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Kommentar: Risikofreies Einkommen war noch nie ein riskanterer Vorschlag als heute

Die Marktstruktur und damit auch der Blick auf die Märkte haben sich seit dem Ausbruch von Covid-19 grundlegend gewandelt. Marktliquidität und Zentralbankmaßnahmen sind verstärkt zu entscheidenden Anlagekriterien geworden. Läutet die aktuelle Geldpolitik nun also das Ende der modernen Portfoliotheorie sowie die Abschaffung des traditionell risikofreien Einkommens ein? Und welchen Folgen hat das für Investoren?

Giorgio Caputo

Liquiditätsflut: Segen oder Fluch für Investoren?
Die Fed kauft jede Sekunde mehr als 1 Mio. US-Dollar an Finanzanlagen – und das seit Beginn der Krise im März 2020. Das Ergebnis ist eine Liquiditätsflut, die viele Investoren vor Herausforderungen stellt. Wer in so einem Umfeld Einkommen sucht, ohne unnötige Risiken einzugehen, muss dem aktuellen Motto der Märkte folgen und kaufen, was die Zentralbanken kaufen. Diese Möglichkeit dürfte sich jedoch schnell erschöpfen. Was Anlageexperten als traditionell risikofreies Einkommen bezeichnen, gibt es heute nicht mehr. Das stellt insbesondere die Investoren vor immense Schwierigkeiten, die auf der Suche nach regelmäßigen Einkommen ohne unnötige Risiken sind.

Herausforderung: Renditefreies Risiko
Festverzinsliche Instrumente übernehmen bei einer traditionellen Portfoliokonstruktion zwei Aufgaben: Erstens sichern sie den Ertrag, der sich im aktuellen Marktumfeld jedoch zunehmend reduziert hat, zweitens dienen sie der Absicherung des Portfolios. Investoren, die heute eine positive nominale Rendite erzielen wollen, müssen sehr zukunftsorientiert denken. Kredite, wie an die deutsche Regierung bringen nur noch positive Renditen mit sich, wenn Anlagezeiträume von fast 30 Jahren oder länger in Kauf genommen werden. Dagegen bieten Investitionen über ein, zwei, drei oder sogar zehn Jahre derzeit nur noch negative Renditen. Ergo zahlen Anleger heute oft für das Privileg, Geld verleihen zu dürfen. Risikofreies Einkommen ist demnach offen gesagt noch nie ein riskanterer Vorschlag als heute gewesen.

Deswegen sollten Investoren aktuell auch auf Staatsanleihen, die traditionell Einkommen, Rendite und Diversifizierung boten, heute jedoch oft Zinssätze nahe oder gar unter null mit sich bringen, als Portfoliobaustein verzichten. Für die traditionelle Portfoliokonstruktion, die in der Theorie über Aktien und festverzinslichen Anleihen diversifiziert, fehlt damit ein bedeutender Baustein. Insbesondere die Funktion von Staatsanleihen, eventuelle Volatilitätsschocks abzufangen, muss von Investoren neu überdacht werden. Meines Erachtens nach hat die moderne Geldtheorie die moderne Portfoliotheorie in vielerlei Hinsicht nichtig gemacht. Es ist ein bisschen wie ein Kampf der sogenannten modernen Theorien. Anleger, die Erträge erzielen wollen, sollten zukünftig also über traditionell festverzinsliche Wertpapiere hinausdenken.

Die Monetarisierung der Schulden als Teil des eigenen Planungshorizonts
Regierungen, die Billionen von Dollar ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln, Bürger, die angesichts der Pandemie zuhause bleiben und umfassende Investitionsplanungen für einen bevorstehenden Green Deal. Einer kostspieligen Wirtschaftsbelebung stehen konventionelle Finanzierungsmöglichkeiten gegenüber. Fiskalische Ziele werden durch Zentralbanken finanziert und damit Schulden monetarisiert. Dies entspricht einer Form der Modern Monetary Theory (MMT). Allein in den USA hat die Fed fast 60% des diesjährigen Finanzbedarfs von 3,2 Billionen US-Dollar aufgekauft. Damit finanziert sie ein beispielloses Ausgabenprogramm durch den vollständigen Ankauf von Staatsschulden. Zudem erhält die Fed für „emergency lending programs“ eine Verlustgarantie des US-Finanzministerium von 454 Mrd. US-Dollar. Aufgrund der erwarteten hohen Rückzahlungsquote in diesen Programmen setzt die Fed einen zehnfachen Leverage auf diese Verlustgarantien ein. Die Zentralbankpolitik stellt Investoren damit vor vielfältige Herausforderungen. Hier kann ein Blick in die Vergangenheit hilfreich sein. Die Geldpolitik im und um den Zweiten Weltkrieg ist ein mögliches Zukunftsszenario. Die Zentralbankinterventionen endeten mit der Marktnormalisierung, gefolgt von einigen recht ausgeprägten Inflationsschüben. Die Parallelen sprechen dafür, dass Investoren die Risiken, die dieses Szenario mit sich bringt, im Blick behalten sollten.

Neupositionierung der Abwehr - MMT ist da (MPT ist weg)!
Die beispiellosen Maßnahmen, die weltweit von den Finanz- und Währungsbehörden zur Unterstützung der Märkte ergriffen wurden, haben uns bei J O Hambro zu einer sukzessiven Erhöhung unseres defensiven Portfoliobestandteils bewegt – insbesondere beim Goldanteil. Der Grund: Es spricht aktuell viel dafür mehr von einer Währung zu besitzen, die nicht gedruckt werden kann. Der Schlüssel zur Bewältigung dieses unsicheren Umfelds besteht unserer Meinung nach darin, Anlagen ausgewogen über verschiedene Themen und Stile zu streuen. Denn traditionelle Risikomodelle zeigten sich in den vergangenen Krisen wenig beständig. Einen Grund hierfür ist die bereits beschriebene Neuausrichtung der Märkte und der damit einhergehenden Neubewertung der Modernen Portfoliotheorie (MPT). Die Portfoliotheorie verfolgt vereinfacht den Aufbau eines optimalen Portfolios. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Parameter Risiko, Ertrag sowie Liquidität. In Phasen, die wie seit Ausbruch der Pandemie mit enormen Markstress und rapide anziehender Volatilität einhergingen, konnten Korrelationen von Eins, und damit der perfekte Gleichlauf zweier Anlageklassen beobachtet werden. Gleichzeitig gab es aber auch negative Korrelationen bei den gleichen Assetklassen. In Krisenzeiten tritt dann ein, wovor die Risikostreuung Investoren eigentlich schützen soll. Die Fähigkeit, in Stressphasen Barmittel in Risikoaktiva einzusetzen, dürfte somit in den kommenden Jahren attraktiver werden. Zudem sollten Investoren möglicherweise den Style-Box-orientierten, vollständig investierten Ansatz und die "falsche Diversifizierung", die sich daraus ergeben kann, überdenken.

Zusätzlich sollten Investoren auf das Tempo der Erholung achten. Aktuell werden die Märkte von schwachen Wirtschaftsdaten begleitet. Die Marktstruktur hat sich verändert, und wenn das System angespannt ist, wird dies Volatilität mit sich bringen. Für den langfristigen Anlageerfolg ist es entscheidend, flexibel zu sein. So können Investoren Chancen nutzen, und müssen keine Risiken eingehen, wenn sie glauben, für diese nicht entschädigt zu werden. Sie sollten versuchen, ein Portfolio aufzubauen, das in einer Vielzahl von Szenarien profitiert und eine starke Verteidigungsbasis beinhaltet, die den Sturm überstehen kann. Gleichzeitig sollte dieses aber auch einige Investitionen involvieren, die profitieren, wenn sich die Welt schneller normalisiert als derzeit erwartet.

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*) Giorgio Caputo ist Senior Fund Manager und Leiter des Multi-Asset-Value-Teams von J O Hambro.