Die taktische Sichtweise: Kurzfristige Risiken für den US-Dollar
Das aktuelle makroökonomische und marktbezogene Umfeld deutet auf weitere Abwärtsrisiken für den US-Dollar hin. Die Fundamentaldaten für das US-Wachstum zeigen auf einen Abschwung, der durch die Unsicherheit im Zusammenhang mit den jüngsten politischen Maßnahmen wie dem Einwanderungsstopp und den Handelszöllen noch verstärkt wird. Wir rechnen zwar nicht mit einer Rezession in den USA, doch die Aussicht auf eine Abschwächung steht im Gegensatz zum Wachstum in Regionen wie der Eurozone. Diese unterschiedlichen Wachstumsdynamiken sind ein wichtiger negativer Faktor für den US-Dollar.
Auch die relativen Zinssätze zeichnen ein negatives Bild für den US-Dollar. Die US-Notenbank wird wohl ihren Leitzins aggressiver senken als ihre Pendants. Im Gegensatz dazu scheint die Europäische Zentralbank kurz vor dem Ende ihres Lockerungszyklus zu stehen, und die Bank of Japan könnte eine weitere Straffung in Betracht ziehen. Diese Divergenz verringert den Zinsunterschied zwischen den USA und anderen Notenbanken und übt zusätzlichen Abwärtsdruck auf den US-Dollar aus.
Die politische Lage in den USA verstärkt die Risiken für den Dollar zusätzlich. Die Sorge um übermäßige Staatsausgaben könnte die weltweite Nachfrage nach US-Dollar-denominierten Vermögenswerten untergraben, was möglicherweise zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen und zu Korrekturen bei US-Anleihen und -Aktien führen könnte. Darüber hinaus bedroht der politische Druck auf die US-Notenbank die Unabhängigkeit der Zentralbank, die ein Eckpfeiler einer glaubwürdigen makroökonomischen Politik ist.
Infolgedessen hat sich der Status des Dollars als sicherer Hafen verschlechtert. In jüngsten Marktereignissen, wie der Eskalation des Handelskriegs und enttäuschenden US-Arbeitsmarktdaten, verhielt sich der Dollar eher wie eine Risikowährung und schwächte sich zusammen mit den US-Aktien ab, anstatt von der allgemeinen Risikoaversion am Markt zu profitieren.
Das MFS-Quantmodell: keine kurzfristige Aufwertung in Sicht
Unser quantitatives Modell spricht nicht für eine kurzfristige Dollaraufwertung. Der Quant-Prozess nutzt für die Allokation von Industrieländerwährungen zahlreiche Indikatoren. Dazu zählen mit Bewertung und Carry zwei eher längerfristige Faktoren, aber auch kurzfristige Signale wie Momentum und Marktstimmung (Sentiment). Der US-Dollar ist demnach überbewertet, auch wenn sein Carry noch immer attraktiv ist. Die kurzfristigen Signale sind uneinheitlich, tendieren aber zu Short-Positionen. Man muss aber bedenken, dass sich diese Signale schnell ändern können.
Alles in allem legen die taktischen Faktoren eine neutrale Dollargewichtung bzw. eine kleine Short-Position nahe. Keinesfalls signalisieren sie eine rasche Aufwertung. Als einziger Kurzfristfaktor ist die Markttechnik positiv für den Dollar. Eine Short-Position ist zurzeit eine der beliebtesten Positionierungen überhaupt. Die Netto-Short-Positionen sind heute so groß wie seit 2021 (Quelle Bloomberg) nicht mehr. Die günstige Markttechnik kann zu einer gewissen Volatilität und selbst zu einer kurzfristigen Dollarerholung führen. Dennoch dürften sich auf absehbare Zeit die schwachen Fundamentaldaten durchsetzen und den Wechselkurs bestimmen.
Die strategische Sichtweise: Überbewertung und Investorenverhalten
Aus Bewertungssicht ist der US-Dollar nach den meisten Kennzahlen um mindestens 10% überbewertet. Der reale Dollarindex der Fed liegt beispielsweise 13% über seinem langfristigen Durchschnitt. Der starke Dollarzyklus dürfte im Januar 2025 seinen Höhepunkt erreicht haben; die Anzeichen einer Abschwächung werden immer deutlicher.
Diese Überbewertung in Verbindung mit sich verändernden Fundamentaldaten beeinflusst das Verhalten der Investoren weltweit. Taktische Indikatoren wie Wert- und Carry-Faktoren sprechen nicht für eine kurzfristige Aufwertung des US-Dollars. Darüber hinaus zeigen technische Faktoren, dass Leerverkäufe des US-Dollars derzeit zu den häufigsten Trades gehören. Diese Positionierung könnte zwar zu vorübergehender Volatilität oder sogar zu einer kurzen Erholung führen. Wir glauben jedoch, dass – wie bereits erwähnt – die ungünstigen makroökonomischen Fundamentaldaten als dominierender Treiber überwiegen werden.
Die strukturelle Sichtweise: Die Rolle des US-Dollar als Reservewährung
Langfristig bleibt der Dollar als weltweit wichtigste Reservewährung dennoch fest etabliert. Zwar ist sein Anteil an den globalen Devisenreserven von 70% vor zwei Jahrzehnten auf heute 58% zurückgegangen, doch bisher hat sich kein ernstzunehmender Konkurrent herausgebildet. Der Euro mit einem Anteil von 20% an den Reserven und der Yen mit 5,8% liegen weit zurück. Die schiere Größe und Liquidität des US-Treasury-Marktes, der mehr als zehnmal so groß und 30-mal so liquide ist wie der Markt für Bundesanleihen, sorgt dafür, dass der US-Dollar und US-Treasuries weiterhin wichtige globale Anlageinstrumente bleiben. Auch wenn der Anteil des US-Dollar an den Reserven weiter allmählich zurückgehen dürfte, wird dieser Prozess voraussichtlich langsam und geordnet verlaufen.
Fazit
Der US-Dollar wird zwar wahrscheinlich seinen Status als Reservewährung nicht verlieren, seine Überbewertung und das sich wandelnde makroökonomische Umfeld werden jedoch Herausforderungen für auf US-Dollar lautende Vermögenswerte darstellen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer globalen Diversifizierung der Investoren, also Chancen außerhalb der USA zu nutzen.
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*) Benoit Anne, Senior Managing Director Strategy and Insights Group, und Trisha Guchait, Quantitative Research Analystin, bei MFS Investment Management
Kommentar: Short US-Dollar heißt die Devise oder Das Ende des starken Dollarzyklus

Benoit Anne

Trisha Guchait