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Kommentar: Die Tage von Öl als Kraftstoff sind gezählt

Studie „Wells, Wires and Wheels“ zur Zukunft der Mobilität

Mark Lewis

Gut 47 Millionen Personenkraftwagen (Pkw) gab es Anfang 2019 allein in Deutschland. Ein Bruchteil davon – nämlich 83.175 – sind Elektrofahrzeuge. Doch auch wenn diese Antriebsart in Deutschland mit einem Anteil von unter 0,2% am Gesamtbestand noch eine kleine Minderheit ist, so kommt die Sache doch langsam ins Rollen: Allein 2018 wurden 43,9% reine Elektrofahrzeuge mehr zugelassen als noch im Jahr zuvor, so die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes (KBA).

Der Siegeszug der Elektroautos weltweit dürfte wohl spätestens in fünf Jahren nicht mehr aufzuhalten sein: So gehen die Analysten von DNV GL davon aus, das Elektroautos 2024 kostentechnisch gleichauf mit Verbrennern liegen werden, was ihren gesamten Lebenszyklus vom Kauf bis zum Betrieb und Reparaturen angeht. Den „Electric Car Tipping Point“ – den Zeitpunkt, wo bereits jedes zweite Auto mit einem Elektromotor unterwegs sein wird – erwarten Experten der Boston Consulting Group um das Jahr 2030.

Allerdings werden sie sich wohl nur dann flächendeckend durchsetzen können, wenn auch der Aufbau einer Infrastruktur gelingt. Auch hängt der Erfolg der Elektroautos davon ab, wie sehr sich Käufer von möglichen Reichweiteneinschränkungen beeindrucken lassen und welche Maßnahmen die Regierung für oder gegen Elektroautos trifft. Aus rein wirtschaftlicher Sicht sind sie – verglichen mit herkömmlichen Fahrzeugantrieben – schon jetzt deutlich im Vorteil.

Hoher Schub: Erneuerbare Antriebsenergie ist bis zu siebenmal wirtschaftlicher als Öl
In einer aktuellen Untersuchung „Wells, Wires and Wheels“ ermittelten wir den Energy Return on Capital Invested (EROCI). Betrachtet wird, welchen Energieertrag Öl und erneuerbare Energien abwerfen, wenn diese Energie zum Antrieb von Autos und anderen leichten Nutzfahrzeugen genutzt wird. Sprich: Wie weit kommt man aktuell mit einem Investment von 100 Mrd. US-Dollar?

Das Urteil ist mehr als eindeutig: Schon heute bringen bei gleichem Kapitaleinsatz mit Wind- und Solarenergieprojekten betriebene Elektroautos sechs bis siebenmal mehr Energie auf die Straße als solche, deren Benzinmotoren im weitesten Sinne mit Öl betrieben werden. Der Unterschied ist weniger deutlich, wenn man von Dieselfahrzeugen ausgeht, doch auch dann sind Wind- und Solarenergie immer noch drei- bis viermal so effektiv wie der Verbrennungsmotor.

Der „Break-Even-Point“, also die Schwelle, an der für dasselbe Geld dieselbe Menge an Antriebsenergie zur Verfügung steht, liegt demnach bei etwa 9 bis 10 US-Dollar pro Barrel Öl, wenn dieses in Benzinmotoren fließt und 17 bis 19 US-Dollar pro Barrel bei Dieselmotoren. Damit Öl wettbewerbsfähig bleibt, müsste der Preis also deutlich fallen: Brent-Öl kostet derzeit 59 US-Dollar, während die Sorte WTI für 53 USD-Dollar gehandelt wird (Stand vom 7. Oktober 2019).

Netto-EROCI* für Neu-Projekte für erneuerbare Energien zum Betrieb von E-Fahrzeugen für einen Aufwand von 100 Milliarden US-Dollar (im Vergleich zu Benzinfahrzeugen, in TWh)
*In diesem Bericht ist der Netto-EROCI der Umfang der Mobilität, die für einen bestimmten Kapitaleinsatz erworben wird.



Quelle: BNP Paribas Asset Management, Schätzungen.

Abb. 1: Öl müsste bei 9-10 US-Dollar je Barrel gehandelt werden, um mit dem Kapitaleinsatz von 100 Mrd. US-Dollar die gleiche Antriebsenergie für Benzinfahrzeuge zu erhalten wie für E-Fahrzeuge, die mit Strom aus Wind- und Solarprojekten gespeist werden.

Teurer Sprit: Der Ölpreis müsste auf 10 Dollar pro Barrel sinken
Sprit ist schlicht zu teuer, gerade langfristig betrachtet: Um das Mobilitätsniveau von Benzin aus dem Jahr 2018 für die nächsten 25 Jahre zu halten, sind Investitionen von schätzungsweise 24,6 Billionen US-Dollar notwendig. Die Kosten für neue Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien liegen dagegen bei nur 4,6 bis 5,2 Billionen Dollar.

Kurz: In diesem Zeitraum die gleiche Mobilität aus Benzin zu erzielen wie mit erneuerbaren Energien im Zusammenspiel mit Elektrofahrzeugen, kostet etwa sechs bis siebenmal so viel. Denn auch Ölquellen sprudeln nicht ewig. Um den aktuellen Versorgungsstandard zu halten, müssen jedes Jahr rund zehn Prozent der Förderstätten ersetzt werden. Und die Erschließung neuer Ölfelder wird laufend teurer, weil die einfach zu erreichenden Lagestätten vielfach bereits erschlossen sind. Wind und Sonne stehen dagegen fast unbegrenzt zur Verfügung.

Selbst wenn man die die Kosten für den Aufbau einer neuen Netzinfrastruktur berücksichtigt, also die Erweiterung der Übertragungs- und Verteilungsnetze, um die zusätzlichen Strommengen zu bewältigen, die aus all den neuen Wind- und Solarkapazitäten entsteht, zeigt die Analyse: Die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien schlägt die von Öl glasklar. Egal, ob in Form von Benzin oder Diesel, die Tage von Öl als Kraftstoff für Autos sind gezählt.

Harte Konkurrenz: Erneuerbare ersetzen leicht bis zu 41% des globalen Ölbedarfs
Das hat weitreichende Folgen für die Mineralölkonzerne. Der Ölindustrie erwächst hier – erstmals in ihrer Geschichte – eine ernstzunehmende Bedrohung für ihr Geschäftsmodell: Derzeit entfallen 36% der Rohölnachfrage auf den Betrieb leichter Nutzfahrzeuge und anderer Fahrzeuge, die sich für die Elektrifizierung eignen. Weitere 5% fließen in die Stromerzeugung. Die konkurrierenden, erneuerbaren Energien könnten also leicht bis zu 41% des weltweiten Ölbedarfs ersetzen. Für sie sprechen die kurzfristigen Grenzkosten von Null, ihre Umweltfreundlichkeit und dass sie einfacher zu transportieren sind.

Ölnachfrage



Quelle: BNP Paribas Asset Management

Abb.2: Die erneuerbaren Energien könnten leicht bis zu 41% des weltweiten Ölbedarfs ersetzen.

Allerdings: Die Ölindustrie genießt derzeit einen massiven Größenvorteil gegenüber Wind- und Solarenergie. 2018 lieferte Öl 33% der weltweit benötigten Energie, verglichen mit nur 3% gespeist aus Wind und Sonne. Doch dieser Vorsprung schmilzt. Vor 100 Jahren hätte auch die Ölindustrie nicht dieselbe Energie liefern können wie heute. Sie hat über Jahrzehnte eine globale Lieferkette aufgebaut, während Wind und Sonne erst am Anfang der gleichen Entwicklung stehen.

Teurer Spaß: Elektrofahrzeuge sind (noch) nicht so günstig wie herkömmliche
Und: Noch sind Elektroautos vergleichsweise teuer. Seit dem Juni 2019 vermarktet Opel den Corsa-e als „Volkselektroauto“ ab einem Einstiegspreis von 29.900 Euro. Auch die Konkurrenten VW, Honda oder Mini Cooper bieten aktuell E-Autos für „jedermann“ für knapp 30.000 Euro. Günstiger ist das Solarauto des Münchner StartUps Sono Motors. Den Sion gibt es für nur 16.000 Euro – doch der Preis gilt ohne Batterie. Die kann man mieten; beim Kauf schlägt sie mit nochmals 9.500 Euro zu Buche.

All dies ist erst ein Anfang, um Durchschnittsverdienern die E-Mobilität schmackhaft zu machen. Doch schon 2024 könnten sich die Preise für Elektroautos denen von herkömmlichen Fahrzeugen angeglichen haben. Dann werden die Karten neu gemischt und den Ölkonzernen droht womöglich das gleiche Los wie den europäischen Versorgern in den letzten zehn Jahren: Sie hatten den Ausbau der Wind- und Solarenergie zunächst verpasst und Milliarden Euro in Anlagen zur Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen versenkt.

Jüngste Maßnahmen: Das Klimapaket soll den Umstieg auf Elektroautos weiter fördern
Auch die Politik ist in der Pflicht, sie hat jetzt die Chance, die Energiewende und den damit verbundenen Nutzen für Umwelt und Gesundheit gezielt zu fördern. Etwa über steuerliche Anreize für Elektrofahrzeuge, wie sie etwa in Norwegen erfolgreich waren, eine verbesserte Ladeinfrastruktur und entsprechende Energiespeichertechnologien. Die Bundesregierung formulierte ihre nächsten Schritte dazu im aktuellen Klimaschutzplan vom Mitte September, demnach will die Große Koalition emissionsarme Fahrzeuge bis 2025 von der Kfz-Steuer ausnehmen und die Kaufprämie für Elektroautos erhöhen. Vorgesehen ist auch der Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Bis 2030 sollen insgesamt eine Million öffentliche Ladepunkte zur Verfügung stehen, bisher sind es erst gut 20.000. Wie gesagt: So langsam kommt die Sache ins Rollen.

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*) Mark Lewis ist Head of Climate Change Investment Research bei BNP Paribas Asset Management.