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Kommentar: Immobilien-Investments in Deutschland – weiterhin Safe Haven oder neues Sorgenkind?

Noch Mitte Dezember 2021 herrschte unter Investoren große Zuversicht, was den Investmentstandort Deutschland betraf. Zumindest legte dies die turnusmäßig stattfindende INREV-Befragung unter institutionellen Investoren nahe. Wie eigentlich durchgehend seit drei Jahrzehnten stand Deutschland an der Spitze der beliebtesten Investmentstandorte und konkurrierte mit dem Vereinigten Königreich um die Rolle als zweitwichtigster Markt der Welt.

Markus Reinert FRICS

Nach der neuen INREV-Stimmungsumfrage aus März 2022 zeigt sich nun ein völlig anderes Bild: Zwar ergab sich eine Rekordperformance im Immobiliensektor mit durchschnittlichen Total Returns von 12,9% für das Gesamtjahr 2021, gleichzeitig zeigte sich aber eine starke Verunsicherung unter den Investoren: 67% aller Befragten gehen von gestiegenen Investmentrisiken für europäische Immobilienanlagen aus. Vor allem der Investmentstandort Deutschland musste dramatische Rückgänge in der Beliebtheit verzeichnen. Von insgesamt zehn europäischen Anlageregionen rutschte Deutschland von Platz zwei auf Platz neun, nur noch gefolgt von der CEE-Region. Das Vereinigte Königreich hingegen wurde deutlich positiver betrachtet, auch Investmentregionen wie die Niederlande, Spanien und Frankreich geraten stärker in den Investorenfokus.

Es ist bemerkenswert, wie schnell der Investmentstandort Deutschland in einem völlig anderen Licht dasteht, während direkte Nachbarländer keinen solchen Malus verzeichnen müssen. In keiner der bisherigen Krisen der 2000er Jahre war es zu einer vergleichbaren Unsicherheit unter Investoren gekommen. Aber ist diese Reaktion auch inhaltlich gerechtfertigt? Und könnte sie dafür sorgen, dass wir uns vom langjährigen Bild Deutschlands als Safe Haven verabschieden müssen?

Ein Cocktail von Herausforderungen
Die Ukraine-Krise ist zweifellos eine historische Zäsur, die neben der humanitären Tragödie auch unabsehbare wirtschaftliche Auswirkungen auf die ganze Welt, Europa und auf Deutschland haben wird. Wie genau diese ausfallen, hängt vor allem von der Länge des Konfliktes sowie der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland ab. Wichtig ist auch die Frage, ob die deutsche Regierung frühzeitig Verträge mit politisch stabilen Handelspartnern schließen kann, um sich nachhaltige Alternativen zum Import von russischem Erdöl und Erdgas zu vertretbaren Konditionen zu sichern.

Dieser Faktor ist sicherlich der aktuell präsenteste, aber bei Weitem nicht der Einzige, der in die Bewertung des Immobilien-Investmentstandorts Deutschland mit einfließt. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel von verschiedenen makroökonomischen sowie branchenbezogenen Entwicklungen, die tatsächlich zu einer schwierigen Ausgangslage für Immobilieninvestments führen.

Ein wichtiger Aspekt besteht darin, dass das prognostizierte Wirtschaftswachstum deutlich geringer ausfallen dürfte als noch zum Jahreswechsel erwartet. Beispielsweise senkte das Institut für Weltwirtschaft (IfW) seine Prognose für Deutschland auf ein Wachstum von 2,1%. Im vierten Quartal 2021 waren die Schätzungen mit 5,1% noch deutlich optimistischer. Problematisch könnte auch sein, dass die energie- und ressourcenintensiven klassischen deutschen Wirtschaftszweige wie Maschinenbau oder Automotive nicht nur durch steigende Energiepreise, sondern auch durch unterbrochene internationale Lieferketten behindert werden. Somit könnte der ersehnte Aufschwung nach Ende der Corona-Pandemie ausbleiben, was mittelfristig auch Stagnation für den Immobiliensektor bedeuten könnte.

Für Immobilieninvestments besonders relevant ist auch die Frage nach der Zinswende. Während die FED Mitte März zum ersten Mal seit Ende 2018 die Leitzinsen angehoben und weitere Zinsschritte in Aussicht gestellt hat, verfolgt die EZB bislang weiter den Kurs der Nullzinspolitik bei schrittweiser Drosselung der Anleihenkäufe. Anhaltend hohe Inflationsraten erhöhen jedoch den Druck auf die europäischen Zentralbanker: Im Februar betrug die Teuerungsrate dem Statistischen Bundesamt zufolge 5,1%, in anderen europäischen Ländern sind die Raten ebenfalls hoch. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht verwunderlich, wenn sich auch im Euroraum zum Jahreswechsel 2022/2023 der Leitzins bei einem Prozent oder darüber bewegen würde. Bleibt der Euroraum dennoch längerfristig „behind the curve“, und steigen die Zinsniveaus langsamer als die Inflationsraten, könnte das den – durchaus etwas bizarren – Nebeneffekt haben, dass die gemessen am BIP höheren Schuldenstände von Investmentregionen wie Spanien oder Italien nicht mehr so stark ins Gewicht fallen, wohingegen das vergleichsweise geringer verschuldete Deutschland einen wichtigen Standortvorteil einbüßen könnte.

Gleichzeitig können steigende Zinsen dafür sorgen, dass der finanzielle Spielraum für Immobilieninvestments immer enger wird.

Schlüsselfaktor Betriebskosten
Maßgeblich verantwortlich für die hohen Inflationsniveaus sind die starken Teuerungen für Energie und Treibstoff. Eng damit verbunden sind stark steigende Betriebskosten sowohl für private Haushalte als auch für gewerbliche Mieter – von der Anwaltskanzlei über den Lebensmittelhändler bis hin zum Logistikdienstleister. Während also beispielsweise die Nutzungsarten Logistik, Nahversorger oder auch Healthcare im Weitesten von den bekannten positiven Megatrends profitieren, können auch hier Herausforderungen entstehen. Schließlich kalkulieren Unternehmen mit der Gesamtmiete und die Betriebsnebenkosten werden eine immer höhere Belastung.

Vor diesem Hintergrund muss sich zeigen, wie resistent das als inflationssicher geltende Investmentprodukt Immobilie tatsächlich ist. Während der 2010er-Jahre konnten kaum Mieterhöhungen aufgrund der Indexierung in den Mietverträgen vorgenommen werden. Durch die extrem hohe Inflation kehrt sich dieses nun ins genaue Gegenteil. Ob dies im Zusammenhang mit den stetig steigenden Betriebskosten überhaupt möglich ist, bleibt abzuwarten. Genauso realistisch kann es sein, dass der Vermieter nicht nur keine Mietanpassungen vornehmen kann, sondern auch vorübergehende Mietausfälle, ähnlich wie seit Beginn der Corona-Pandemie, einkalkulieren muss.

Bei Büroimmobilien kommt es auf die Qualität an
Im Bürosegment als nach wie vor wichtigste Gewerbeimmobilien-Assetklasse kommt ebenfalls hinzu, dass der Leitgedanke von „New Work“ sich nun auch konkret auf die Flächenbedarfe auswirkt. Bei den aktuell stark steigenden Energiekosten werden Unternehmen nochmals ihre Flächenbestände kritisch prüfen und nicht-betriebsnotwendige Flächen womöglich reduzieren.

Auch hier spielen jedoch mehrere Faktoren zusammen. Gerade bei Objekten, die aufgrund begrenzter Standort- oder Flächenqualität nicht in das Core-Segment fallen, zeigten sich bereits im Jahr 2021 deutliche Herausforderungen. Denn während die Spitzenmieten und die Leerstände für Top-Objekte in der gesamten Corona-Pandemie weitgehend stabil blieben, waren bei den Durchschnittsmieten und bei den Leerständen Negativtendenzen festzustellen, und viele Vermieter setzten bereits vor dem Ukraine-Konflikt stärker auf Incentivierungen für Bestands- und Neumieter.

Oberstes Gebot: Wertstabilität sichern
Für Büroimmobilien – aber auch für aktuell scheinbar weniger betroffene Assetklassen – kommt es daher jetzt vor allem auf Stabilität an. Investoren müssen sich von der Erwartungshaltung lösen, weiterhin so starke Wertzuwächse und so hohe Total Returns zu erhalten wie bisher. Vielmehr geht es jetzt darum, durch aktives Asset- und Property Management die Basis zum Werterhalt zu schaffen. Zudem müssen die Mieter klar in den Fokus gestellt, ihre Wünsche und Probleme rechtzeitig erkannt und berücksichtigt werden. Über diese notwendige verstärkte Fokussierung auf die sich stetig verändernden Wünsche und Bedürfnisse der Mieter wurde zwar auch während der vergangenen Dekade immer wieder viel gesprochen und geschrieben, aber in der täglichen Praxis wurde das Thema oftmals noch vernachlässigt. In der aktuellen Phase ist das aktive Mietermanagement der wichtigste Schlüssel zum Investmenterfolg.

Aber auch bei den erforderlichen Baumaßnahmen sind die richtigen Entscheidungen aus technischer und kaufmännischer Sicht gefragt. Schließlich müssen nicht nur stark steigende Material- und Baukosten mit einkalkuliert werden, sondern auch Lieferverzögerungen aufgrund unterbrochener Supply Chains. Nötige Maßnahmen müssen also rechtzeitig identifiziert und eingeleitet werden, damit die diese nicht nur zeit- sondern auch kostengerecht umgesetzt werden können.

ESG und „Core“ ergänzen einander
Vor wenigen Jahren waren ökologisch nachhaltige und entsprechend zertifizierte Immobilien eher ein freiwilliges Aushängeschild für Investoren. Inzwischen ist die Energieeffizienz zu einem entscheidenden Faktor geworden – denn je weniger Verbräuche anfallen, desto attraktiver wird die Mietfläche auch aus rein ökonomischen Gesichtspunkten. Ganz abgesehen davon, dass zahlreiche Unternehmen aller Branchen und Größen sehr viel stärker auf ihren ökologischen Fußabdruck achten und nicht-nachhaltige Immobilien künftig weniger berücksichtigen. Nicht zu vergessen, dass auch im hart umkämpften Arbeitsmarkt Themen wie Wohlfühlfaktor und Nachhaltigkeit einer Büroimmobilie eine wichtige Rolle spielen und großen Einfluss auf die Entscheidung eines Mitarbeiters für oder gegen einen Arbeitgeber haben.

Ein solches Nachhaltigkeitsniveau in Verbindung mit höchsten Qualitäts- und Lagekriterien einer Immobilie bietet in den deutschen Metropolen sehr gute und langfristige Alleinstellungsmerkmale, denn bei diesen Flächentypen ist der Nachfrageüberhang ungebrochen hoch. Die Antwort auf all die zahlreichen erwähnten Herausforderungen besteht also in einer Verbindung aus Core und ESG – sei es in Form von Neubauprojekten oder durch einen aktiven Manage-to-Core-Ansatz im Bestand.

Investmentstandort Deutschland: Kurzfristig kann es turbulent werden…
Was aber bedeutet all dies für die Frage nach dem Investmentstandort Deutschland und seine Rolle als Safe-Haven? Kurzfristig können die Zeiten durchaus turbulent werden. Es könnte sein, dass einige Anleger die Gewinne der vergangenen Jahre mitnehmen und ihre Immobilien verkaufen. Die wichtige Frage lautet jedoch, wie viele potenzielle Käufer sich gerade jetzt finden – und welche Preise aufgerufen werden. Kurz- bis mittelfristig könnten wir für Deutschland durchaus das Novum erleben, dass für Objekte, die nicht zur absoluten Spitzenklasse gehören, Preisabschläge realistisch werden. Dementsprechend kann es sein, dass wir – abgesehen vom Core-Segment – erstmals wieder steigende Renditeniveaus sehen, inklusive damit verbundener Opportunitäten.

…doch langfristig dürfte der Anlagehafen sicher bleiben
Auf lange Sicht spricht jedoch vieles dafür, dass Deutschland seinen Nimbus als „Safe Haven“ behaupten respektive zurückerlangen wird. Nach wie vor gehört die Bundesrepublik zu den politisch stabilsten Demokratien der Welt und bietet somit eine hohe Rechtssicherheit für Investments. Hinzu kommt die starke, mittelständisch geprägte und dezentrale Wirtschaft, die beispielsweise anders als in Frankreich, Spanien oder auch Großbritannien langfristig wertstabile Engagements nicht allein in einem Ballungsraum, sondern in unterschiedlichsten Städten begünstigt.

Genau diese Aspekte haben dafür gesorgt, dass deutsche Immobilien beispielsweise auch nach der Subprime-Krise oder in der laufenden Coronapandemie gestärkt aus der Krise gekommen sind. Trotz der verständlichen Unwägbarkeiten und der damit verbundenen Unsicherheit wird sich am Investmentprodukt „deutsche Immobilie“ aller Wahrscheinlichkeit nach nichts Grundlegendes ändern.

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*) Markus Reinert FRICS, Vorsitzender der Geschäftsführung/CEO, IC Immobilien Gruppe