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Länderstudie: Staatshaushalte im „Sweet Spot“

Mit der aktuellen, 53 Staaten umfassenden Länderstudie nahmen wir erneut die Kreditqualität von Industrienationen und Schwellenländern unter die Lupe. Für institutionelle Anleger und Risikomanager sind die Bonitätseinstufungen ein wichtiger Gradmesser, um künftige Anlageentscheidungen breit abzustützen. Denn die Globalisierung schreitet immer weiter voran und entsprechend unübersichtlich ist das Anlageuniversum. Zudem differenzieren die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch innerhalb der Regionen stark – wie sich bereits im geographisch kleinen Euro-Raum zeigt.

René Hermann

Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist in der Wirtschaft angekommen. Ein positiver Wachstumstrend mit steigenden Investitionen und zunehmender Kreditvergabe sind Belege dafür. Darauf abgestützt stabilisieren sich die Schuldenstände der Industrienationen mehrheitlich. Sie verbessern sich trotz enormer Fortschritte bei der Reduktion von Defiziten in den Staatshaushalten allerdings nur punktuell.

Die Staaten befinden sich in einem ‚Sweet Spot‘, welcher eine deutlichere Reduzierung der hohen Schuldenlast erlauben würde. Unsere Analysen zeigen, dass die Staatsschuldenquoten (Schulden im Verhältnis zum Brutto-Inlandprodukt) global immer noch auf historisch sehr hohem Niveau verharren. Daraus resultiert die Gefahr, dass die Schuldenstände zusammen mit dem aktuellen Ausgabeverhalten wenig Spielraum lassen bei einem etwaigen Zinsanstieg, für Sonderlasten (zum Beispiel Sanierung von Banken & Rentensystemen) oder bei konjunkturellen Schwächen. Besonders exponiert bleiben die hochverschuldeten Peripherieländer in Europa.

Der Faktor Schuldendynamik ist einer von zahlreichen Treibern der Kreditqualität, die in der I-CV-Länderstudie zur Ergebnisermittlung herangezogen werden. Wirtschaftsentwicklung, Politik & Megatrends sowie die Gesundheit der Unternehmen zählen ebenso dazu. Gerade innerhalb der Megatrends berücksichtigen wir Themen, die die Märkte, Investoren und Gesellschaften gleichermaßen stark beschäftigen. Klimawandel, Demografie, Ressourcenverknappung oder die Integration von ESG-Faktoren sind wichtig für die Länderstudie, die aufgrund von mehr als 50 Bewertungsfaktoren die fundamentale Stärke der Staaten evaluiert und bei der insgesamt ein 4-Phasen Sovereign-Modell angewendet wird.

Nordeuropäische Staaten interessant für Anleiheinvestoren
Die aktuellen Resultate zeigen, dass sich die globale Entkopplung der Bewertungen und Ratingeinstufungen von den Fundamentaldaten fortsetzt. Die Bilanzen von zahlreichen Staaten und Unternehmen präsentieren sich in strapazierter Verfassung. Bei einem Zinsanstieg oder einer konjunkturellen Schwächephase erwarten wir einen Anstieg der rekordtiefen Ausfallraten. Generell bleibt die Beurteilung politischer und geopolitischer Risiken durch die schwierigen und zähen Brexit-Verhandlungen, aber auch das Drohgebaren zwischen den USA und Nordkorea, ein relevanter Aspekt bei der Bonitätsanalyse von Staaten.

Der deutschsprachige Raum bleibt unverändert eingestuft. Die Schweiz erreicht die Höchstnote, Deutschland die zweitbeste Bonität und Österreich mit AA- das vierthöchste Rating. Generell sind die nordeuropäischen Staaten hoch geratet und folgerichtig interessant für Anleiheinvestoren. Mit Dänemark und Finnland erfuhren zwei von ihnen Upgrades, genauso wie Indonesien, Portugal, Slowakei und Spanien. Diesen sechs Upgrades stehen drei Downgrades gegenüber (Chile, China und Südkorea). Ausschlaggebend für die Upgrades sind zum Beispiel Umsetzung von Strukturreformen, Rückkehr zu Wachstum und Fortschritte bei Stabilisierung der Verschuldungsquote. Zu Downgrades führten etwa die Abschwächung der Kreditkennzahlen oder der Anstieg von politischen und geopolitischen Unsicherheitsfaktoren.

Analyse High Yield-Markt
Hochzinsanleihen erlebten in jüngerer Vergangenheit – nicht zuletzt aufgrund des Niedrigzinsumfelds und der Suche nach adäquaten Renditen – eine erhöhte Nachfrage. Entsprechend wichtig sind Informationen zu den Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen. Hier zeigt unsere Studie strapazierte Bilanzen bei High Yield-Schuldnern. Die tiefen Zinskosten stellen mittelfristig die Tragbarkeit und somit das Einhalten der Covenants bei High Yield-Schuldnern sicher. Doch versiegt die Unterstützung der Geldpolitik, dürften bei hochverschuldeten Unternehmen die Kreditausfallraten ansteigen und sich die Risikoprämien rasant ausweiten.

Wir rechnen damit, dass sich in einem Extremszenario die Liquidität im High Yield-Markt stark reduziert. Der High Yield-Markt ist gegenüber Refinanzierung, einer Verlagerung der Anlegerpräferenzen auf Qualitätspapiere sowie höheren Zinskosten besonders anfällig. Die richtige Selektion der auch in Krisenzeiten robusten beziehungsweise überlebensfähigen High Yield-Schuldner ist daher wichtiger denn je, um auch künftig in diesem Segment erfolgreich zu investieren.

Fazit
Die Bewertungen über das ganze Anlagespektrum (Anleihen, Aktien, Immobilien) sind hoch und werden bei weniger expansiver Geldpolitik korrigieren müssen. Wir bevorzugen im aktuellen Umfeld Staaten mit stabilen politischen Rahmenbedingungen, hoher Wettbewerbsfähigkeit, intakten Bankensystemen und vorausschauender Fiskalpolitik. Dazu zählen beispielsweise die Niederlande, Dänemark, Slowakei und Finnland. Opportunitäten bieten sich risikobewussten Investoren unter anderem in Indonesien, Russland und Peru. Das oberste Gebot bleibt eine vorsichtige Auswahl nach fundamentalen Kriterien und die laufende Überwachung, um sich vor negativen Überraschungen möglichst effizient zu schützen.

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*) René Hermann ist Partner und verantwortlich für den Bereich Research bei Independent Credit View (I-CV). Bevor er 2009 zum Unternehmen stieß, war er als Senior Analyst für die Credit Suisse Group und unter anderem im Bereich Mergers & Acquisitions für Zurich Financial Services tätig. Hermann hat fundierte Kenntnisse der Finanzdienstleistungsindustrie und mehrjährige internationale Erfahrung in der Unternehmensbewertung.