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Kommentar: Noch spielt die Musik – Risikomanagement im aktuellen Marktumfeld

Die makroökonomische Verlangsamung, die 2018 und Anfang 2019 kennzeichnete, hat sich vorerst abgeschwächt. Die Weltwirtschaft expandiert, wenn auch zaghaft, das spricht für Aktien und Kredite. Auch die Zentralbanken stützen wachstumsorientierte Vermögenswerte und treiben gleichzeitig die Bewertungen von Anleihen weiter nach oben. Allerdings ist die geopolitische Situation, besonders der US-Handelskrieg mit China, ein guter Grund, wachsam zu sein und sich vor zunehmendem Markt-Stress zu schützen.

Olivier Marciot

Das Management von Risiken ist multidimensional und erfordert eine Diversifizierung von Perspektiven und Kennzahlen sowie der Renditequellen. Für Multi-Asset-Investmentportfolios gibt es drei Hauptrisikotreiber: makroökonomische Bedingungen, Marktstimmung und Asset-Bewertung. Betrachtet man die globalen Finanzmärkte vor diesem Hintergrund, ist festzustellen, die besonders besorgniserregenden Risiken im Zusammenhang mit der makroökonomischen Verlangsamung haben nachgelassen. In den letzten Monaten haben sich die Bedingungen stabilisiert und die Zentralbanken machten deutlich, dass sie bereit sind, bei Bedarf ihre gesamte Maßnahmenpalette einzusetzen.

Angesichts der geopolitischen Unsicherheit, gerade in Bezug auf die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China, sollten Anleger aber wachsam bleiben und nicht aufgrund der jüngsten Markterholung selbstgefällig werden. So gibt es nur wenige offenkundige Chancen und traditionelle Absicherungen, wie Staatsanleihen, sind teuer.

Anzeichen der Stabilisierung
Eines der Hauptthemen der letzten 18 Monate war die Abschwächung des globalen Wirtschaftswachstums. Nach dem Höchststand Anfang 2018 verzeichnete das globale Wachstum einen anhaltenden Abwärtstrend und erreichte im März dieses Jahres das Nullniveau. Eine Fortsetzung dieses Trends hätte bedeutet, dass die Wirtschaft in Richtung Rezession kippt. Seit dem Tiefpunkt im März hat die Weltwirtschaft jedoch Anzeichen einer Stabilisierung gezeigt und keine weitere Verschlechterung. Obwohl es noch zu früh ist, um festzustellen, dass sie sich erholt hat und bis 2019 voraussichtlich wieder Fahrt aufnehmen wird, ist doch zu sagen, dass die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession viel geringer ist, als es noch vor wenigen Monate erschien.

Um eines klarzustellen: Die Wirtschaft bleibt selten lange auf diesem Potenzialniveau. Betrachtet man die letzten 35 Jahre, zeigt sich, dass sich die Wirtschaft in vier Fällen ('97,'95,'99,'05) nach einer Verlangsamung wieder beschleunigt hat, während sie in drei Fällen ('90,'00,'07) in eine Rezession fiel. Von nun an ist die enge Überwachung der Wirtschaftsentwicklung entscheidend, um einzuschätzen, welchen Weg sie in den kommenden Monaten und Jahren voraussichtlich nimmt. Die wirtschaftliche Stabilisierung und die aktuelle Geldpolitik sollten risikoreichere Vermögenswerte jedoch kurzfristig weiter stützen.

Geopolitische Spannungen drücken die Stimmung
Der makroökonomische Kontext ist also kein Dämpfer mehr, aber die fragile Marktstimmung beunruhigt Investoren und veranlasst sie, ihre wachstumsorientierten Vermögenspositionen nach unten abzusichern. Die Anfälligkeit ist vor allem zurückzuführen auf die angespannten Beziehungen zwischen den USA und ihren wichtigsten Handelspartnern, wie etwa China.

Im Mittelpunkt des Streits zum Handelsabkommen mit China stehen die Fragen nach der Rolle der staatlichen Unternehmen in der chinesischen Wirtschaft, den Durchsetzungsmechanismen zur Einhaltung sowie das Beharren beider Seiten auf ein in ihren Augen faires Abkommen. Solange diese heiklen Themen nicht behandelt sind, werden die Spannungen anhalten und die Märkte weiter verunsichern.

Interessanterweise hat China, trotz deutlicher Anzeichen einer abflauenden Nachfrage und Beschränkungen der US-Rohölimporte, seine Ölimporte hochgefahren. China will also Reserven auffüllen und sich auf einen längeren Konflikt vorbereiten. Die Aufforderung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping an sein Land, sich auf einen neuen „langen Marsch“ vorzubereiten, deutet auch darauf hin, dass die chinesischen Führer wohl kurzfristig keine Lösung sehen. Und die USA senden klare Signale, dass sie neben den Zöllen über weitere Instrumente wie Sanktionen und Exportkontrollen verfügen und bereit sind, den Handel zur Erreichung ihrer politischen Ziele zu nutzen.

Während die Investoren die Verhandlungen zwischen den USA und China aufmerksam verfolgt haben, gären noch andere geopolitische Risiken. In Großbritannien will Boris Johnson Vorsitzender der Konservativen Partei werden, um Theresa May als Premierministerin zu ersetzen. Johnson hat deutlich gemacht, dass er beabsichtigt, das Vereinigte Königreich bis zum 31. Oktober aus der Europäischen Union herauszunehmen, auch wenn dies einen „No-Deal-Brexit“ bedeutet.

Im Nahen Osten brodeln die Spannungen zwischen den USA und dem Iran. Dieser droht, den Grenzwert für niedrig angereichertes Uran zu überschreiten, das er im Rahmen des Abkommens von 2015 lagern kann. Als Reaktion auf diese Drohung und die Angriffe auf zwei Öltanker im Golf von Oman, für die die USA den Iran verantwortlich machen, wurden US-Truppen in die Region entsandt.

Was sonst noch die Märkte bewegt
Neben der Geopolitik sind weitere Risikodimensionen zur Beurteilung der Marktstimmung wesentlich, so etwa die Geldpolitik. Was das angeht, haben die Märkte erhebliche Senkungen der Zielzinssätze eingepreist: In den USA werden bis Anfang 2020 drei und bis Ende des nächsten Jahres vier Zinssenkungen erwartet. In der Eurozone erwarten die Märkte eine vorsichtigere EZB, die die Zinsen im Herbst und Ende 2019 oder Anfang 2020 wieder senkt. Da die Eurozone knapp über dem rezessiven Niveau schwebt und angesichts der Unsicherheit über Zölle und Handelsbeschränkungen, erscheinen ein bis zwei Kürzungen auch sinnvoll.

In den USA liegt die Sache anders, hier unterstützen die Makrodaten den aggressiven Politikwechsel so nicht. Vielmehr drängt die durch den Handelskrieg hervorgerufene Unsicherheit die Fed dazu, deren wirtschaftlichen Auswirkungen auszugleichen. So scheint es, dass Zinssenkungen von der Fed zur Versicherung dienen und rückgängig gemacht werden können, wenn die Unsicherheit abnimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Fed die Zinsen präventiv senkt, um eine mögliche Rezession abzuwenden, solange sich keine signifikante Verschlechterung des US-Makrobildes abzeichnet.

Abweichende Einschätzungen zu entwickelten Aktienmärkten – doch Einigkeit zu den Emerging Markets



Quelle: Bloomberg, Unigestion (Stand: 28. Juni 2019)

Nur wenige Chancen
Und nicht zuletzt besteht ein Bewertungsrisiko, „teure“ sollten jetzt hinter „billigen“ Vermögenswerten zurückstehen, vorausgesetzt die anderen Kriterien sind gleich. Das bei Unigestion bevorzugte Maß zur Beurteilung von Vermögenswerten ist der Carry, also die Rendite, die ein Vermögensträger erhält, wenn sich die Preise entsprechend den Markterwartungen entwickeln. Wenn man sich die Vermögenswerte derzeit genauer ansieht, sowohl in Bezug aufeinander als auch in ihrer Historie, ist festzustellen, dass die Bewertungen derzeit sehr unterschiedlich ausfallen. Anleihen sind teurer geworden, da sich die Zinskurven verflachen, Hochzinsanleihen und Industriemetalle sind ebenfalls hoch bewertet. Die meisten anderen wachstumsorientierten Vermögenswerte, wie globale Aktien, Investment-Grade- und Emerging-Market-Credits sowie Energierohstoffe, haben nach dieser Metrik vergleichsweise neutrale Bewertungen.

Bewertungen fallen sehr unterschiedlich aus



Quelle: Bloomberg, Unigestion (Stand: 28. Juni 2019)

Betrachtet man die globalen Aktien anhand von Standardbewertungskennzahlen, so ist festzustellen, dass auf aggregierter Ebene weder Industrieländer- noch Schwellenländer-Aktien überbewertet sind. Obwohl einige Kennzahlen hoch sind, wie beispielsweise der zukunftsorientierte Unternehmenswert (EV) zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA), zeigen die Kennzahlen im Schnitt, dass diese Märkte ein wenig über ihrem langfristigen Niveau liegen. Der Kursrutsch des S&P 500 ist eher beunruhigend, da fast alle Bewertungskennzahlen deutlich erhöht sind. Egal, ob Anleger die zugrunde liegenden Vermögenswerte, Erträge, Dividenden oder Cashflows betrachten: Für den Preis, den sie aktuell für US-Aktien zahlen, erhalten sie heute viel weniger als in der Vergangenheit.

Der Ausblick: Positiv, aber aufmerksam für latente Risiken
Es gab in diesem Jahr gute Gründe für eine vorsichtige Haltung: das Tempo und die Breite der wirtschaftlichen Abschwächung, das Ringen zwischen den USA und China und die Schließung der Bewertungslücke, die zu Beginn des Jahres die Märkte in die Höhe trieb. Aktuell sehen wir starke Argumente für risikoreichere Vermögenswerte: Die Weltwirtschaft wächst innerhalb ihres Potenzials und mit einem geringen Risiko überschießender Inflation, wobei die Zentralbanken bereit sind, einzuspringen, wenn es nötig wird – womöglich sogar vorher.

Ähnlich wie in der „Goldilocks“-Periode 2017 – wenn auch bei niedrigerem Wachstumsniveau – sollte dieser Kontext Aktien, Krediten und nominalen Staatsanleihen zugutekommen. Dennoch ist der Himmel nicht vollkommen klar und die geopolitische Unsicherheit bleibt ein Hauptrisiko. Auch die Marktpreise und Bewertungen sind nicht überzeugend, insbesondere bei Anleihen, dem von den meisten Anleger bevorzugten Sicherungsinstrument. So schützen wir uns weiterhin über Optionen vor Aktienverkäufen und nutzen alternative Renditequellen wie niedrigvolatile Aktien und defensive FX-Strategien.

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*) Olivier Marciot ist Senior Vice President and Investment Manager beim Schweizer Asset-Manager UNIGESTION