Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Steigende Ausgaben infolge des demografischen Wandels, medizinischer Innovationen und ausbleibender politischer Reformen treffen auf eine zunehmend instabile Einnahmenseite. Staatliche Zuschüsse decken den Finanzbedarf nur unzureichend, während die Folgekosten vergangener Gesetzesinitiativen und veränderte Zahlungsflüsse des Gesundheitsfonds die Planbarkeit zusätzlich erschweren. Die Rücklagen vieler Krankenkassen sind weitgehend aufgebraucht – und mit ihnen der finanzielle Puffer für unerwartete Belastungen.
Zwar verzeichnete das System im ersten Quartal 2025 einen Überschuss von 1,8 Mrd. Euro, doch dieser dient primär der Wiederauffüllung der Finanzreserven, die aktuell nur etwa die Hälfte der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve erreichen. Trotz des positiven Saldos wuchsen die Ausgaben weiterhin schneller als die Einnahmen, was die strukturellen Finanzprobleme der GKV nicht entschärft, sondern eher unterstreicht. Der Druck auf die Zusatzbeiträge steigt – 2025 kam es mit einem Anstieg um 0,8 Prozentpunkte zur stärksten Erhöhung seit Einführung des Zusatzbeitrags. Viele Kassen sehen darin derzeit das einzige Mittel zur Deckung des Kapitalbedarfs. Doch die Belastungsgrenze der Versicherten ist absehbar erreicht.
Einlagensicherung als Auslöser für Veränderung
Inmitten dieser angespannten Lage verschärft die Reform der Einlagensicherung die Herausforderungen im Kapitalmanagement zusätzlich. Bankeinlagen – etwa Termingelder – sind nur noch bis zu einer Höhe von 30 Mio. Euro durch den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken geschützt. Für größere Krankenkassen bedeutet dies ein signifikant erhöhtes Ausfallrisiko. Die Reduzierung der Sicherungsgrenze zwingt Sozialversicherungsträger dazu, ihr Risikomanagement neu zu definieren und ihre Anlagestrategien grundlegend zu überdenken.
Ein vorausschauendes sowie qualifiziertes Anlage- und Risikomanagement wird damit zur strategischen Notwendigkeit. Die Auswahl geeigneter Anlageformen und Emittenten erfordert künftig nicht nur erhöhte Aufmerksamkeit, sondern auch vertieftes Kapitalmarkt-Know-how.
Neuausrichtung im Liquiditätsmanagement
Eine Neuausrichtung im Liquiditätsmanagement erfordert die systematische Prüfung alternativer Anlageformen, eine fundierte Emittentenbewertung und eine differenzierte Risikoanalyse. Liquidität darf nicht als statische Größe verstanden werden, sondern sollte differenziert in drei funktionalen Ebenen betrachtet werden:
• Operative Liquidität zur Sicherstellung des laufenden Zahlungsverkehrs,
• Strategische Liquidität zur flexiblen Reaktion auf kurzfristige Marktveränderungen,
• Strukturelle Liquidität zur langfristigen Sicherung der Finanzierungsfähigkeit.
Jede dieser Ebenen erfüllt eine spezifische Funktion im Rahmen der Gesamtsteuerung und trägt zur finanziellen Resilienz der Organisation bei. Dabei erfordert jede Liquiditätsebene spezifische Anlageformen, die auf ihren jeweiligen Zeithorizont und Funktionszweck abgestimmt sind.
Ein zukunftsorientiertes Liquiditätsmanagement sollte kurzfristig verfügbare, liquide Investments mit einer breiten Risikostreuung kombinieren. Besonders geeignet sind liquide Anleihen wie Staatsanleihen oder Pfandbriefe. Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des § 80 SGB IV ermöglicht die gezielte Diversifikation zwischen Bankeinlagen und hochliquiden Anleihen eine wirksame Begrenzung von Ausfall- und Liquiditätsrisiken. Diese Anlagepolitik trägt nicht nur zur Einhaltung der regulatorisch geforderten Anlagesicherheit bei, sondern gewährleistet zugleich eine jederzeitige Verfügbarkeit der Mittel sowie einen angemessenen Ertrag im Sinne einer stabilen und zweckgebundenen Mittelverwendung.
Make and Buy statt Make or Buy: Die Kombination interner Kompetenz mit externer Spezialisierung
Die zentrale Frage lautet: Reichen die vorhandenen Ressourcen aus, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden?
Zur Umsetzung dieser Anforderungen können Krankenkassen entweder eigene Expertenteams mit Kapitalmarkt-Know-how aufbauen oder auf externe Partner zurückgreifen. Während interne Teams eine größere institutionelle Unabhängigkeit bieten, kann die Zusammenarbeit mit spezialisierten Asset Managern eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Externe Partner bringen regulatorische Expertise, etablierte Prozesse und einen breiten Zugang zu liquiden Anlageinstrumenten mit. Sie ermöglichen eine effiziente Umsetzung der Anforderungen des § 80 SGB IV, insbesondere im Hinblick auf Risikosteuerung, Reporting und Marktbeobachtung. Das spart Zeit und Ressourcen. Statt einer Entscheidung zwischen Eigenleistung oder Auslagerung empfiehlt sich ein kombinierter Ansatz: Eine Make-and-Buy-Strategie, die internes Know-how gezielt mit externer Expertise verbindet.
Fazit: Professionalisierung ist kein Luxus, sondern Pflicht
Die Herausforderungen im Gesundheitswesen sind nicht temporär – sie markieren einen strukturellen Wandel. Um diesem erfolgreich zu begegnen, müssen Sozialversicherungsträger auch ihr Liquiditäts- und Kapitalmanagement strategisch weiterentwickeln. Die intelligente Kombination von Sicherheit, Flexibilität und Ertrag wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Professionelle Strukturen, klare Prozesse und qualifiziertes Fachwissen sind dabei keine Kür, sondern Voraussetzung für eine nachhaltige Finanzstrategie.
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*) Hayri Ulucan, Leiter Institutional Asset Management bei DONNER & REUSCHEL
Kommentar: Zwischen Finanz- und Reformdruck

Hayri Ulucan