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Kommentar: Windenergie – Deutschland droht den Anschluss zu verlieren

Die CO2-Emissionen müssen sinken, wenn der Klimawandel und seine Folgen eingedämmt werden sollen. Über das Wie, das Wo und das Tempo mag aktuell viel diskutiert werden, aber die Energiewende und ihre Notwendigkeit waren in Deutschland schon vor der „Fridays for Future“-Bewegung weitgehend Konsens.

Jan-Peter Müller

Nach dem Atom- wurde nun auch der Kohleausstieg beschlossen oder zumindest eingeleitet. Bis 2022 sollen insgesamt mehr als zehn Gigawatt (GW) an konventioneller Erzeugungskapazitäten vom Netz gehen.¹ Umso genauer gilt es hinzuschauen, wenn die Umstellung zu einer klimafreundlicheren Energieversorgung an zentralen Stellen ins Stocken gerät.

Genau das passiert derzeit mit der Onshore-Windenergie in Deutschland. Der Zubau von Windkraftanlagen ist regelrecht eingebrochen. Nachdem es bereits 2018 einen deutlichen Rückgang gegeben hat, sind im ersten Halbjahr 2019 Anlagen mit einer Kapazität von nur noch 271 Megawatt (MW) ans Netz gegangen. Das entspricht etwa einem Zehntel des üblichen Zubaus in den Jahren vor 2018.² Nur zur Einordnung: Ein einzelnes modernes Onshore-Windrad kann – je nach Größe und Standort – etwa zwei bis fünf MW Leistung produzieren. Für die Energiewende ist dieser Einbruch ein Rückschlag. Wie ist das zu erklären?

Die wesentliche Ursache ist ein Zusammenspiel aus drei unterschiedlichen Faktoren. Erstens sind die Genehmigungsverfahren in Deutschland langwieriger und komplexer geworden. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Höhere Anforderungen an die Entfernungen zu Wohnbebauung lassen das Angebot an geeigneten ungenutzten Standorten sinken. Und auch Restriktionen bezüglich der Höhe der Anlagen senken das Angebot potenziell ertragreicher und somit rentabler Standorte.

Zweitens herrscht zwar eine weit verbreitete grundsätzliche Zustimmung zur Energiewende, wie eingangs gesagt, doch gleichzeitig wächst der Widerstand gegen konkrete Projekte vor der eigenen Haustür. Diese etwas paradoxe Grundhaltung ist unter dem Begriff Nimby-Mentalität bekannt; die Abkürzung steht für „not in my backyard“. Die Zahl der Klagen von Anwohnern, Bürgerinitiativen und zum Teil sogar Gemeinden gegen Windkraftprojekte nimmt stetig zu. Das sorgt nicht nur für Verzögerungen und Absagen. Investoren müssen im Zweifel sogar Reputationsrisiken eingehen. Auch die Idee der Bürgerwindparks, die für eine größere Akzeptanz sorgen soll, hat bislang wenig gefruchtet: Das Gros der geplanten Bürgerwindprojekte wurde bis dato nicht einmal genehmigt.

Offenbar ist der deutsche Markt noch nicht reif genug für den großen EEG-Umbau
Der dritte Punkt ist der schrittweise Umbau des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von einer langfristig festgelegten und staatlich garantierten Einspeisevergütung zu einem System, das Ausschreibungen für die Höhe der Zuschüsse vorsieht und den Ausbau, welcher durch das EEG vergütet wird, begrenzt. Es ist durchaus nicht falsch, in einem reifer werdenden Markt stärker auf marktwirtschaftliche Mechanismen zu setzen. Die Stromgestehungskosten bei erneuerbaren Energien sind in den vergangenen Jahren stark gesunken, sowohl aufgrund des technischen Fortschritts als auch aufgrund von Skaleneffekten durch eine deutlich größer und effizienter gewordene Produktion. Entsprechend niedriger wird der Förderbedarf.

Der grundsätzlich richtige Gedanke, stärker auf marktwirtschaftliche Mechanismen zu setzen, trifft jedoch auf einen noch unterentwickelten PPA-Markt in Deutschland. PPAs, also „Power Purchase Agreements“, sind langfristige Stromabnahmeverträge zu festen Preisen, die beispielsweise mit industriellen Verbrauchern oder Energieversorgern abgeschlossen werden können. Ohne diese Abnahmesicherheit zu einer festen Vergütung und damit langfristig stabilen Erträgen verlieren Investitionen in Onshore-Assets an Attraktivität. Gerade institutionelle Investoren schätzen Investments, bei denen frühzeitig die Höhe des regelmäßigen Cashflows feststeht, und Banken sehen PPAs oder staatliche Vergütungs-Regime oftmals als grundsätzliche Voraussetzung für eine Finanzierung solcher Assets.

Mutlose Zwischenlösung der Politik funktioniert nicht
Die Konsequenz ist, dass derzeit kaum deutsche Windparks ohne EEG-Vergütung finanziert, gebaut oder finalisiert werden. Die mutlose Zwischenlösung der Politik funktioniert nicht. Der Einbruch bei den Fertigstellungszahlen – bei den Genehmigungen sieht es übrigens nicht gänzlich anders aus – zeigt: In Kombination mit den beiden anderen Punkten schadet diese Zwischenlösung dem Ausbau und der erfolgreichen Gestaltung der Energiewende massiv.

Investoren suchen Alternativen zu deutschem Onshore-Wind
Viele Investoren zeigen angesichts der Lage im deutschen Onshore-Bereich und dem Mangel an EEG- oder PPA-vergüteten Windparks ein vermehrtes Interesse an Offshore-Projekten sowie an ausländischen Windenergie- beziehungsweise Renewables-Märkten. In Skandinavien beispielsweise sind die PPA-Märkte wesentlich weiterentwickelter und weisen längere Laufzeiten auf. Das sichert langfristig prognostizierbare Erträge und gibt Banken die notwendige Sicherheit zur Finanzierung der Assets. In Spanien zeigt die Entwicklung in eine ähnliche Richtung, sowohl für Photovoltaik als auch für Windkraft. Sollte sich Frankreich langfristig von der Kernkraft lösen, wird dort die Nachfrage nach Windenergie noch stärker zunehmen. Für konservative Investoren sind zudem die USA und Kanada spannende Märkte.

Die Energiewende in Deutschland ist so nicht zu schaffen
Letztlich ist es das Zusammenspiel aller drei Faktoren – Regulierung, Akzeptanz, EEG-Reform –, welches den Einbruch beim Windenergiezubau in Deutschland bedingt. Meinen wir es ernst mit Energiewende und Klimazielen, sollte die Incentivierung und Förderung von Renewable-Investments vielleicht noch einmal überdacht werden. Offenbar werden EEG-Vergütungen und andere Anreizsysteme oder Marktmechanismen wie CO2-Steuern oder Zertifikate bis auf Weiteres noch benötigt.

Mögliche Lösungsmöglichkeiten könnten deshalb entweder eine gänzliche Abschaffung der EEG-Vergütung bei gleichzeitiger Incentivierung von PPA-Lösungen oder eine Abschaffung der Ausbauobergrenze und damit eine Rückkehr zu früheren EEGs sein. Zudem sollte offen darüber diskutiert werden, ob und wie Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden können und Klagemöglichkeiten reduziert werden. Der letzte Punkt ist besonders heikel und dies zu Recht, allerdings für einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien sowie der dafür notwendigen Netze unumgänglich.

Deutschland war jahrelang Vorreiter in Sachen erneuerbare Energien, vor allem im Bereich der Windkraft. Momentan verliert es den Anschluss, der Ausbau ist massiv ins Stocken geraten, andere Märkte werden attraktiver. Die Energiewende wird so nicht realisiert werden können. Für Investoren ist dies in Bezug auf die Anlagemöglichkeiten ein geringeres Problem. Es gibt Alternativen, besonders auch im Bereich der erneuerbaren Energien. Um dort erfolgreich investieren zu können, setzt es allerdings die entsprechende Expertise sowie ein kompetentes Partnernetzwerk voraus.

¹ https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetundGas/Unternehmen_Institutionen/Versorgungssicherheit/Erzeugungskapazitaeten/Kraftwerksliste/kraftwerksliste-node.html
² https://www.fachagentur-windenergie.de/fileadmin/files/Veroeffentlichungen/Analysen/FA_Wind_Zubauanalyse_Wind-an-Land_Halbjahr_2019.pdf

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*) Jan-Peter Müller, Executive Director – Head of Asset Structuring & Infrastructure Investments, Commerz Real