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Kommentar: 2,6 Billionen Dollar schwer – der stille Wachstumsmarkt jenseits von Tech und KI

Während sich Anleger an den Finanzmärkten auf Themen wie künstliche Intelligenz, Halbleiter oder grüne Energie konzentrieren, wächst im Hintergrund ein Segment mit enormem Potenzial, das bislang kaum Beachtung findet: die globale Wasser- und Abfallwirtschaft. Dabei handelt es sich nicht nur um einen ökologisch und gesellschaftlich hochrelevanten Bereich – auch ökonomisch bietet er langfristige Chancen. Das investierbare Universum umfasst derzeit rund 360 börsennotierte Unternehmen mit einer kombinierten Marktkapitalisierung von etwa 2,6 Billionen US-Dollar. Noch Anfang der 1990er-Jahre zählte man gerade einmal 30 bis 40 gelistete Unternehmen in diesem Bereich. Heute liegt die durchschnittliche Marktkapitalisierung bei rund sieben Milliarden US-Dollar, Tendenz steigend.

Saurabh Sharma

Fünf strukturelle Faktoren treiben dieses Marktsegment nachhaltig an. Der wichtigste ist die zunehmende Urbanisierung. Seit 2011 lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 wird ein Anteil von rund 70% erwartet. Dies führt zu einem stark steigenden Wasserverbrauch und einem exponentiellen Anstieg des Abfallaufkommens. Verstärkt wird dieser Trend durch den globalen Konsum. Vielen ist nicht bewusst, wie viel Wasser in Alltagsprodukten steckt. Eine Tasse Kaffee benötigt im Anbau rund 130 Liter Wasser, ein einziges Baumwoll-T-Shirt 2.500 Liter. Auch technologische Produkte verlangen nach extrem aufwändigen Prozessen. So braucht die Produktion eines einzigen Mikrochips bis zu 30 Liter ultrareines Wasser – sogenannte „Ultra Pure Water“ (UPW), das von sämtlichen Partikeln, Keimen und Mineralien befreit ist.

Auch der Druck auf bestehende Infrastrukturen wächst. In vielen Schwellenländern fehlt die grundlegende Wasser- und Abfallversorgung nach wie vor. In Industriestaaten wiederum ist ein Großteil der Netze marode und überaltert. Allein in den Vereinigten Staaten besteht laut Umweltbehörde EPA ein Investitionsbedarf von über 740 Mrd. US-Dollar in den kommenden zwei Jahrzehnten. Hinzu kommt die wachsende regulatorische Komplexität. Von strengeren Recyclingquoten bis hin zu Umweltauflagen bei Chemikalien: Umweltrecht verändert weltweit das Geschäftsmodell von Entsorgern und Wassertechnikfirmen – und eröffnet zugleich neue Märkte.

Ein besonders brisantes Thema ist die Ressourcenknappheit. Zwar bestehen etwa 70% der Erdoberfläche aus Wasser, doch nur 2,5% davon sind trinkbar. Weniger als 1,5% des globalen Wassers sind tatsächlich für den Menschen zugänglich – ein Anteil, der sich durch Klimawandel und Verschmutzung weiter verringert. Ähnliche Knappheiten zeigen sich auf der Abfallseite: Neue Deponien lassen sich kaum noch genehmigen, während der Flächenbedarf für Städte und Landwirtschaft steigt. Deshalb setzt sich in Industrie und Politik zunehmend die Kreislaufwirtschaft durch – mit Recycling als zentralem Baustein.

Schlüsselmarkt Halbleiterproduktion
Besonders dynamisch entwickelt sich der industrielle Wassermarkt, insbesondere im Umfeld der Halbleiterproduktion. Der rasant wachsende Bedarf an Rechenzentren, getrieben durch KI-Modelle und Cloud-Infrastruktur, sorgt für eine steigende Nachfrage nach Anlagen zur Wasseraufbereitung. Auf Fachmessen wie der Aquatech in Amsterdam, wo jährlich über 900 Unternehmen vertreten sind, stehen Lösungen zum Recycling industrieller Abwässer und zur Herstellung von UPW im Zentrum. Anbieter wie Xylem, Organo oder Kurita Water Industries positionieren sich hier als Schlüsselzulieferer der nächsten Technologiewelle.

Auch die Entsorgungsseite zeigt sich innovativ. Unternehmen wie Republic Services oder Veolia entwickeln ganzheitliche Systeme, die nicht nur Müll einsammeln und trennen, sondern auch Energie daraus gewinnen – etwa durch Waste-to-Energy-Anlagen oder Biogasanlagen aus organischen Abfällen. Besonders vielversprechend sind zudem Nischen wie die medizinische Entsorgung. Die zunehmende Komplexität im Gesundheitswesen verlangt nach spezialisierten Unternehmen, die Krankenhausabfälle, Laborchemikalien oder pharmazeutische Rückstände sicher entsorgen. Marktführer wie Stericycle (jetzt Teil von Waste Management Inc) profitieren von dieser wachsenden Nachfrage.

Ein Blick auf die langfristige Entwicklung zeigt, dass Anleger mit dem Sektor bislang gut gefahren sind. So hat Republic Services in den letzten zehn Jahren eine durchschnittliche Jahresrendite von rund 21% erzielt – deutlich mehr als der S&P 500. Das Unternehmen profitiert von seiner Position als vollintegrierter Entsorger in den USA und bietet stabile Margen, steigende Dividenden sowie kontinuierliches organisches und akquisitorisches Wachstum. Ähnlich gut entwickelt sich Waste Management Inc., der größte Entsorger Nordamerikas. Auch hier zeigt die Aktie eine deutliche Outperformance gegenüber dem breiten Markt, bei deutlich geringerer Volatilität.

Auf der Wasserseite überzeugt insbesondere American Water Works, der größte börsennotierte Wasserversorger in den Vereinigten Staaten. Mit stabilen Erträgen, langfristigen Verträgen und einem hohen Anteil regulierter Umsätze ist das Unternehmen ein klassischer Defensivwert. Die Aktie legte über zehn Jahre im Schnitt um rund 13% pro Jahr zu, das Beta liegt unter 0,7. In Europa ist Veolia besonders stark aufgestellt – mit über 220.000 Mitarbeitern, einem Jahresumsatz von über 45 Mrd. Euro und einem Geschäftsmodell, das Wasser, Abfall und Energie verbindet.

Hinzu kommen Spezialisten wie Kurita Water Industries in Japan, die auf ultrareines Wasser für die Chipproduktion spezialisiert sind. Auch Pentair, ein US-Hersteller von Wasserfiltern und Heizsystemen, profitiert vom Trend zur Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung.

Stabile Branche unabhängig von Zöllen & Politik
Bemerkenswert ist auch die politische Stabilität der Branche. Wasser- und Abfallversorgung gelten weltweit als überparteiliche Themen. Selbst in den USA, wo politische Polarisierung allgegenwärtig ist, äußerte Donald Trump, dass jeder Zugang zu sauberem Wasser und Luft haben müsse. Während in Bereichen wie Energie oder Klima über Technologien und Prioritäten gestritten wird, ist bei Wasser und Abfallversorgung Einigkeit: Diese Leistungen sind nicht verhandelbar. Auch protektionistische Maßnahmen wie Strafzölle treffen die Branche kaum. Viele Unternehmen operieren lokal und sind damit kaum globalen Handelsrisiken ausgesetzt. Selbst bei international agierenden Herstellern liegt der zollrelevante Umsatzanteil typischerweise unter 5%.

Aus Investorensicht zeigt sich die Branche solide. Viele Unternehmen liefern stabile Margen, kontinuierliche Ausschüttungen und ein wachsendes Geschäft. Gleichzeitig erfüllen sie zunehmend strenge ESG-Kriterien: Thematic Purity – also ein Mindestanteil von 70% themenbezogener Umsätze – gilt in vielen Fonds als Pflicht. Unternehmen, die diese Schwelle unterschreiten, werden konsequent ausgeschlossen. So bleibt der Fokus auf jene Titel beschränkt, die tatsächlich zur Lösung beitragen – nicht zur Problemerzeugung.

Insgesamt zeigt sich: Die Wasser- und Abfallwirtschaft ist kein modischer Hype, sondern eine infrastrukturelle Grundsäule moderner Gesellschaften. Sie verbindet langfristiges Wachstum mit politischer Unterstützung und ökologischer Relevanz. In einem volatilen Marktumfeld bietet sie Sicherheit und stetige Erträge – für viele Investoren vielleicht genau das, was derzeit fehlt.

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*) Saurabh Sharma, Portfoliomanager bei J O Hambro