Kapitalmärkte sind komplex, Anlageentscheidungen bewegen sich in einem hochdimensionalen Datenraum, von Unternehmenskennzahlen bis zu makroökonomischen Indikatoren und geopolitischen Risiken. Viele Beziehungen an den Märkten sind nichtlinear, sie folgen keiner einfachen Logik. Diese Zusammenhänge bleiben menschlichen Analysten oft verborgen.
ML kann sehr große und heterogene Datenmengen verarbeiten, Faktoren gleichzeitig analysieren und Muster erkennen. Die Systeme helfen, komplexe Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen wirtschaftlichen Daten, Unternehmenskennzahlen und Preisen zu erkennen. Die Verarbeitung von mehr Daten verbessert die Entscheidungsgrundlagen bei der Kapitalanlage.
Zudem erkennt KI funktionale Abhängigkeiten und kann diese situativ anpassen, ohne dass alle Szenarien im Vorfeld durch Wenn-Dann-Vorgaben ausformuliert sein müssen. Das reduziert die Anzahl individueller, subjektiver Entscheidungen und erhöht die Konsistenz.
Datenqualität als Erfolgsfaktor
Am Kapitalmarkt dominieren „verrauschte“ Daten, in denen verwertbare Signale sehr schwer zu finden sind. Relevante Informationen für die Neubewertung von Aktien werden in der Preisbildung permanent überlagert durch irrelevante Daten, Gerüchte und Emotionen, sodass Muster kaum zu erkennen sind. Grundlage für valide Ergebnisse durch ML sind jedoch hochwertige und umfangreiche Daten. Zudem müssen historische Daten den tatsächlichen Informationsstand zum jeweiligen Zeitpunkt widerspiegeln (Point-in-Time-Daten). Werden Informationen rückwirkend überschrieben, lernen Modelle aus einer Realität, die es so nie gegeben hat – mit potenziell gravierenden Folgen für die Robustheit der Prognosen. Daher sollten die Daten mehrerer Datenanbieter einbezogen und durch ausgewiesene Experten sorgfältig aufbereitet und geprüft werden.
Auch die Qualität der Algorithmen, die diese Daten auswerten, ist entscheidend. Deren Entwicklung, rigorose Trainingsprozesse sowie ihre Anpassung an unterschiedliche Anlageuniversen erfordert Know-how, Erfahrung und eine performante Softwareinfrastruktur.
Darüber hinaus wird der Lernprozess der KI-Modelle durch den kontinuierlichen Wandel und häufige Strukturveränderungen der Kapitalmärkte erschwert. Daher erfordert die Entwicklung einer proprietären KI für Anlageentscheidungen umfassende Investitionen in Daten und Rechenkapazität sowie starke Kompetenzen aus den Bereichen Finance, Computer- und Datenwissenschaften.
KI im Aktiensegment
Der Einsatz von ML eignet sich aufgrund der Quantität und Qualität an verfügbaren Daten insbesondere für die Aktienselektion innerhalb großer Aktienuniversen, wie die aktuelle Forschung und unsere praktische Erfahrung zeigen. Darüber hinaus können spezielle Modelle auch für die taktische Asset Allokation eingesetzt werden. Zielsetzung dieser Modelle ist es, Risiken frühzeitig zu erkennen und beispielsweise die richtigen Einstiegszeitpunkte nach turbulenten Marktphasen zu erkennen. Für institutionelle Investoren ergeben sich dadurch vielfältige Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel bei der Steuerung von Quoten über Future-basierte Overlays oder im Rahmen von Wertsicherungsstrategien.
Die verfügbaren Daten für andere Anlageklassen, wie Private Markets, sind oft lückenhaft, weniger standardisiert und in ihrer Tiefe nicht mit dem Aktienbereich vergleichbar.
Stress-Test bestanden
Sofern die Architektur passend gewählt ist, sind Methoden des maschinellen Lernens tendenziell weniger anfällig gegenüber Strukturbrüchen, wie sie an den Kapitalmärkten regelmäßig auftreten. Während der Turbulenzen im Frühjahr 2025 im Zusammenhang mit der US-Zollpolitik zeigten viele traditionelle Anlagestrategien Schwächen. Viele KI-basierte Strategien hingegen konnten sich in dieser Phase behaupten und ihre jeweilige Benchmark übertreffen.
Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass die den Strategien zugrundeliegenden KI-Modelle nicht versuchen, politische Entscheidungen direkt zu interpretieren oder vorherzusagen. Dadurch sind sie weniger Anfällig für von menschlichen Biases geprägten kurzfristige Überreaktionen und Marktverwerfungen.
Dabei steht nicht die punktgenaue Prognose im Vordergrund, denn auch KI verfügt nicht über die sprichwörtliche „Glaskugel“. Vielmehr erstellt das Modell für jede Aktie im Investmentuniversum ein relatives Ranking nach erwarteter Rendite innerhalb ihres jeweiligen Sektors. Auf Basis dieser Prognosen und unter Einbeziehung eines globalen Risikomodells wird monatlich ein optimiertes Portfolio konstruiert. Vereinfacht gesagt: Wenn die KI bei mehr als der Hälfte der Aktien eines Index richtig liegt, kann sie Anlegern eine Outperformance ermöglichen.
Transparenz schaff Vertrauen
Häufig wird behauptet, dass die Ergebnisse von KI-Systemen nicht nachvollziehbar seien. Doch moderne Ansätze setzen auf erklärbare KI. Das bedeutet: Anleger können nachvollziehen, welche Daten sich wie auf die Beurteilung einer Aktie ausgewirkt haben. Diese Transparenz ist entscheidend, um Vertrauen in KI-gestützte Anlageprozesse aufzubauen.
Perspektive
Die wachsende Herausforderung, durch aktives Asset Management echten Mehrwert zu erzielen, trifft auf steigenden Kostendruck. In diesem Umfeld wird Künstliche Intelligenz in den kommenden Jahren zu einer Schlüsseltechnologie, auch im Research und bei Anlageentscheidungen.
Dabei gilt: Ein KI-gesteuerter Prozess im Asset Management sollte nicht vollständig autonom agieren. KI kann die Kapitalanlage grundlegend verändern, ersetzt aber nicht den Menschen. Die finale Plausibilitätskontrolle bleibt menschliche Aufgabe.
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*) Dr. Daniel Willmann, Gründer und CEO von Ultramarin
Gastbeitrag: Kapitalanlage im Wandel – KI als Schlüsseltechnologie
Dr. Daniel Willmann
