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Gastbeitrag: Solide Aussichten für die aufstrebenden Volkswirtschaften in Europa

Nach einem schwachen Jahr 2023 dürfte das Wachstum in Mitteleuropa in den Jahren 2024 und 2025 wieder anziehen. Die Desinflation dürfte die Bilanzen der Verbraucher verbessern und zu einer Lockerung der Geldpolitik führen. In Polen wird zwar erst später mit einer Straffung der Finanzpolitik gerechnet, jedoch erwartet man Mittelfreisetzungen von der EU. Die Türkei hat sich in der Zwischenzeit für einen schrittweisen Übergang zu einer orthodoxen Politik entschieden, um die angehäuften wirtschaftlichen Ungleichgewichte vor den Kommunalwahlen im März 2024 zu entschärfen. Eine Entscheidung, die Risiken birgt. Denn das Land dürfte bei seinem Bedarf an externen Finanzierungen somit weiterhin von Portfolioströmen abhängig sein.

Irina Topa-Serry

Mitteleuropa: Abkehr vom problembehafteten Deutschland?
Die Volkswirtschaften in Mitteleuropa (CE) werden weiterhin mit einer schwachen Auslandsnachfrage zu kämpfen haben – insbesondere aus Deutschland, wo 20-30% der Exporte abgesetzt werden. Allein die Autoindustrie macht 25% der gesamten Exporte der Tschechische Republik, 10% der Industrieproduktion Polens und 14% des BIP der Slowakei aus. Und die Branche wird sich umstrukturieren müssen – weg von der aktuellen Verbrenner-Fließbandproduktion der europäischen Automobilhersteller. Bessere Perspektiven sehen wir in Ungarn und Polen. Beide Länder fokussieren sich auf die Produktion von Batterien für Elektrofahrzeuge, was sich schon positiv auf ihre Exportaktivitäten auswirkt. Zudem sollen neue Produktionslinien noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden. Trotz niedriger Aktivität der wichtigsten Handelspartner dürften diese die Produktion und Exporte weiter stützen.

Auch stützt die verbesserte Kaufkraft der Verbraucher das beschleunigte Wachstum Mitteleuropas. Starke Desinflation begünstigt ein positives Reallohnwachstum, während ausreichend vorhandene Ersparnisse den künftigen Konsum stimulieren könnten. Erste Anzeichen einer Trendwende bei den Einzelhandelsumsätzen sehen wir bereits in Polen. Ferner wurden die Wohnungsmärkte durch die straffe Geldpolitik in Mitleidenschaft gezogen. In Polen und Ungarn werden jedoch verschiedene Maßnahmen wie subventionierte oder gedeckelte Hypothekenzinsen sowie subventionierte Wohnungsbaudarlehen eine zuträgliche Wirkung haben.

In Ungarn und der Tschechischen Republik scheint eine Haushaltskonsolidierung offenkundig. In Rumänien und Polen hingegen besteht die Gefahr für Unregelmäßigkeiten. Denn in Rumänien stehen gleich vier Wahlen an und in Polen soll eine von der Opposition geführte Regierung gebildet werden, die während des Wahlkampfes mehrere, Staatsausgaben erfordernde Versprechen gegeben hat. Positiver zu bewerten ist die Absicht der zukünftigen polnischen Regierung, die eingefrorenen Mittel der Wiederaufbau- und Resilienzfazilität der Europäischen Union freizusetzen – beginnend mit den 25 Mrd. Euro RePowerEU-Zuschüssen und -darlehen, die gegen Ende 2024 genehmigt werden könnten. Im Gegensatz dazu konzentriert sich Ungarn darauf, die etwa 13 Mrd. Euro aus dem EU-Kohäsionsfonds zu erhalten. Jedoch muss das Land hierfür mehrere Meilensteine erreichen, um dem „Rechtsstaatsprinzip“ der EU zu entsprechen.

Die Zentralbanken in Polen und Ungarn haben bereits damit begonnen, die Zinssätze zu senken; die tschechische Zentralbank dürfte sich bald anschließen. Die Inflation hat sich besser entwickelt als erwartet, was sowohl auf den Rückgang volatiler Preisschocks als auch auf die schwache Konjunktur in diesem Jahr zurückzuführen ist. Sie dürfte in den nächsten Jahren mit deutlichen Anpassungen der Leitzinsen wieder auf oder in die Nähe der Zielwerte zurückkehren.

Der feine Ausgleichsakt der Türkei
Seit den Wahlen im Jahr 2023 hat die neue Regierung unter dem wiedergewählten Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit dem Ausgleich der in den letzten Jahren aufgelaufenen großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte begonnen – zunächst mit einer Reihe orthodoxer politischer Maßnahmen, darunter die Anhebung der Zinssätze auf 35% im Oktober, regulatorischen und quantitativen Straffungen sowie Steuererhöhungen. Die realen Zinssätze bleiben dennoch negativ, da die Kerninflation im Oktober 2023 bei rund 70% und die Inflationserwartungen für ein Jahr später bei 45% liegen. Die Fiskalpolitik dürfte auch neben den Ausgaben für den Wiederaufbau nach dem schweren Erdbeben zumindest bis zu den Kommunalwahlen im März 2024 stimulierend bleiben. Des Weiteren erwarten wir, dass die politischen Maßnahmen weiterhin eine schrittweise, aber nicht entscheidende Neuausrichtung fördern, was zu einer fortgesetzten Abwertung der Währung im betrachteten Zeitraum führen dürfte. Die Inflation dürfte Mitte 2024 ihren Höhepunkt erreichen. Sollte allerdings die Zentralbank die Zinsen übereilt senken, so könnte sich auch das Tempo der Desinflation ändern. Mit Blick auf das BIP-Wachstum 2024 sieht unsere Prognose eine Halbierung der vier Prozent aus dem Jahr 2023 vor. Das wird wahrscheinlich nicht ausreichen, um eine massive Verbesserung der Leistungsbilanz herbeizuführen, wie etwa 20218/2019. Das Problem ist hier, dass die Türkei dadurch bei der Deckung ihres Außenfinanzierungsbedarfs von der Volatilität des Ölpreises und dem Interesse ausländischer Investoren abhängig ist.

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*) Irina Topa-Serry, Senior Economist Macro Research, AXA Investment Managers