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Kommentar: Inverse Renditekurve - kein zwingendes Signal für eine Rezession

Die Betrachtung der Renditekurve kann zu der Schlussfolgerung führen, dass ein Abschwung bevorsteht – aber nicht notwendigerweise. Gleichzeitig unterstreicht die Analyse die Bedeutung von Flexibilität in der Portfolioallokation.

Marc Seidner

Gegen Ende eines jeden Konjunkturzyklus richten die Anleger ihre Aufmerksamkeit auf die Renditekurve der US-Staatsanleihen. Diese gilt am Anleihemarkt als Vorbote der Konjunkturaussichten. Die Kurve selbst ist ein Diagramm, das die Beziehung zwischen den Renditen von Staatsanleihen und der verbleibenden Zeit bis zur Fälligkeit darstellt. In der Regel steigt sie von links nach rechts an, was darauf hindeutet, dass Anleger für den Besitz längerfristiger Anleihen eine höhere Vergütung verlangen. Hierdurch wird für gewöhnlich das Risiko ausgeglichen, dass sich Wirtschaftswachstum oder die Inflation über die Laufzeit hinweg beschleunigen könnten.

Eine Umkehr der Renditekurven – also eine Situation, in der die Renditen kürzerer Laufzeiten über denen längerer Laufzeiten liegen – hat sich in der Vergangenheit als Indikator für Rezessionen erwiesen. In letzter Zeit traten Umkehrungen zwischen verschiedenen Punkten der Kurve auf, was die Anleger zu der Frage veranlasst, ob dies Vorzeichen einer Rezession sind.

Im aktuellen Konjunkturzyklus, der im Jahr 2020 einen plötzlichen Abschwung und einen raschen Aufschwung erlebte und durch beispiellose Stimulierungsmaßnahmen der Zentralbanken angeheizt wurde, ist das eine komplizierte Frage. Die Federal Reserve (Fed) begann mit dem Ziel der Inflationsbekämpfung im März 2022 mit der ersten von mehreren erwarteten Zinserhöhungen. Es wird erwartet, dass die Fed noch in diesem Jahr mit der Rückführung ihres Anleihekaufprogramms beginnen wird.

Eine Umkehrung der Renditekurve sollte nicht einfach so abgetan werden, nur weil sich makroökonomischen Gegebenheiten verändert haben. Allerdings könnte sich das aktuelle Warnsignal als weniger eindeutig erweisen, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Eine Abflachung der Kurve tritt häufig zu einem späteren Zeitpunkt in einem Konjunkturzyklus auf, wenn die Zentralbanken die kurzfristigen Leitzinsen anheben, um Wachstum und Inflation zu dämpfen. Die kurzfristigen Renditen können steigen, um diese Anhebungen widerzuspiegeln, während die langfristigen Renditen sinken können, wenn die Erwartungen für Inflation und Wachstum zurückgehen. Dieses Mal trat die Abflachung schnell und deutlich vor der ersten Zinserhöhung der Fed ein. Die Inflation könnte weiterhin über den Erwartungen liegen, was die Fed zu einer weiteren Beschleunigung ihrer Zinserhöhungen anspornen könnte.

Längerfristige Indikatoren wie etwa die Betrachtung der Differenz der Renditen der zwei- und zehnjährigen sowie der fünf- und dreißigjährigen Staatsanleihen können unserer Meinung nach wertvoller sein als der weithin beachtete Vergleich der Drei-Monats- und Zehn-Jahres-Renditen. Der Grund dafür ist, dass die Fed ihre Zinserhöhungsprognosen bereits in ihrer „Dot Plot“-Prognose dargelegt hat. Die Betrachtung der Marktzinsen über einen kurzfristigen Horizont kann sich als weniger aufschlussreich erweisen als die Konzentration auf die Absichtserklärungen Fed.

Die wichtigste Kurve, die es zu verfolgen gilt, ist wahrscheinlich die Forward-Kurve, ein marktbasiertes Maß, das sowohl die aktuellen Spot-Zinsen als auch die impliziten Zinssätze in der Zukunft berücksichtigt. Um beispielsweise eine in einem Jahr fällige Anleihe mit einer in zwei Jahren fälligen zu vergleichen, berücksichtigt die Terminkurve den einjährigen Zinssatz, der für ein Jahr in der Zukunft erwartet wird.

Da die Terminkurve alle bekannten Informationen berücksichtigt, die für die Differenzierung zwischen den einzelnen Punkten auf der Renditekurve erforderlich sind, kann sie relevanter sein als eine Kassakurve, die die erwarteten Änderungen der kurzfristigen Zinssätze nicht berücksichtigt. Die Forward-Kurve ist aktuell stark invertiert.

Bedeutet dies eine bevorstehende Rezession? Nein, aber es besteht ein Risiko, das man im Auge behalten sollte. Die Weltwirtschaft und die politischen Entscheidungsträger sind mit einem Angebotsschock konfrontiert, der sich negativ auf das Wachstum auswirkt und die Inflation tendenziell weiter in die Höhe treiben wird. Die meisten Zentralbanken scheinen entschlossen zu sein, die Inflation zu bekämpfen, anstatt das Wachstum zu fördern. Dies erhöht das Risiko einer harten Landung zu einem späteren Zeitpunkt.

Wir prognostizieren ein über dem Trend liegendes Wachstum und eine allmähliche Abschwächung des Inflationsdrucks, der durch höhere Spitzenwerte in den Industrieländern entstanden ist. Allerdings haben die Risiken einer höheren Inflation und eines geringeren Wachstums zugenommen, ebenso wie das Risiko einer Rezession im Jahr 2023.

Die aktuelle Entwicklung der Renditekurve verdeutlicht, warum Anleger flexibel sein müssen. Die einfache Anleihemathematik, bei der Preis, Rendite und Reinvestitionsrate eine Rolle spielen, legt nahe, dass Anleger beim Kauf langlaufender Staatsanleihen heute nicht genug zusätzliche Rendite erzielen. Auf dem aktuellen Niveau bietet ein zweijähriges Staatspapier nicht nur eine ähnliche Rendite wie eine 30-jährige Anleihe, sondern gleichzeitig auch die Möglichkeit, in zwei Jahren eine neue Investition-Entscheidung zu treffen, anstatt weitere 28 Jahre zu warten.

Vor diesem Hintergrund sind wir in Bezug auf die Duration, also das Zinsrisiko, leicht untergewichtet, wobei der größte Teil dieser Untergewichtung auf das lange Ende der Kurve entfällt. Sollte die Inflation anhalten, könnten 30-jährige Anleihen am stärksten betroffen sein. Da die Fed vom Ankauf von Anleihen zum Verkauf von Anleihen übergeht, könnten einige Faktoren, die die Laufzeitprämie oder die Differenz zwischen lang- und kurzfristigen Renditen unterdrückt haben, zurückgehen. Wir sehen potenzielle Chancen bei kürzeren Laufzeiten von zwei bis fünf Jahren.

Wir befinden uns nun in der Spätphase des Konjunkturzyklus, in der die zugrunde liegende Wachstumsdynamik zwar immer noch stark, aber zunehmend anfällig für Abwärtsrisiken ist. Wir werden dazu tendieren, unser Pulver trocken zu halten, um von Marktverwerfungen zu profitieren, sobald sie auftreten.

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*) Marc Seidner, CIO für nicht-traditionelle Strategien, PIMCO