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Kommentar: US-Energieunternehmen – Grüne Zukunft, auch ohne „blaue Welle“?

Im Vorfeld der US-Wahlen hatten sich viele Anleger auf einen Erdrutschsieg der Demokraten, eine sogenannte „blaue Welle“, eingestellt. Zwar gewann der Demokrat Joe Biden die Präsidentschaft, allerdings entscheidet sich erst Anfang Januar, ob er auch die Mehrheit im Senat haben wird. Öl- und Gasaktien stiegen daraufhin stark an, während die Aktien von Produzenten erneuerbarer Energien fielen. Ohne eine Senatsmehrheit wird es für den neu gewählten Präsidenten schwieriger, eine klimafreundliche Politik durchzusetzen und die von der Vorgängerregierung beschlossenen Maßnahmen, wie den Austritt aus dem Pariser Abkommen, rückgängig zu machen. Eine „blaue Welle“ blieb aber aus – US-Energieerzeuger sind jetzt also gefragt, selbst die Initiative zu ergreifen und sich für den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft bereit zu machen.

Audra Delport

Im Dezember 2019 legte die Europäische Union ihren Green Deal vor, einen Fahrplan für die Staatengemeinschaft mit dem Ziel bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Große europäische Öl- und Gasunternehmen mit Investment Grade Rating waren daraufhin die ersten, die ihre Klimaneutralitätsziele kommunizierten. Viele von ihnen haben ihre Strategien auf die von der Science Based Targets Initiative formulierten Szenarios für Energieunternehmen ausgerichtet. Darin werden vier mögliche Übergangskonzepte erläutert, um Öl- und Gasunternehmen bei der Bewältigung von Klimafragen und der Definition der künftigen Herausforderungen zu unterstützen.

Für die meisten Unternehmen bedeutet dies erhöhte Investitionen in erneuerbare Energien, Stromerzeugung, Biokraftstoffe und Technologien zur Kohlenstoffabscheidung. Repsol war das erste Ölunternehmen weltweit, das ein Nullemissionsziel ankündigte. Im Zuge dessen beabsichtigt das Unternehmen, die Generierung von Wertschöpfung und liquider Mittel in seinem Upstream-Geschäft über das Absatzvolumen zu stellen. Außerdem orientiert sich das Unternehmen bei der Bewertung künftiger Explorations- oder Produktionsentscheidungen an einer Öl- und Gaspreiskurve, die mit den Klimazielen des Pariser Abkommens in Einklang steht.

Europäische Energieunternehmen haben bei Klimazielen die Nase vorn
Wie man sieht, haben europäische Unternehmen bei der Formulierung ihrer Klimaziele zweifellos erhebliche Fortschritte gemacht. Ihre US-amerikanischen Mitbewerber können hier bislang nicht mithalten. Oft stellen wir fest, dass wir als Investmentteam die ersten Anleger sind, die im Dialog mit ertragsstarken US-Energieunternehmen Fragen des Emissionsabbaus ansprechen.

Im Vorfeld der Wahlen präsentierte Joe Biden jedoch eine ehrgeizige Klimaagenda, die unter anderem eine klimaneutrale Wirtschaft bis ins Jahr 2050 vorsieht. Dieser Ansatz kommt einer 180-Grad-Wende gegenüber seinem Vorgänger gleich und könnte den Druck auf US-Energieunternehmen erhöhen, zu ihren europäischen Mitbewerbern aufzuschließen. Auch ohne „blaue Welle“ bleibt die Aussicht auf strengere Beschränkungen bei der Nutzung von Staatsflächen sowie verschärfte Grenzwerte für Methan- und Fackelemissionen bestehen.

Im Anschluss an die US-Wahlen gab Occidental als erstes US-Energieunternehmen bekannt, seine Emissionen, einschließlich Scope-3-Emissionen, bis zum Jahr 2050 auf Null reduzieren zu wollen. Damit steht das Unternehmen jedoch allein da. Die wenigen Mitwettbewerber, die ähnliche Ziele angekündigt haben, beziehen sich ausschließlich auf Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Ungeachtet davon, haben einige Firmen mittelfristige Ziele für eine Reduzierung der Kohlenstoffintensität und des Abfackelns von Gas festgelegt.

Der Druck auf die US-amerikanischen Energieunternehmen steigt
Die Diskrepanz zwischen den beiden Regionen hat mehrere Gründe. Zum einen sind das die Unterschiede im politischen Raum. Zum anderen üben die Aktionäre in Europa einen höheren Druck aus, CO2-Emissionen zu reduzieren. Außerdem sind US-Unternehmen bei der Festlegung langfristiger Ziele konservativer, wenn sie sich unsicher sind, ob die vorhandene Technologie dazu beitragen kann, diese zu erreichen. Zudem ist es für Upstream-Erzeuger – zu denen viele US-Unternehmen zählen – schwieriger, klimaneutral zu arbeiten und Scope-3-Emissionen zu kontrollieren. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei allen europäischen Unternehmen, die bislang Ziele formuliert haben, um integrierte Energieunternehmen.

Und schließlich unterscheidet sich auch die Struktur des US-amerikanischen von der des europäischen Energiemarktes. Während der europäische Markt hauptsächlich aus großen, integrierten Akteuren besteht, gibt es in den USA eine höhere Bandbreite an Unternehmen, wenige größere, aber dafür eine Fülle kleinerer Produzenten von Schieferöl und -gas. Angesichts der Talfahrt der Ölpreise in diesem Jahr mussten viele dieser kleineren Firmen ums Überleben kämpfen – langfristige Entscheidungen hinsichtlich der Energiewende wurden dabei hintenangestellt.

Mit der fortschreitenden Energiewende steigt der Druck auf Öl- und Gaserzeuger in den USA, strategische Antworten zu finden. In Gesprächen mit den Unternehmen erhalten wir einen detaillierten Überblick über Denkweise, Einstellung und Maßnahmen der jeweiligen Managementteams in Bezug auf klimabezogene Risiken. Außerdem bieten sie Einblicke in die aktuelle und zukünftige strategische Planung sowie die Kapitalallokation, die sie zur Minderung und Ausnutzung dieses Themas vorsehen.

Langfristige Ausrichtung auf Wandel wird entscheidend sein
Die Energiebranche befindet sich an einem kritischen Punkt ihrer Geschichte. US-Firmen sehen sich dadurch mit einer Reihe nie dagewesener Herausforderungen konfrontiert. Die Klimapolitik der Regierung Biden wird zwar weniger aggressiv ausfallen, als von einigen Anlegern im Vorfeld der Wahlen erwartet. Trotzdem besteht weiter ein wesentliches Risiko für US-Energieunternehmen, die sich nicht dazu äußern, welche Auswirkungen der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in den kommenden Jahren auf bestehende Geschäftsmodelle hat. Aus Sicht der Investoren, glauben wir, liegt es bei den Unternehmen zu zeigen, dass sie gewillt sind, ihr langfristiges strategisches Denken zu ändern und auf die Chancen auszurichten, die sich durch den Wandel ergeben.

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*) Audra Delport ist Deputy Head of Credit Research beim internationalen Geschäft von Federated Hermes.