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Beton: Die grüne Transformation der grauen Branche

Was wäre die Welt ohne Beton? Klar ist: Sie sähe anders aus. Denn kaum ein Material kommt weltweit häufiger zum Einsatz. Wegdenken geht nicht. Aber Umdenken ist dringend erforderlich. Denn die Herstellung von Beton belastet die Umwelt. Im Immobiliensektor wird mit Hochdruck an neuen Technologien gearbeitet. Auf der COP27 hat die Industrie jüngst ihr Bekenntnis für grüne Materialien unterstrichen. Kann diese Transformation gelingen? Investoren glauben daran.

Adrian Benedict

Die grüne Revolution im Immobiliensektor ist nur noch einen Wimpernschlag entfernt. Noch zählt die Branche zu den größten Verursachern von Treibhausgasen. Bald schon könnten sich der Sektor aber zu einer der größten grünen Erfolgsgeschichten wandeln.

Einfach wird das allerdings nicht: So entfallen beispielsweise innerhalb der Europäischen Union derzeit mehr als ein Drittel (36%) der gesamten energiebedingten Treibhausgasemissionen auf Immobilien. Diese Summe ist nicht nur auf die Energie in Verbindung mit der Nutzung von Gebäuden zurückzuführen – wie Heizung, Kühlung und Beleuchtung –, sondern auch auf den Kohlenstoffgehalt jener Materialien, die zum Bau verwendet werden. Konkret: Hier fallen jene 20 Mrd. Tonnen Beton ins Gewicht, die jedes Jahr weltweit gegossen werden.

Warum ist Beton überhaupt ein Problem?
Beton besteht zu einem großen Teil aus Zement. Das Problem sind die Emissionen, die bei der Herstellung des Zements entstehen. Um die Größenordnung zu demonstrieren: Wäre die Zementindustrie ein Land, so hätte dieses Zementland nach China und den USA den drittgrößten Kohlenstoff-Fußabdruck der Welt. Es alleine würde jährlich 2,8 Mrd. Tonnen Kohlenstoff produzieren.

Ein weiteres anschauliches Beispiel: Rund 600 kg CO2 werden die bei der Herstellung einer einzigen Tonne Zement freigesetzt. Dies entspricht einem Sitzplatz in der ersten Klasse auf einem Flug von London nach New York. Doch trotz des hohen Kohlenstoffausstoßes ist Zement nach Wasser immer noch der am meisten verwendete Baustoff der Welt. So hat China beispielsweise innerhalb einer Spanne von nur drei Jahren – von 2011 bis 2013 – mehr Zement gegossen, als in den USA im gesamten letzten Jahrhundert verwendet worden ist.

Ernsthafte Innovationen erforderlich
Beton ist ein Produkt, das ernsthafte Innovationen erfordert. Es reicht nicht aus, einfach ein paar Sonnenkollektoren an den Produktionsanlagen anzubringen oder den Kohlenstoffausstoß durch das Pflanzen von Bäumen zu kompensieren.

So werden derzeit neue Verfahren vorangebracht, die nicht nur die bei der Zementherstellung entstehenden Emissionen erheblich reduzieren, sondern Zement sogar zu einem CO2-negativen Material machen könnten. Und damit Beton ebenfalls. Diese Verfahren sind unserer Einschätzung nach der einzige Weg zur Klimaneutralität innerhalb der Immobilienbranche und um die Net-Zero-Ziele zu erreichen.

Forschende des Imperial College in London und der Universität von Kalifornien in Irvine haben Maßnahmen ermittelt, mit denen der Kohlenstoffausstoß bei der Zementherstellung auf 80 bis sogar 50% der derzeitigen Werte gesenkt werden könnte, so dass das Verfahren netto negativ ist und der Atmosphäre aktiv Kohlenstoff entzogen wird.

Zum Hintergrund: Bei der Herstellung von Zement wird Kalkstein – in der Regel durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe – mit anderen Komponenten erhitzt, um ein Zwischenprodukt namens Klinker zu erzeugen. Dabei wird Kohlenstoffgas als Nebenprodukt freigesetzt. Allein dieser Produktionsvorgang ist für rund 7% aller weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich.

Genau hier können neue Systeme zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung ansetzen und verhindern, dass dieser Kohlenstoff überhaupt in die Erdatmosphäre gelangt. Der Hersteller Holcim beispielsweise arbeitet an mehr als zwanzig Projekten, die nicht nur auf die Abscheidung, sondern auch auf die Wiederverwendung von Kohlenstoff abzielen. So soll Kohlendioxid aus dem deutschen Werk Lägerdorf in einen synthetischen Brennstoff umgewandelt werden, der auf nahen gelegenen Flughäfen verwendet werden kann.

Herstellungsprozess umgestalten
Die Brennöfen, in denen der Kalkstein gebrannt wird, sind ebenfalls offensichtliche Kohlenstoffsünder. Sie verbrauchen große Mengen an Energie. Aber sie könnten mit Biomasse-Brennstoffen wie den Nebenprodukten der Zuckerindustrie geheizt werden. Ein Beispiel aus Indien: Dort nutzt die Firma UltraTech Cement als alternativen Brennstoff Abfälle von 80 kommunalen Unternehmen. So kann fossiler Brennstoff eingespart und gleichzeitigt die Menge des auf Deponien zu entsorgenden Mülls reduziert werden.

Des weiteren kann auch die Menge des bei der Zementherstellung verwendeten Klinkers verringert werden. So müsste weniger Kalkstein gebrannt werden, was wiederum die CO2-Freisetzung beim Erhitzen verringert. Zwischen 30 und 40% des verwendeten Klinkers könnten durch Abfallstoffe wie Hochofenschlacke oder Kohleasche ersetzt werden, ohne die Festigkeit des Endprodukts zu beeinträchtigen.

In ihrer Gesamtheit könnten diese Ansätze nicht nur zu einem geringeren CO2-Fußabdruck von Beton führen, sondern auch dazu, dass er kohlenstoffneutral oder sogar kohlenstoffnegativ wird. Das bedeutet es könnte ein Produkt entsteht, das der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht.

Die Kunst des Möglichen
Der kohlenstoffnegative Zement ist nur ein Beispiel für neue Technologien, die zur Revolution im Immobiliensektor beitragen. Es gibt auch andere kohlenstoffarme Produkte, die von Polymeren aus riesigen 3D-Druckern bis hin zu einem bizarren Baustoff aus Pilzfäden, dem sogenannten Myzel, reichen. Ein neues wasserstoffbasiertes Werk in Hamburg stellt bereits Baustahl her ohne jeglichen Kohlenstoffeinsatz. Jede dieser Innovationen ist ein Puzzlestück, das zu Fortschritten in Richtung Netto-Null führen wird.

Auf der Weltklimakonferenz COP27 schlossen sich jüngst die Beton- und Zementindustrie der First Movers Coalition an. Auch die Aluminium-, Stahl-, LKW- und die Luftfahrtbranche traten der globalen Initiative bei, bei der die Unternehmen ihre Marktstellung zur Dekarbonisierung einsetzen. Die Mitglieder der Koalition verpflichten sich im Voraus, einen bestimmten Anteil an kohlenstoffarmen oder kohlenstofffreien Produkten aus bestimmten Sektoren zu kaufen, auch wenn diese teurer sind. Das Ziel: Durch die starke Nachfrage soll die Markteinführung dieser klimafreundlichen Lösungen beschleunigt werden.

Viele dieser Technologien stecken noch in den Kinderschuhen. Aber wenn sowohl die Hersteller als auch die Verbraucher ihr Bekenntnis für grüne Materialien durch Initiativen wie die First Moves Coalition ernst nehmen, kann sich die Immobilienbranche von einem großen Ausstoßer von Treibhausgas in etwas viel Konstruktiveres verwandeln.

Dies ist auch für Investoren sinnvoll, da umweltfreundlichere Gebäude zu höheren Mieten und einer stabileren Belegungsrate führen. Außerdem sind die Anlagen damit zukunftssicher für kommende regulatorische Änderungen. Mit diesen technologischen Entwicklungen an der Spitze könnte eine wahrhaft grüne Zukunft in der grauen Materie zu finden sein.

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*) Adrian Benedict, Leiter Real Estate Solutions bei Fidelity International