Foundation | Welcome

Menu


Marktkommentar: Der Oktober wird seinem Ruf als Schreckensmonat für Anleger gerecht

Der Oktober ist seinem Ruf als volatilster Monat des Jahres mit erhöhtem Crash-Risiko für Anleger einmal wieder gerecht geworden: Der wohl berühmteste Aktiencrash der Geschichte ereignete sich im Oktober 1929. Im Oktober 1987 wiederholte sich die Geschichte. Inzwischen steht fest, dass das Jahr 2018 künftig als weiteres Beispiel für das Crash-Risiko in diesem berüchtigten Börsenmonat dienen wird. Leider werden die Kurskapriolen in den nächsten Wochen kaum deutlich nachlassen.

Kristina Hooper

Nachdem die höhere Volatilität und die Abverkäufe an den Märkten bereits Anfang des Monats eingesetzt hatten, haben sie sich in der vergangenen Woche nochmals beschleunigt. Am 24. Oktober brachen die Aktienkurse so stark ein, dass die seit Jahresanfang erzielten Kursgewinne vieler wichtiger US-Indizes komplett ausradiert wurden. Dabei war das nur der Anfang der jüngsten Achterbahnfahrt der Märkte: Am Tag danach gab es eine deutliche Erholung, bevor die Märkte einen Tag später erneut auf Talfahrt gingen. Am 26. Oktober notierten dann praktisch alle großen globalen Indizes im Minus — einige sogar mit zweistelligen Verlusten für das Kalenderjahr 2018. In diesem risikoaversen Umfeld ist es keine Überraschung, dass Investoren in US-amerikanische Staatsanleihen (Treasuries) umschichteten, wodurch die Rendite der 10-jährigen Treasury auf 3,077% sank.

Investoren ignorieren positive Unternehmensergebnisse
Parallel zu dieser Abfolge von Ereignissen wurden positive Wirtschaftsdaten veröffentlicht, wie zum Beispiel die vorläufige Schätzung eines BIP-Wachstums von 3,5% in den USA im dritten Quartal. Meines Erachtens interessieren sich die Märkte aber stärker dafür, wie es nach dem dritten Quartal weitergeht, und fürchten, dass das Wirtschaftswachstum künftig nicht mehr so robust ausfallen könnte. Das könnte ein Grund für die jüngsten Kursabschläge sein. Die Daten vom Häusermarkt zum Beispiel haben zuletzt ganz klar enttäuscht und könnten sich als der sprichwörtliche „Kanarienvogel in der Kohlemine“ erweisen – also als Frühwarnsystem für die negativen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung durch die US-amerikanische Notenbank (Fed). Tatsächlich zeigen sich inzwischen viele Ökonomen und Strategen besorgt, dass das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 2018 seinen Höchststand erreicht haben könnte. Auch schauen sie sich diese BIP-Daten vielleicht insgesamt kritischer an: Ein wesentlicher Wachstumsmotor waren schließlich die öffentlichen Ausgaben, während die Unternehmensinvestitionen relativ bescheiden ausfielen.

Die Investoren fürchten, dass die Unternehmensgewinne vielleicht ebenfalls bereits ihren Höchststand erreicht haben könnten. Das könnte auch ihre pessimistische Reaktion auf positive Gewinnüberraschungen erklären. Die Kurse der Unternehmen im S&P 500 Index, die unerwartet gute Ergebnisse für das dritte Quartal vorgelegt haben, sind in den vier Tagen rund um die Ergebnisveröffentlichung um durchschnittlich 1,5% gesunken. Im Schnitt der letzten fünf Jahre haben Unternehmen mit unerwartet guten Ergebnissen in diesem Zeitfenster einen Kursanstieg von +1,0% verzeichnet.

Auch wenn beide Annahmen – dass der Aufschwung und die Unternehmensgewinne ihren Höchststand erreicht haben – richtig sein könnten, rechne ich weiter mit einem soliden Wirtschaftswachstum. Die Risiken nehmen jedoch zu, da die Geldpolitik immer weniger akkommodierend ist und sich die internationalen Handelsbeziehungen allem Anschein nach weiter verschlechtern werden. Mehrere Unternehmen haben das Handelsthema bei den Telefonkonferenzen zu ihren Q3-Ergebnissen angesprochen — und, wie von mir vermutet, angedeutet, dass sie negative Auswirkungen spüren. In der vergangenen Woche erwähnten Caterpillar, 3M und Ford steigende Inputkosten, die natürlich hauptsächlich auf Zollabgaben zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund ist es für mich auch keine Überraschung, dass die Unternehmen das Thema Einfuhrzölle trotz starker Q3-Ergebnisse in ihren Ertragsausblicken erwähnen. Meiner Ansicht nach war es nur eine Frage der Zeit, bis die protektionistischen Maßnahmen Spuren in den Unternehmensergebnissen hinterlassen.

Neben den Handelsrisiken sorgen sich die Märkte auch über ein mögliches Abwürgen des Wachstumsmotors durch die Fed. Die amerikanische Notenbank scheint – bis auf weiteres – fest entschlossen zu sein, die Zinsen weiter zu straffen. Der Vize-Vorsitzende der Fed, Richard Clarida, wiederholte diese Botschaft in der vergangenen Woche und trug damit sicherlich nicht zur Beruhigung der Märkte bei. Die Präsidentin der Cleveland Fed, Loretta Mester, war Ende der letzten Woche aber einen Rettungsring aus, indem sie erklärte, dass die Fed die Verfassung der Wirtschaft weiterhin anhand der aktuellen Datenlage bewerten werde — was doch sehr an den von den Märkten geschätzten „datenabhängigen“ Ansatz der Geldpolitik unter der ehemaligen Fed-Vorsitzenden Janet Yellen erinnerte.

Geopolitische Risiken nehmen weiter zu
Brexit:
Ein Ende des Brexit-Dramas war auch in der vergangenen Woche wieder nicht in Sicht, obwohl die sprichwörtliche Uhr immer lauter tickt. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, macht sich sichtlich Sorgen über die Folgen der wirtschaftspolitischen Unsicherheiten auf Unternehmensseite. So erklärte er in der vergangenen Woche: „Sollte eine Lösung weiterhin ausbleiben und die Frist ohne ein Abkommen näher rücken, dann dürfte der Privatsektor von einem harten Brexit ausgehen und entsprechende Vorbereitungen treffen. Ich würde das nicht notwendigerweise ein großes Risiko für die finanzielle Stabilität nennen, aber es sorgt bestimmt für finanzielles Unbehagen an den Märkten und bei den Finanzintermediären.” Obwohl die EZB in der letzten Woche erneut bestätigt hat, ihre Anleihenkäufe bis Ende 2018 beenden zu wollen, glaube ich, dass ein „No Deal“-Szenario zwischen Großbritannien und der Europäischen Union (EU) die Bank dazu veranlassen könnte, das Ende ihrer Anleihenkäufe nochmals hinauszuschieben. Schließlich ist die EZB seit zehn Jahren die große stabilisierende Kraft inmitten der geopolitischen Turbulenzen in Europa und dürfte diese Rolle auch weiter beibehalten, solange Draghi die Zügel in der Hand hält.

Brasilien: Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Brasilien stimmt die Märkte ebenfalls nervös. Der Wahlsieg von Jair Bolsonaro war zwar keine Überraschung, sorgte aber trotzdem für Unruhe an den Märkten (ich bin am letzten Wochenende bereits gefragt worden, was dieses Wahlergebnis für Investoren bedeutet). Sein Wahlsieg zeigt, dass der Populismus einen weiteren Teil der Welt erfasst hat — daher ist dies ein guter Zeitpunkt für Anleger, sich noch einmal einige zentrale Aspekte des Populismus vor Augen zu führen.

Laut Duden ist Populismus eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (...) zu gewinnen“. Populistische Bewegungen sind häufig das Ergebnis eines oder mehrerer der folgenden Faktoren:
*Wohlstandsscheren, Chancenungleichheit und vor allem ein ungleich verteilter Aufschwung, von dem nur die Eliten zu profitieren scheinen
*Fremdenhass — der Eindruck, dass Ausländer die Werte und Lebensweise einer Nation gefährden
*Allgemeiner Frust über eine ineffektive, bürokratische Regierung — häufig verursacht durch politische Grabenkämpfe oder ineffektive politische Entscheidungsprozesse

In Brasilien dürften der erste und der dritte Faktor für den Wahlsieg von Bolsonaro verantwortlich sein. Populisten kommen gewöhnlich an die Macht, indem sie das Establishment, die Eliten, die Mächtigen und den Status quo angreifen — genau so war es auch bei Bolsonaro. Es gibt links- und rechtsgerichtete Populisten, was von Bedeutung im Hinblick auf die Folgen für Wirtschaft und Märkte ist (in der Vergangenheit waren Rechtspopulisten zumindest anfangs besser für Wirtschaft und Märkte). Bolsonaro ist ein Rechtspopulist. Er propagiert eine Reformagenda, die eine dringend benötigte Rentenreform umfasst. Daher war es auch keine Überraschung, dass die Kurse am brasilianischen Aktienmarkt am Freitag stiegen, während sie an fast allen anderen großen Aktienmärkten nachgaben. Meiner Ansicht nach zeigt das, worauf wir uns künftig einstellen sollten — nämlich einen anhaltenden Aufwärtstrend am brasilianischen Aktienmarkt, wenn Bolsonaro seine geplanten Reformen umsetzt.

Der Populismus kann das Wachstum bremsen, weil Populisten gewöhnlich Gegner der Globalisierung sind, wodurch sich die aktuelle Handelsproblematik weiter verschärfen könnte. Ich halte das zum aktuellen Zeitpunkt aber nicht für ein bedeutendes Risiko, da Bolsonaro seine Energie vor allem auf die fiskalpolitischen Reformen in Brasilien zu richten scheint. Bemerkenswert ist, dass die Aktienmärkte in der Vergangenheit zunächst stets positiv auf die Machtübernahme von Rechtspopulisten reagiert haben. Unter Mussolini zum Beispiel stiegen die Aktienkurse von 1922 bis 1924 um rund 70% (während die Machtübernahme von Linkspopulisten wie Juan Peron in Argentinien und Hugo Chavez in Venezuela zu Kursverlusten führte). Allerdings haben die Aktienmärkte selbst unter rechtspopulistischen Regierungen tendenziell negativer reagiert, wenn diese ihre Macht konsolidiert haben. Daher werden wir Bolsonaros Pläne genau beobachten. Sollte er sich vor allem auf eine Stärkung seiner Machtbasis konzentrieren, könnte das dazu führen, dass die Stimmung am brasilianischen Aktienmarkt kippt. Momentan scheint seine Amtsübernahme aber gut für die brasilianische Wirtschaft und den brasilianischen Aktienmarkt zu sein.

Europa: Vor dem Hintergrund der andauernden Spannungen zwischen Italien und der EU gab es am Wochenende eine überraschende Wende in Deutschland, als Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einer Folge herber Verluste bei Landtagswahlen für ihre Partei, die CDU, und deren Koalitionspartner, die SPD, bekanntgab, als Vorsitzende ihrer Partei zurückzutreten. Investoren sollten auf diese Entwicklung nicht überreagieren, da sie sich seit langem abzeichnet und bereits Tradition hat. Gerhard Schröder zum Beispiel tat das gleiche, als sich seine letzte Amtszeit als Bundeskanzler dem Ende näherte. Merkels Schritt könnte helfen, die Verärgerung der Wähler über sie, ihre Partei und deren Koalitionspartner – die bei den jüngsten Wahlen beide heftig abgestraft wurden – zu zerstreuen. Merkels Entscheidung wirft aber durchaus Fragen über die künftige Führung der EU auf. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist zwar zu Hause nicht sehr beliebt, dürfte aber de facto die Führung der EU übernehmen. Angesichts seiner Reformorientierung glaube ich, dass er diese Rolle gerade in dieser für die Zukunft der EU so wichtigen Phase erfolgreich ausfüllen könnte.

USA: Eine weitere Sorge, die die Märkte aktuell umtreibt, betrifft die Anfang November anstehenden Zwischenwahlen in den USA und ihre konkreten politischen Auswirkungen. Daher glaube ich auch nicht, dass es mit den Kursrückschlägen an den Märkten vor den „Midterms“ vorbei sein wird.

Ausblick
In dieser Woche werden wir uns den US-amerikanischen Arbeitsmarktbericht für Oktober genau ansehen. Die wichtigste Kennzahl ist das Lohnwachstum — wenn es moderat bleiben sollte, gäbe das der Fed mehr Flexibilität, bei der geldpolitischen Straffung den Fuß vom Gas zu nehmen, vor allem, falls andere Wirtschaftsdaten schlechter ausfallen sollten.

Natürlich werden wir auch die Zwischenwahlen in den USA aufmerksam verfolgen, da diese uns wichtige Anhaltspunkte für unseren Ausblick für 2019 geben werden.

---
*) Kristina Hooper ist Chief Global Market Strategist, Invesco Ltd.