Foundation | Welcome

Menu


Gastbeitrag: Bürogebäude umnutzen – Bildungseinrichtung als dritter Fluchtweg

Dass die Büroimmobilie unter Druck steht, ist zunächst einmal kein Geheimnis. Wobei viele Marktteilnehmer aber vor allem an den Druck durch das Home-Office denken, und dieser Faktor ist keinesfalls allein...

Christoph Tholl

Auch der demografische Wandel schlägt zu – wenn wir weniger Menschen in Deutschland haben, die auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind, sinkt auch dadurch der Bedarf nach Büroflächen. Ein dritter Punkt ist die Künstliche Intelligenz: Perspektivisch werden viele Tätigkeiten, die heute in Büros stattfinden, nur noch in reduziertem Umfang anfallen. Betroffen sind fast alle Bereiche vom Sekretariat über Marketing bis hin zu Buchhaltung sowie der Rechtsabteilung. Wie groß der Druck ist, zeigen PWC, Colliers und Garbe in einer Studie auf: In den A- und B-Städten Deutschland sind 55%(!) der Büroimmobilien wirtschaftlich von Obsoleszenz bedroht – also die Mehrheit. Und im Falle der Umnutzung in Richtung nachgefragter Assetklassen wie Wohnen oder Life-Science? Laut derselben Studie eignet sich von der bedrohten Mehrheit leider wiederum die Mehrheit (65%) ausdrücklich nicht für die Umnutzung zu Wohn- oder Life-Science-Zwecken. Aber es gibt weitere „Fluchtwege“, wie die Studie die Umnutzung betitelt: Zuerst genannt werden dabei Schulen und Kindergärten. Wir würden hier sogar noch breiter von sozialer Bildungsinfrastruktur reden – inklusive Hochschulen, Volkshochschulen, privater Bildungs- und Unterbringungseinrichtungen und so weiter.

Umnutzung ist herausfordernd
Das Potenzial scheint enorm: Laut bulwiengesa besteht derzeit bundesweit ein Investitionsstau von etwa 55 Mrd. Euro allein bei Schulen sowie weitere rund 13 Mrd. Euro bei Kitas. Dem steht ein tatsächliches Investitionsvolumen von nur 17 Mrd. Euro gegenüber. Laut Baukulturbericht 2024/25 der Bundesstiftung Baukultur ist der Handlungsbedarf vor allem in Großstädten enorm. Allerdings weist bulwiengesa auch darauf hin, dass die Komplexität der Aufgabe in hohem Maße spezifisches Fachwissen erfordert. Die Tholl Gruppe hat in ihren bisherigen Schulbaumaßnahmen im Bestand sowie generell beim Bauen im Bestand wiederholt Herausforderungen gelöst, die sich auf drei Cluster verteilen. Erstens: Technische und strukturelle Anforderungen. Dazu gehören Themen wie Denkmalschutz und der Umgang mit der bestehenden baulichen Substanz. Zweitens: Die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen. Dazu gehört unter anderem das Thema der öffentlichen Ausschreibungen sowie Budgetbeschränkungen. Das Bauen im Bestand ist gerade für Unternehmen, die traditionell eher im Neubau aktiv sind, überdurchschnittlich oft mit unerwarteten Kostensteigerungen verbunden. Und drittens: Die Sicherheitsanforderungen, insbesondere in Bezug auf Kindereinrichtungen. Stichworte sind hier der Fingerschutz oder die Außenanlagen.

Renditen von über 5%?
Werden derartige Herausforderungen gemeistert, können sich jedoch durchaus große Chancen ergeben: Langfristige Mietverträge mit Mietern der öffentlichen Hand oder privaten Kita-Betreibern mit durchaus 20 bis 30 Jahren Dauer sowie die gesellschaftliche Relevanz der entsprechenden Einrichtungen machen die Investitionen wirtschaftlich stabil sowie aus Sicht der sozialen Nachhaltigkeit attraktiv. So konnten sehr gute Kita-Objekte laut Wüest und Partner im vergangenen, durchaus nicht einfachen Immobilienjahr erstaunliche Transaktionsrenditen in Höhe von 4,5% bis knapp 5,3% erzielen.

Städtebauliche Chancen
Neben den Chancen für die Eigentümer, bedrohten Immobilien wieder eine Zukunft zu geben, ergeben sich auch Chancen für die jeweilige Nachbarschaft: Gerade Bildungsangebote wirken laut BBSR einem Auseinanderdriften verschiedener Milieus entgegen – und ziehen junge Menschen in die jeweiligen Lagen. Unabhängig davon gilt es aus städtebaulicher Sicht, für kurze Wege der Menschen zu ihren Bildungseinrichtungen zu sorgen – 700 Meter Entfernung zum Wohnort ist laut TU Darmstadt ein Richtwert für Grundschüler, bei Oberschulen liegt dieser bei 1.300 Meter. Die Umnutzung von Büroimmobilien zu Bildungseinrichtungen kann dazu beitragen, eventuelle Lücken in dem teils nur theoretisch vorhandenen Netz aus Angeboten zu schließen, ohne in einen Neubau investieren zu müssen. Und: Insbesondere bei Büroquartieren, die im großen Stil zu Wohnungen umgenutzt werden, generieren diese womöglich ihren eigenen Bedarf an sozialer (Folge-)Infrastruktur, die es ebenfalls zu schaffen gilt – und sie können ihren Bedarf bei entsprechender Planung gleich selbst mit decken.

Fazit
Insgesamt gilt natürlich: Die Umnutzung von Büroimmobilien zu Bildungseinrichtungen wird im Vergleich zu den eingangs genannten Assetklassen wie Wohnen und Life-Science eine deutlich geringere Breitenwirkung entfalten. Das zeigt unter anderem das Ifo-Institut auf. Auch bulwiengesa weist darauf hin – und nennt fehlende Außenflächen (beispielsweise für Sport) oder eine ungünstige Verkehrsanbindungen als häufige Ausschlusskriterien beispielsweise für Schulen. Ein Immobilienunternehmen, das 200 seiner Bürogebäude mit Blick auf eine potenzielle Schulnutzung analysiert hat, hat in einer ersten Runde sogar nur einen einzigen Mietvertrag für ein Gymnasium abgeschlossen – und dies am Standort Köln, wo es eine regelrechte „Schulplatznot“ gibt. Aber gilt nicht ohnehin, dass jede Immobilie einzigartig ist und nach individueller Analyse einzigartige Lösungen verlangt? Und eignet sich anstelle einer Schule vielleicht eine Hochschule? Oder die erwähnte Kita? Oder Unterbringungsmöglichkeiten für Schüler oder Studenten? Von der genannten Quote „1 aus 200“ auf einen potenziellen Umnutzungsanteil von 0,5% zu schließen, wäre in jedem Fall zu kurz gedacht. Bildungsimmobilien im weitesten Sinne zählen für uns definitiv in den dritten Fluchtweg nach Wohnen und Life Science.

---
*) Christoph Tholl, Geschäftsführender Gesellschafter Tholl Gruppe