Foundation | Welcome

Menu


Kommentar: Mit dem Bären tanzen – Chancen bei fallenden Märkten

Das Auf und Ab der Märkte macht es Investoren nicht leicht. Aktien eignen sich gut für den langfristigen Vermögensaufbau, werden wegen der wiederholten Verlustphasen aber auch gemieden. Oft trennen sich Anleger zum ungünstigsten Zeitpunkt von ihren Positionen. Wer aber den Marktzyklus versteht und zu seinem Vorteil nutzt, kann attraktive Erträge erzielen.

Jonathan W. Hubbard

2022 fiel der amerikanische Aktienmarkt in die Baisse. Bis Mitte Oktober verlor der S&P 500 fast 25%, und Ende Dezember lag er noch immer um knapp 20% im Minus.¹ Zwar haben sich die Kurse zum Jahresende etwas erholt, doch sind weitere Verluste nicht auszuschließen. Generell spricht man von einer Baisse, wenn die Kurse um mindestens 20% fallen. Doch selbst wenn sie wieder etwas steigen, muss nicht alles überstanden sein.

Auslöser von Bärenmärkten
Oft gehen Baissen mit einer Rezession in den USA einher oder auch mit einem weltweiten Abschwung. Das ist plausibel. Aktienemittenten sind Teil der Wirtschaft, in der sie Abnehmer für ihre Güter und Dienstleistungen finden müssen, und die Unternehmensgewinne beeinflussen die Märkte. Volkswirtschaft und Fundamentaldaten der Unternehmen sind nicht voneinander zu trennen. Letztlich gehen Rezessionen und Baissen daher oft Hand in Hand. Nicht selten sind die Kurse schon gefallen, bevor die Konjunktur einbrach.

Manche Entwicklungen zeichnen sich schon lange vorher ab. In fast jeder Baisse sind die Unternehmensgewinne schwach und die Aktien volatil, mit einer entsprechend schlechten Anlegerstimmung. Und doch ist jede Baisse anders. In den 1970er-Jahren lösten hohe Energiepreise, die massive Verbraucherpreisinflation und die Verstrickung der USA in den Vietnamkrieg eine heftige Baisse aus, sodass die Aktienkurse 1973 und 1974 um 48% fielen.² 2008 waren die spekulativen Übertreibungen am Wohnimmobilienmarkt und die viel zu hohen Kreditrisiken der hier stark engagierten Banken der Grund. Die kürzeste Baisse der Geschichte erlebten wir 2020, ausgelöst durch Corona und die damit einhergehenden Lockdowns. Aber schon bald folgte die schnellste Erholung aller Zeiten.

Gemeinsamkeiten von Baissen
Kursverluste:
Seit 1929 haben Aktien in der Baisse um durchschnittlich 35% nachgegeben. Die Dauer der Baissen war höchst unterschiedlich, doch waren sie im Schnitt nach etwa 200 Handelstagen oder elf Monaten vorbei. Die aktuelle Baisse dauerte Ende 2022 schon 251 Handelstage, doch bleibt unklar, ob der Tiefpunkt erreicht ist. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Baissen sind meist sehr viel kürzer als Haussen. Seit 1929 befand sich der Markt an 78% aller Handelstage in der Hausse.³

Fallende Unternehmensgewinne: In allen Baissen sind die Unternehmensgewinne stark eingebrochen, seit 1926 im Schnitt um 33%, weil Verbraucher und Unternehmen weniger ausgaben.⁴ Der Konsum ist für die US-Wirtschaft mit 70% BIP-Anteil sehr wichtig. 2022 haben sich die Unternehmensgewinne aber recht gut gehalten; sie fielen lediglich einstellig. Dabei spielte allerdings der starke Gewinnanstieg im Energiesektor eine wichtige Rolle.

Marktstimmung: Die Marktstimmung ist nicht leicht zu fassen. Ein guter Anhaltspunkt kann der Preis sein, den Investoren für Aktien zu zahlen bereit sind, vor allem bei Extremen. So führten die spekulativen Übertreibungen im 1. Quartal 2021 zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 34, bei einem Langfristdurchschnitt von etwa 19. Auf dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise 2009 war die Marktstimmung hingegen außerordentlich schlecht. Für Aktien zahlten die Anleger damals lediglich das 11-fache der Gewinne. 2022 schwankten die Bewertungen zwischen 26 zu Jahresbeginn und 17 Mitte Oktober. Am Jahresende waren es 18,7.⁵

Probleme am Credit-Markt: Oft gehen Baissen mit Problemen am Credit-Markt einher, da die Umsätze nachgeben, die Gewinnmargen schrumpfen und das Insolvenzrisiko mancher Unternehmen steigt. Wesentliche Parameter sind die Unternehmensfinanzen vor dem Kurseinbruch, die Dauer der Baisse und die Fähigkeit der Unternehmen, neue Kredite aufzunehmen oder vorhandene zu refinanzieren. Die Spreads, die nur knapp über den Allzeithochs lagen, haben sich in letzter Zeit zwar etwas ausgeweitet, doch kam es am Credit-Markt bislang noch nicht zu größeren Problemen.

Notenbanken: Für die Notenbanken zählen Wachstum, Inflation und Beschäftigung. Sie haben aber noch eine andere Aufgabe: Bei Marktturbulenzen sollen sie für Stabilität sorgen. In der Baisse wird die amerikanische Geldpolitik in der Regel lockerer; die Zinsen werden gesenkt und die Geldmenge erhöht. Anders als in früheren Baissen muss die Fed diesmal auch gegen eine höhere Teuerung kämpfen, was es ihr nicht leichter macht. Die Eindämmung der Inflation ist so wichtig, dass sie die Geldpolitik vielleicht auch dann weiter strafft, wenn sie damit eine Rezession auslöst.

Bärenmarktrallyes: Eines der interessantesten Phänomene ist eine Bärenmarktrallye – ein plötzlicher, schneller Kursanstieg, bei dem sich die Anleger unsicher sind, ob der Tiefpunkt überwunden ist oder sie nur eine Scheinerholung erleben. Der langsame, aber nicht enden wollende Kursverfall von 2000 bis 2002 brachte drei Verlustjahre in Folge, in denen Aktien um insgesamt 49% nachgaben. In diese Zeit fielen aber auch drei Bärenmarktrallyes mit jeweils mindestens 19% Kursanstieg. In der aktuellen Baisse sind die Kurse dreimal um mindestens 11% gestiegen.

Am Ende gewinnen die Bullen
Für unvorbereitete Anleger kann eine Baisse wirklich hart sein. Aber sie gehören zum Markt nun einmal dazu und helfen bei der Preisfindung, dämpfen den Herdentrieb und ermutigen Anleger, sich auf die Fundamentaldaten der Unternehmen zu konzentrieren. Sie erschweren schwachen Unternehmen den Zugang zu Kapital, weil Kredite knapper werden und die Börsen weniger Mittel zur Verfügung stellen. Baissen dämpfen die Marktstimmung, stellen die Risikobereitschaft auf die Probe und zwingen zu einer Neubewertung der Portfoliopositionen. Sie sorgen für niedrigere Bewertungen, sodass sich interessante Einstiegschancen ergeben und eine neue Hausse möglich wird. Baissen sind eine Chance, günstig in Qualitätsunternehmen zu investieren, besonders für aktive Manager, die durch Einzelwertauswahl Alpha erzielen wollen.

Bärenmärkte sollten also keine Angst machen, zumindest für gut vorbereitete Investoren. Folgende Strategien sollten langfristige Investoren umsetzen:
•        Investiert bleiben: Die Verluste in der Baisse sind oft nur schwer zu akzeptieren. Als langfristiger Investor sollte man sich daher bewusst machen, dass Aktien auf Dauer steigen. Von einem langfristigen Anlagehorizont kann ein Portfolio nur profitieren.
•        Mehr investieren: In der Baisse lohnen sich oft Neuinvestitionen, mit denen man von niedrigeren Kursen profitiert. Vor allem Pensionspläne kaufen in der Baisse oft überdurchschnittlich viele Aktien. Wer in regelmäßigen Abständen frei von Emotionen feste Beträge investiert, profitiert vom Cost-Averaging-Effekt. So kann man Baissen nutzen, unabhängig von ihrer Dauer und Intensität.
•        Portfolio anpassen: In der Erholungsphase kann es sich auszahlen, sein Portfolio regelmäßig anzupassen. Verluste werden durch Gewinne an anderer Stelle ausgeglichen. Außerdem sorgen solche Anpassungen dafür, dass das Risikoprofil des Portfolios zu den langfristigen Anlagezielen und der Risikobereitschaft des Anlegers passt.

¹ FactSet, S&P 500. Tagesdaten vom 3. Januar 2022 bis zum 30. Dezember 2022. Am 12. Oktober 2022 lag der Markt seit Jahresbeginn um 25% im Minus. Kursindex in US-Dollar.
² FactSet, S&P 500. Tagesdaten vom 11. Januar 1973 bis zum 3. Oktober 1974. Kursindex in US-Dollar.
³ FactSet, S&P 500. Tagesdaten vom 1.
Januar 1929 bis zum 30. Dezember 2022. Kursindex in US-Dollar.
⁴ FactSet, Robert Shiller, Yale Department of Economics.
Monatsdaten vom 31. Januar 1929 bis zum 30. September 2022 (aktuellste verfügbare Daten).
⁵ FactSet, S&P 500. Tagesdaten vom 30. November 2002 bis zum 30. Dezember 2022, auf Basis der Gewinne der letzten zwölf Monate.


---
*) Jonathan W. Hubbard, CFA, Managing Director Investment Solutions Group bei MFS Investment Management