Foundation | Welcome

Menu


Innovationsdialog: „Quartiere brauchen ein Mobilitätskonzept“

Norman Schaaf, COO der CELLS Group, sieht in der Entwicklung und im Management von Quartieren eine der spannendsten und wichtigsten Aufgaben in der Immobilienwirtschaft. Wenn die Branche dem Bedarf der Mieter – insbesondere dem wachstumsstarker Firmen – nachkommen will, werden außergewöhnliche Standorte in guten Lagen benötigt, die kurze Wege, gute Erreichbarkeit und eine hohe Aufenthaltsqualität gewährleisten. Nur so können Konzerne oder Start-ups ihre Büros im Digitalzeitalter als Argument im Werben um Fachkräfte und kreative Talente einsetzen. Im 21. Stock des FÜRST in Berlin sprach Prof. Dr. Peter Russo, ehemals EBS Real Estate Management Institute, jetzt Partner und Head of Innovation bei der Managementberatung goetzpartners in München, für IPE D.A.CH mit Norman Schaaf über die neuen Anforderungen an Projektentwickler.

Norman Schaaf

Russo: Büros und Wohnungen in City-Lagen sind begehrt und knapp. Sie befürworten auch auf solchen Flächen anspruchsvoll geplante Quartiere. Warum? Sind so gut gelegene Objekte nicht in jedem Fall vermietbar?
Schaaf: Es ist unübersehbar, dass die Anforderungen von Mietern stark steigen. Und wir erleben in der Stadtentwicklung einen drastischen Wandel. Niemand will mehr reine Büro-, Wohn-, Shopping- oder Ausgeh-Viertel haben. Mischnutzung mit kurzen Wegen kommt den Bedürfnissen der Menschen entgegen und hilft, Metropolen zu organisieren. Ich halte es für riskant, sich diesen Themen zu verschließen – jedenfalls wenn man langfristig denkt.

Russo: Worin sehen Sie die Risiken?
Schaaf: Dort wo es möglich ist, wird heute in Quartieren gedacht. Es werden immer mehr gut organisierte Quartiere entstehen – in Top-Lagen, aber auch am Rand von Innenstädten. Unternehmen fühlen sich zunehmend von solchen Quartieren angezogen. Möglicherweise ziehen sie als Bürostandort sogar ein hochinteressantes Quartier am Cityrand einer gewöhnlichen Immobilie in Top-Lage vor. Ich glaube, es ist daher riskant, sich als Vermieter in guter Lage zu sicher zu fühlen. Das Optimum ist ein gut entwickeltes Quartier in Top-Lage.

Russo: Sie glauben, dass die Lage tendenziell etwas an Bedeutung verlieren wird?
Schaaf: Das Besondere an einem gut entwickelten Quartier ist doch, dass ich meine wichtigsten Bedürfnisse vor Ort befriedigen kann und obendrein eine extrem gute Verkehrsanbindung habe. Wenn ich will, kann ich in meinem Quartier wohnen, arbeiten, einkaufen und einen Großteil meiner Freizeit gestalten. Die Top-Lage ist dann zwar immer noch mehr als das i-Tüpfelchen, aber verliert tatsächlich etwas an Bedeutung. Wichtig ist auf jeden Fall, dass Rücksicht auf moderne Mobilitätsbedürfnisse genommen wird.

Russo: Was verstehen Sie unter modernen Mobilitätsbedürfnissen?
Schaaf: Das ist heutzutage mehr als eine nah gelegene U-Bahnstation. Die sehr gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist zwar immer noch wichtig, reicht aber nicht mehr aus. Ein gut organisiertes Quartier ist ein Verkehrsknotenpunkt, oder besser gesagt: ein Mobility-Hub. Es gehört eine Parkgarage dazu, in der nicht nur das Auto abgestellt werden kann, sondern in der es auch Fahrradparkplätze gibt und Ladestationen für E-Autos und E-Bikes. Sie dient gleichzeitig als Station für Carsharing-Angebote oder für den Verleih von Fahrrädern und E-Bikes. Künftig werden in dieser Hinsicht sicherlich noch weitere Mobilitätsservices eine Rolle spielen.

Russo: Denken Sie dabei an das autonome Fahren?
Schaaf: Ja, auch. Mit dem autonomen Fahren bekommt das Quartier noch einmal eine neue Bedeutung. Die Zeit für die Fahrt ins Büro kann bereits als Arbeitszeit genutzt werden. Möglicherweise werden Wohnorte am Stadtrand wieder attraktiver. Das Büro in der City ist dann vor allem ein Treffpunkt.

Russo: Das wird andere Anforderungen an die Raumgestaltung mit sich bringen.
Schaaf: Ja, aber diese Veränderungen sind ja schon in vollem Gange. Wir erleben ein enormes Wachstum der Anbieter von Coworking Space. Im Jahr 2017 gab es weltweit etwa 15.500 Coworking Spaces mit 1,3 Mio. Mitgliedern. 2018 waren es schon fast 19.000 Spaces mit 1,7 Mio. Coworkern. Für die Immobilienwirtschaft sind diese Anbieter sehr interessante – wenngleich anspruchsvolle – Mieter.

Russo: Warum?
Schaaf: Firmen wollen sich nicht mehr mit langen Mietverträgen binden. Mit Coworking-Anbietern lassen sich dagegen längerfristige Verträge abschließen. Zudem sind tendenziell höhere Mieten drin. In Hamburg zahlen Coworking-Betreiber 18% mehr als der Durchschnitt. Auf der anderen Seite stellen sie auch hohe Anforderungen. Nicht jede Immobilie kann zum Coworking Space werden. Infrage kommen vor allem attraktive Objekte, also vollständig modernisierte Altbauten mit historischen Fassaden, großzügig umgebaute Industriegebäude und natürlich repräsentative sowie hochwertig modernisierte Geschäftshäuser. Sie müssen auf dem neuesten Stand der Technik sein und eine große, unverstellte Fläche bieten. Mit einem Großraumbüro ist es aber noch nicht getan. Es werden zudem Meetingräume, Einzelbüros, Lounges und Teeküchen benötigt. Unter Umständen wird sogar noch Platz für ein Fitnessstudio nachgefragt.

Russo: Wird der Trend zum Coworking anhalten oder sehen Sie darin nur eine Modeerscheinung?
Schaaf: Coworking wird Büroimmobilien nachhaltig prägen. Schon aufgrund der Flächenknappheit in den City-Lagen der Top-7-Städte ist eine Trendumkehr derzeit kaum vorstellbar. Für Start-ups ist Coworking eine sehr sinnvolle Form, um Platz für die ersten Jahre zu schaffen. Sie können so flexibler Veränderungen der Mitarbeiterzahl gestalten. Aber auch Konzerne mieten sich immer häufiger ein, weil sie an dieser kreativitätsfördernden Arbeitsatmosphäre, die zudem gute Möglichkeiten zur Vernetzung bietet, gar nicht mehr vorbeikommen.

Russo: Sollten Ihrer Ansicht nach Coworking Spaces auch in City-Quartieren den Vorrang vor klassischen Büros haben?
Schaaf: Die Büroflächen in City-Quartieren müssen in erster Linie flexibel nutzbar sein, sodass Unternehmen hochattraktive Arbeitsplätze für ihre jeweiligen Zwecke einrichten können. Das oberste Ziel von Firmen ist doch heutzutage, Argumente im „War for talents“ für sich zu finden. Dabei spielt der Arbeitsplatz eine ganz, ganz wichtige Rolle. Deshalb wird so viel Wert auf eine angenehme Arbeitsatmosphäre gelegt. Aber allein mit einer Lounge oder der Möglichkeit, im Homeoffice arbeiten zu können, kann inzwischen kein Unternehmen genügend punkten, um die besten Leute zu bekommen.

Russo: Womit können sie sich denn im Wettbewerb um Mitarbeiter den entscheidenden Vorsprung verschaffen?
Schaaf: Ich glaube, mit dem Quartier an sich. Es zeigt sich ja, dass Homeoffice nur an einzelnen Tagen als willkommene Alternative wahrgenommen wird. Die begehrten Wissensarbeiter von morgen wollen einen Ort zum Arbeiten, an dem sie sich austauschen und inspirieren können. Um wirklich mit dem Bürostandort punkten zu können, muss er identitätsstiftend sein und wichtige Konsum- und Freizeitangebote sowie eine extrem hohe Aufenthaltsqualität bieten. Aktuell zeichnet sich ja ab, dass sich die Grenzen zwischen Arbeiten und Wohnen, Einkaufen und Freizeit mehr und mehr auflösen. Alle Lebensbereiche rücken enger zusammen. Die Menschen möchten im Gleichgewicht bleiben, also eine intakte Work-Life-Balance aufbauen. Sie haben ein starkes Bedürfnis nach Quality Time.

Russo:
Kann ein Quartier das alles tatsächlich bieten?
Schaaf: Ich denke schon. Von Anfang an muss für Nahversorgung und Mobilitätsangebote gesorgt werden – ein Supermarkt, vielleicht eine Drogerie. Eine attraktive Gastronomie ist wichtig, ebenso wie Freizeitangebote – also zum Beispiel ein Fitness-Center. Außerdem glaube ich, dass Kultureinrichtungen eine große Bedeutung haben, ebenso wie öffentliche Plätze, die mit Sitzgelegenheiten, Grünflächen und Denkmälern zur Wohlfühlatmosphäre beitragen. Auch eine große, spektakuläre Dachterrasse kann zu einem zeitgemäßen urbanen Lifestyle führen.

Russo: Warum ist Ihnen Kultur so wichtig?
Schaaf: Sie macht den Unterschied aus und stiftet Identität. Ein Theater oder ein Museum ist etwas Einzigartiges. Mit einem Denkmal oder Kunstobjekten kann ich einen Platz zu einem ganz individuellen Ort machen. Kultur bringt Leben in ein Viertel. So wird ein Quartier zu einem unverwechselbaren Standort, der eine starke Anziehungskraft ausüben kann – und das auch für Fachkräfte und Talente.

Russo: Aber Arbeitnehmer werden nicht jede Woche in dasselbe Theater gehen, nur weil es nahe am Büro ist.
Schaaf: Nein, aber die Anziehungskraft auf Menschen, die nicht im Quartier wohnen und arbeiten, macht das Quartier doch gerade so interessant. Gerade dann wird es mir gelingen, interessante Läden, Restaurants, Bars oder Hotels anzusiedeln. Die Kultur zieht Wirtschaftskraft ins Quartier. So ergibt sich daraus ein Gesamtkonzept. Gerade der Zuspruch von Besuchern, gibt denen, die im Quartier wohnen und arbeiten, das Gefühl, sich an einem ganz besonderen Ort aufzuhalten.

Russo: Vielleicht wird ihnen das aber auch zuviel. Besteht nicht gerade bei den Anwohnern auch ein gewisses Ruhebedürfnis?
Schaaf: Natürlich. Die Kunst ist, möglichst viele Nutzungsmöglichkeiten an einem Standort zu vereinen und dabei die Lebensqualität zu erhöhen, statt sie einzuschränken. Es geht darum, Orte zu gestalten, an denen die Dynamik großer Metropolen zu spüren ist und die gleichzeitig Rückzugs- und Entspannungsmöglichkeiten bieten. Ich glaube, in unserem Quartier FÜRST am Berliner Kurfürstendamm ist uns das gelungen. An einer Top-Adresse mit optimaler Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr werden wir ein abwechslungsreiches Gastronomie- und Freizeitangebot etablieren. Mit einem Theater mit 650 Plätzen, einem Museum auf 3.000 Quadratmetern sowie einem Fitnessstudio mit Terrasse und 25-Meter-Schwimmbecken. Außerdem haben wir für einen Kindergarten mit Outdoor-Spielplatz geplant, der auch am Wochenende öffnet. Das gibt den Eltern die gewünschte Flexibilität, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Auch eine Reihe von Shops für exklusive Einkaufserlebnisse und viele verschiedene Rückzugsmöglichkeiten wird es im FÜRST geben. Das im FÜRST befindliche Parkhaus wird über die Kapazität für rund 800 Pkw hinaus für die Bedürfnisse des modernen Verkehrs fit gemacht: Mit Stellplätzen für bis zu 1.000 Fahrräder entsteht dort eines der größten Fahrradparkhäuser Berlins. Spezielle Ladestationen werden Elektro-Autos und E-Bikes mit Energie versorgen. Und es wird auch einen Fahrradverleih und eine Fahrradreparaturwerkstatt geben.