privatsektor könnte nach Berechnungen der UN zwischen 900 Milliarden und 1,8 Billionen pro Jahr zum Schließen der Finanzierungslücke beitragen.³

Ein Beispiel dafür, wie ein solcher Beitrag geleistet werden kann, ist die Finanzierung von Mikrounternehmen sowie von Small and Medium Enterprises (MSME) in den Entwicklungs- und Schwellenländern. MSME-Finanzierung wird im „Final Report on Social Taxonomy“, den die „EU Platform on Sustainable Finance“ im Februar 2022 veröffentlicht hat, klar vom normalen Bankgeschäft, also ohne sozialen Mehrwert, abgegrenzt. Sollte in der EU eine soziale Taxonomie verabschiedet werden, dann könnte MSME-Finanzierung, so hat es die “Platform on Sustainable Finance” in Aussicht gestellt, als „substanzieller Beitrag“ zu einem sozialen Ziel klassifiziert werden.⁴

MSME, die in den meisten Ländern den Großteil aller Unternehmen ausmachen, sind zentral für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum (SDG 8) und damit auch für die Reduzierung von Armut (SDG 1) sowie der Ungleichheit sowohl zwischen als auch innerhalb von Ländern (SDG 10). Gerade in den Emerging Markets (EM) müssen im kommenden Jahrzehnt mehrere hundert Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, um einer wachsenden Bevölkerung ein Auskommen zu sichern. Zugleich fehlt dort vielen MSME der Zugang zu Kapital, was sie in ihrem Wachstum einschränkt. Die International Finance Corporation hat die MSME-Finanzierungslücke in den EM auf 5,2 Billionen USD beziffert. Davon entfallen ca. 4,5 Billionen USD auf den SME-Sektor und 722 Milliarden USD auf Mikrounternehmen.⁵ Im Durchschnitt beträgt die Finanzierungslücke 19 Prozent des BIP dieser Länder. In Europa und den Vereinigten Staaten sind es lediglich 3 bzw. 2 Prozent.

Graphik: Finanzierungslücke für MSME in den Schwellen- und Entwicklungsländern


Quelle: IFC, MSME Financing Gap: Assessment of the Shortfalls and Opportunities in Financing Micro, Small, and Medium Enterprises in Emerging Markets, 2017, S. 28.

Während Mikrofinanzierung bereits fest etabliert ist, steht SME-Finanzierung noch am Anfang. Über die direkte Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen mit zusätzlichem Kapitalbedarf oder über die Refinanzierung von Finanzinstituten, die Kredite an SME in den Emerging Markets vergeben, wird sich in den kommenden Jahren voraussichtlich eine große soziale Wirkung im Sinne der oben genannten SDGs erzielen lassen - und damit eine wichtige Stärkung des ”S” innerhalb von ”ESG”.


¹ https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_SPM.pdf, S. 29.
² https://www.iea.org/reports/global-energy-review-co2-emissions-in-2021-2
³ UNCTAD (2014), World Investment Report 2014. Investing in the SDGs: An Action Plan, S. 145.
https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/280222-sustainable-finance-platform-finance-report-social-taxonomy.pdf, S. 51.
⁵ IFC, MSME Financing Gap: Assessment of the Shortfalls and Opportunities in Financing Micro, Small, and Medium Enterprises in Emerging Markets, 2017, S. 28.


---
*) Dr. Moritz Isenmann, Research and Strategy Manager, Invest in Visions