Dies ist die dritte Ausgabe unserer jährlichen Kapitalmarktprognosen (Capital Market Assumptions, CMA), mit denen wir unsere Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und unsere Prognose zu Trends auf den Kapitalmärkten für die nächsten 10 Jahre wiedergeben. Wir möchten damit Anleger dabei unterstützen, ihre Strategie im Hinblick auf einen strategischen Zeithorizont zu betrachten. Wir untersuchen das aktuelle wirtschaftliche Umfeld, das Preisniveau von Vermögenswerten und die Bewertungen am Markt, um Basisprognosen für Renditen, Volatilität und Korrelationen zu entwickeln.
Die Märkte beginnen sich nach zwei Jahren steigender Zinsen und anhaltender Inflation auf ein neues Paradigma einzustellen. In unseren aktualisierten Kapitalmarktprognosen äußern wir unsere Einschätzung, dass das Wachstum robust bleiben wird, die Bewertungen sich jedoch angesichts höherer Zinserwartungen normalisieren werden.
Denken wir nur an die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre. Weltweit erzielten Aktien jährliche Gesamtrenditen von fast 10%, bei US-Aktien waren es sogar mehr als 12%. Zu Beginn des Jahres 2025 war für den S&P 500 zum zweiten Mal hintereinander ein Gewinn von über 25% gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, und die Bewertungen erreichten das höchste Niveau seit der Dotcom-Blase. Darüber hinaus ist die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen so hoch wie zuletzt Anfang der 1990er Jahre. Aktuell deuten die Marktbedingungen jedoch auf eine Wende hin.
Wir glauben, dass die nächsten zehn Jahre von höheren (d. h. normaleren) Renditen, erhöhten konjunkturellen Schwankungen und geopolitischer Unsicherheit geprägt sein werden. Diese Gegenwinde könnten durch technologiegesteigerte Produktivitätsgewinne und wirtschaftliches Wachstum abgemildert werden – voraussichtlich angetrieben durch anhaltende Investitionen in Infrastruktur sowie Chancen, die sich aus veränderten Handelsmustern ergeben.
Unsere Prognose für die Zinsentwicklung basiert auf diesem globalen Wachstumsausblick in Kombination mit einer weiterhin über dem Ziel liegenden Inflation. Bedingt durch gestiegene Löhne, einen Trend zur Abkehr von der Globalisierung, geopolitische Spannungen und höhere Rohstoffpreise, dürfte die Inflation hartnäckig bleiben. Dies spiegelt sich in unserer Annahme einer Federal Funds Rate von 3,25% und eines „Fair Value“ bei der Rendite 10-jähriger Treasuries von etwa 4,5% wider.
Aus unserer Sicht spielen höhere Zinssätze über die Märkte hinweg eine wichtige Rolle für die Renditeerwartungen. Die historischen Muster zeigen, dass die anfänglichen Bewertungsniveaus die spätere Performance stark beeinflussen
Dementsprechend gehen wir davon aus, dass die Bewertungen von US-Aktien fallen, während Fixed-Income-Werte von höheren Anfangsrenditen profitieren. Reale Vermögenswerte scheinen nach einer Phase der Underperformance vergleichsweise angemessener bewertet zu sein und bieten unserer Ansicht nach Potenzial für deutlich höhere Renditen.
Wie bereits in den CMA der letzten beiden Jahre gehen wir weiterhin davon aus, dass breitere Diversifizierung bei der Portfoliokonstruktion zunehmend belohnt wird. Anleger tendieren dazu, immer sehr stark die jeweils aktuellen High-Performer in den Blick zu nehmen, wir dagegen nehmen eine langfristigere Perspektive ein.
Die Attraktivität der aktuellen Marktführer ist nachvollziehbar – insbesondere, da viele Anleger ihre Erfahrungen in einer Ära niedriger Zinsen, stabiler Inflation und durchgehend starker Aktienmärkte gemacht haben. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass die Zusammenstellung von Portfolios ausschließlich auf Basis vergangener Wertentwicklungen ein Rezept für unterdurchschnittliche Renditen und verpasste Chancen in sich wandelnden Märkten ist.
Makroökonomie
Wir erwarten ein Wachstum des realen US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von durchschnittlich 1,9% pro Jahr und ein Wachstum des globalen BIP von durchschnittlich 3,4% pro Jahr. Schwellenländer dürften in den kommenden Jahren weiterhin hinter den entwickelten Märkten außerhalb der USA zurückbleiben. Das globale Wirtschaftswachstum wird getragen von großen Schwellenländern, die weiterhin mit über 4% wachsen, entwickelten Märkten außerhalb der USA, die von neuen Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung profitieren, sowie den USA, wo Produktivitätsgewinne durch Künstliche Intelligenz und Deregulierung erwartet werden.
Fixed Income (festverzinsliche Wertpapiere)
Nach Ende einer aggressiven Zinserhöhungskampagne der US-Notenbank sind die Zinsen gegenüber ihrem Höchststand von 2024 wieder gesunken. Höhere Anfangsrenditen dürften in den nächsten zehn Jahren die Renditen auf festverzinsliche Anlagen stützen. Wir gehen derzeit davon aus, dass die jährlichen Renditen von U.S. Treasuries bei durchschnittlich 4,6% liegen werden, unsere vorherige Schätzung lag bei 3,9%.
Aktien
US-Aktien verbuchten das zweite Jahr in Folge eine Gesamtrendite von über 25%, da die Bewertungen auf Niveaus anstiegen, die es zuletzt um die Jahrtausendwende gegeben hatte. In Reaktion darauf haben wir unsere Renditeprognose über 10 Jahre für US-Aktien auf 5,8% reduziert.
Wir gehen davon aus, dass die Bewertungen im Laufe des Jahrzehnts sinken werden, wobei internationale Aktien aus Industrie- wie Schwellenländern eine Outperformance erzielen und damit beginnen werden, die bestehende Performance-Lücke zu schließen.
Real Assets
Die einzelnen Sachwerte-Kategorien werden entweder als neutral oder als attraktiv bewertet. Wir erwarten für US-amerikanische und globale REITs durchschnittliche Renditen von jeweils 7,8% bei verbesserten Immobilien-Fundamentaldaten und einem Umfeld mit höheren Zinsen. Für global gelistete Infrastrukturwerte prognostizieren wir eine Rendite von 7,6%.
Wir gehen davon aus, dass durch das globale Wirtschaftswachstum die Renditen bei natürlichen Ressourcen auf durchschnittlich 8,4% pro Jahr steigen werden. Die prognostizierte Rendite bei Rohstoffen beträgt 5,9%.
In der folgenden Analyse werden diese Renditeerwartungen und die wesentlichen Annahmen, die ihnen zugrunde legen, im Detail beleuchtet.
Das höhere Ausgangsniveau bei den Zinssätzen schafft eine starke Basis für die Renditen festverzinslicher Wertpapiere. Obwohl wir davon ausgehen, dass die neutrale Fed-Funds-Rate bei 3,25 ß% liegen wird, rechnen wir im nächsten Jahrzehnt mit Renditen von 4,6% für Treasuries, was in etwa dem Niveau den Anfangsrenditen entspricht.
Ein wirtschaftsfreundliches politisches Umfeld und allgemein gute Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen einen attraktiven Einstiegspunkt für Unternehmensanleihen. Wir prognostizieren für das kommende Jahrzehnt für Investment-Grade-Unternehmensanleihen Renditen von durchschnittlich 5,1% pro Jahr, bei High-Yield-Titel dürften es durchschnittlich 6,1% sein. Dies sind leicht höhere Prognosen als im letzten Jahr, was ebenfalls auf die derzeit attraktiveren Renditen zurückzuführen ist. Angesichts der grundsätzlich nicht linearen Spreadentwicklung und des niedrigen Ausgangsniveaus sind wir der Ansicht, dass sich die Spreads im Laufe der nächsten zehn Jahre zeitweise ausweiten könnten und damit einen Anstieg des Ausfallrisikos widerspiegeln. Wir glauben aber auch, dass der Fair-Value-Spread während dieses gesamten Zyklus nicht allzu weit vom aktuellen Niveau entfernt liegen wird.
Aufgrund engerer Kreditspreads und abgezinster Bewertungen verzeichneten Preferred Securities im letzten Jahr die beste Entwicklung unter den festverzinslichen Anlagen. Mit Blick auf die Zukunft sind diese weiterhin gut positioniert und bieten im Investment-Grade-Bereich attraktive Renditen von 6-8%. Angesichts der Verengung der Spreads im letzten Jahr reduzieren wir unseren langfristigen Renditeausblick für Preferred Securities von 6,4% auf 6,1%. Vor dem Hintergrund historisch enger Kreditspreads bieten starke Fundamentaldaten im Finanzsektor (insbesondere die Eigenkapitalausstattung auf Rekordniveau und soliden Erträge der Banken) ein stabiles Fundament.
Die globalen Aktienrenditen dürften sich in den nächsten zehn Jahren angleichen, wobei Nicht-US-Aktien US-Titel übertreffen. In den USA dürfte starkes nominales Wachstum den Gesamtumsatz erhöhen, wobei sich Margendruck negativ auf die Gewinne auswirken könnte. Noch wichtiger ist jedoch, dass eine Auswertung von KGV-Multiplikatoren auf moderatere Renditen von jährlich 5,8% hindeutet, was gegenüber den 12,5% im letzten Jahrzehnt einen deutlichen Rückgang bedeuten würde. Anleger sollten davon ausgehen, dass die gesamte realisierte Gesamtrendite auf Ertragswachstum und Dividendenrendite entfällt.
Internationale entwickelte Märkte bieten eine andere Ausgangslage. Zwar stehen sie vor Herausforderungen wie schrumpfenden Erwerbsbevölkerungen und geringerer Produktivität, doch ihre höheren Dividendenrenditen und attraktiveren Bewertungen verschaffen ihnen das Potenzial, US-Aktien zu übertreffen – eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber ihrer historischen Underperformance. Wir erwarten, dass Aktien aus entwickelten Märkten außerhalb der USA in den nächsten zehn Jahren ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 7,0% erzielen könnten.
In den kommenden Jahren werden sich Schwellenländer voraussichtlich weiterhin schwächer entwickeln als entwickelte Märkte außerhalb der USA. Trotz eines stärkeren BIP- und Gewinnwachstums werden eine niedrigere Dividendenrendite und moderate Verwässerungseffekte bei Aktien die zukünftigen Renditen wahrscheinlich belasten. Dennoch gehen wir davon aus, dass Schwellenländer im kommenden Jahrzehnt mit einer durchschnittlichen Jahresrendite von 6,3% ihre Performancelücke zu US-Aktien schließen werden – allerdings ist der Hauptgrund dafür der langsamere Anstieg der US-Marktrenditen.
Wie bereits erwähnt erwarten wir ein wirtschaftliches Umfeld mit erhöhter Makrovolatilität und erhöhter Inflation. Diese Faktoren (insbesondere diejenigen, die zu einer höheren Inflation beitragen) dürften die Erträge von Sachwerten langfristig stützen.
Mit Blick auf die verschiedenen Kategorien realer Vermögenswerte erwarten wir Chancen, die sich aus Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage ergeben - insbesondere in Märkten, in denen strukturelle Unterinvestition auf eine beschleunigte Nachfrage infolge von Bevölkerungswachstum, Energiewende und technologischem Fortschritt treffen. Auch ohne höhere Bewertungskennzahlen erscheinen die aktuellen Bewertungsniveaus angemessen. Obwohl es größere Unterschiede zwischen einzelnen Sachwerte- Kategorien geben dürfte, sehen wir insgesamt für die Zukunft ein deutlich besseres Ertragsumfeld als in der Periode nach der globalen Finanzkrise, als die Inflation über ein Jahrzehnt hinweg überraschend niedrig blieb.
Aktien aus dem Bereich der natürlichen Ressourcen liegen mit erwarteten Renditen von 8,4% an der Spitze – gestützt durch starke Rohstoffpreise, aktuelle Bewertungen und ein kräftiges Wachstum des freien Cashflows. Knapp dahinter folgen global gelistete REITs sowie US-REITs mit prognostizierten Renditen von jeweils 7,8%. Die Bewertungen globaler Immobilien sind gesunken, wobei sich die fundamentale Performance weiter verbessert hat. Für global gelistete Infrastrukturwerte prognostizieren wir eine Rendite von 7,6%. Die Renditen im Infrastrukturbereich basieren auf attraktiven Ausgangsbewertungen, Wachstumspotenzial (unter anderem durch die laufende Elektrifizierung der Branche und das schnelle Wachstum von Rechenzentren) sowie auf ihren defensiven Merkmalen in einem vergleichsweise volatileren makroökonomischen Umfeld.
Unsere Prognose für Rohstoffe mit durchschnittlichen jährlichen Renditen von 5,9% über das kommende Jahrzehnt wird durch mehrere langfristige strukturelle Faktoren gestützt. Angebotsengpässe, die auf jahrelange Unterinvestitionen in vielen Rohstoffsektoren zurückzuführen sind, treffen auf eine steigende Nachfrage infolge der Energiewende und sich wandelnder geopolitischer Dynamiken. Für Gold erwarten wir eine Rendite von 3%, was unserer langfristigen Inflationsprognose entspricht.
Auch wenn der langfristige Ausblick positiv ist, sollten Anleger sektorspezifische Herausforderungen im Blick behalten: dazu zählen ein mögliches Überangebot am Energiemarkt, eine anhaltende Schwäche des chinesischen Immobilienmarktes sowie geopolitische Spannungen mit Auswirkungen auf europäische Immobilien. Diese Risiken scheinen jedoch über einen langfristigen Anlagehorizont hinweg beherrschbar, insbesondere angesichts attraktiver Bewertungen und starker struktureller Wachstumstreiber im gesamten Sachwerte-Bereich.
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*) Jeffrey Palma ist Head of Multi-Asset Solutions, John Muth ist Macro Strategist bei Cohen & Steers