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Kommentar: In Aktien zu investieren ist wie nach Perlen zu tauchen

Trotz der gegenwärtigen Unsicherheit an den Aktienmärkten ist das Potential ausgewählter Titel intakt. Zu den Geheimnissen erfolgreichen Anlegens gehören Erfahrung, gute Nerven und gesunder Menschenverstand.

Rajiv Jain

Nach der jüngsten heftigen Korrektur sind viele Unternehmen günstiger bewertet als noch vor zwei Monaten. Die erwarteten Gewinnrevisionen, insbesondere für zyklische und stark fremdfinanzierte Unternehmen, sind in den Preisen bereits zum großen Teil enthalten. Die aktuelle Verkaufswelle hat mehr mit einer Abkehr von Aktien als Anlagekategorie als mit einer sorgfältigen Neubeurteilung zu tun.

Der Markt wurde vom schwachen Wirtschaftswachstum überrascht. Die Herabstufung der US-Staatsanleihen durch S&P machte Schlagzeilen, doch das Vertrauen litt viel stärker unter der massiven Korrektur des Wirtschaftswachstums in den USA im ersten Quartal. Die kommenden Jahre werden von einem langsamen Wachstum geprägt sein. Die Staats- und Konsumentenbilanzen müssen neu ausgerichtet werden und die Auslagerung von Fertigungstätigkeiten in die Schwellenländer wird sich verlangsamen.

Am meisten Sorgen bereiten derzeit die Probleme der europäischen Banken und der südeuropäischen Konsumenten. Es gilt auch, die Entwicklung in China genau zu verfolgen. Das Land ist mittlerweile ein so bedeutender Nachfrager von infrastruktur-bezogenen Rohstoffen und Maschinen sowie Konsumartikeln, so dass ein Fehltritt gravierende Auswirkungen hätte. Eine zentrale Frage ist, ob das Bankensystem weiterhin den Ausbau mit solch hoher Geschwindigkeit weiterführen kann. Zur Illustration: Der durchschnittliche Zementverbrauch lag im vergangenen Jahr in China bei 1.400 Kilogramm pro Person. Dies entspricht dem fünffachen weltweiten Durchschnitt und liegt über den 1.300 Kilogramm in Spanien zum Höhepunkt des Immobilienbooms im Jahr 2007.

An Favoriten durch Höhen und Tiefen festhalten
Firmen, die interessant sind, verfügen im Idealfall über folgende Qualitäten: ein bedeutendes Geschäftsmodell, ein erfahrenes Management sowie eine starke Bilanz. Von enormer Wichtigkeit ist auch eine Geschäftssituation, die es erlaubt, Gewinne wieder im Unternehmen zu verwenden, um auf Jahre hinaus Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen. Dies sind hohe Hürden, und es ist harte Arbeit, solche Perlen zu finden. Das Erfolgsgeheimnis ist, dass man an einer Aktie über Höhen und Tiefen festhält, wenn man von ihr überzeugt ist. Aber ebenso wichtig ist es auch, rechtzeitig zu erkennen, dass man die Überzeugung verloren hat.

Vontobel versucht Unternehmen zu kaufen, die auch makroökonomischen Gegenwind aushalten können. Dabei können Marktkorrekturen exzellente Kaufgelegenheiten bieten. Aktuell findet der Ausverkauf auf breiter Front statt, mit Ausreißern in wenigen Sektoren, wie zum Beispiel europäischen Banken. Es gibt aber keine signifikante Bewertungslücke zwischen unserem Portfolio von "Qualitätsaktien" und möglichen Alternativen.

Vontobel verfolgt weder einen ausgesprochenen "Value", noch einen "Growth"-Ansatz, sondern legt den Schwerpunkt auf Qualität. Dies kommt auch in unserem Motto "High-quality growth at sensible prices" zum Ausdruck. Wir haben eine relativ beschränkte Anzahl an sorgfältig ausgewählten Titeln im Portfolio, sind aber keine Schnäppchenjäger. Investiert wird nur, wenn die langfristigen Wachstumsaussichten eines Unternehmens gut sind. Wir sind bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen, weil wir glauben, dass Märkte stabiles Wachstum unterbewerten. Investoren fokussieren sich häufig auf kurzfristige Bewertungen wie beispielsweise das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Dies kann man mit einem Rennen über zehn Kilometer vergleichen, in dem man versucht, bereits nach 500 Metern den Gewinner zu ermitteln.

Die Deutsche Bank beispielsweise ist derzeit statistisch gesehen günstig bewertet, aber wo steht das Unternehmen wirklich? Wenn man "Haircuts" bei Staatsanleihen simuliert, wären verschiedene große Banken ohne substanzielle, verwässernde Eigenkapitalinjektionen technisch bankrott. Wie bewertet man so etwas? Aus traditioneller Value-Perspektive gibt es zurzeit nicht viele Gelegenheiten. Die Akquisition des Anteils an der Bank of America durch Warren Buffet ist ein Weg, der nur wenigen Investoren offen steht.

Am Ende des Tages geht es um das, was die Geschäftsführung aus einem Unternehmen macht. Es gibt fabelhafte Unternehmen in den unterschiedlichsten Ecken der Welt: Der mexikanische Aktienindex zum Beispiel ist in den letzten fünf Jahren um durchschnittlich zehn Prozent pro Jahr gestiegen, trotz eines BIP-Wachstums von weniger als zwei Prozent. In China lag das BIP-Wachstum bei elf Prozent, der Shanghai Composite stieg durchschnittlich jedoch nur um 0,8% pro Jahr.

Fokus auf Schwellenländer
Brasilien ist einer der wenigen Märkte, wo sich Investitionen nach dem jüngsten Ausverkauf wieder lohnen. Indien bietet aber auch attraktive Wachstumsaussichten und ein einzigartiges Wirtschaftsmodell. Die Wachstumstreiber sind hier nicht primär Exporte oder Investitionen, sondern die Binnenwirtschaft.

Um einen Blick auf die Industriestaaten zu werfen: Die USA sind ein großer und dynamischer Markt, in dem Konsumausgaben eine überragende Rolle spielen. Viele US-Unternehmen sind weltweit agierende Schwergewichte, die mit hohen Erträgen auf dem investierten Kapital brillieren. Die Preise sind vernünftig, und viele der Kandidaten bieten neben guten Wachstumsaussichten eine Dividendenrendite von zwei bis vier Prozent.

Was Europa angeht, so gibt es auf dem alten Kontinent viele führende Unternehmen, die wahre Exportmeister mit starken Marken sind. Auch profitieren Unternehmen aus Staaten mit kolonialer Vergangenheit von historisch gewachsenen Absatzkanälen. Momentan muss sich Europa mit aufgeschobenen Problemen befassen. Das Wachstum im Norden Europas dürfte sich abschwächen aber positiv bleiben. In Südeuropa werden die Konsumenten bis auf weiteres leiden.

Das Wachstum in den Industriestaaten wird nicht mehr wie in den letzten 20 Jahren verlaufen. Multinationale Unternehmen wie Nestlé, British American Tabacco (BAT), und Reckitt Benckiser werden in Industriestaaten mit neuen Produkten und in Schwellenländern mit Volumenwachstum erfolgreich sein. Staaten mit einer vorsichtigen und erfolgreichen Wirtschaftspolitik wie Singapur und Brasilien dürften an Statur gewinnen.

Fazit: Wirtschaft wird schwankungsanfälliger
Die Wirtschaft wird schwankungsanfälliger und es wird zunehmend schwieriger, die Entwicklung von Unternehmensgewinnen abzuschätzen. Dies sollte aber keine Sorgen bereiten – im Gegenteil: Diese Entwicklung dürfte mehr gesunden Menschenverstand in die Märkte bringen.


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*) Rajiv Jain ist Portfolio Manager des Vontobel Fund – Emerging Markets Equity bei der Bank Vontobel.