So dürften die industriellen Überkapazitäten sowie die steigenden Lagerbestände den deflationären Druck zukünftig weiter verschärfen. Die Wirtschaftspolitik muss sich entscheiden: entweder sie stimuliert den Konsum im Inland oder sie nimmt eben ein langsameres Wachstum in Kauf. Das kürzlich erfolgte vierte Plenum erkennt diese wirtschaftlichen Umstände an. Wie schnell das Land der Mitte sein Wachstumsmodell tatsächlich stärker auf den Binnenmarkt ausrichten kann, bleibt aber unklar.
Das Ausmaß des jüngsten chinesischen Immobilienabschwungs ist in seiner Dimension vergleichbar mit dem, was Japan in den 90er Jahren erlebt hat, oder auch mit der US-Krise von 2008. Laut dem chinesischen Statistikamt ist das Volumen im Wohnungsbau seit dem Höchststand Anfang 2021 nominal um 40% gesunken; real betrachtet um etwa 30%, da auch die Preise für Baumaterialien rückläufig waren (10%). Dennoch gelang es der chinesischen Gesamtwirtschaft, weiterhin um rund 4,5-5% pro Jahr zu wachsen – und das mit nur begrenzten Auswirkungen auf die globalen Finanzmärkte.
Zurück zu führen ist diese Widerstandskraft vor allem auf gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen, anhand derer man das Wachstum in anderen Sektoren angekurbelt hat – insbesondere in der Industrie (Elektrofahrzeuge, Batterien, Solartechnologie), in der Infrastruktur und im Exportgeschäft. Dabei ist es gelungen, negative Spillover-Effekte vom Immobiliensektor weitestgehend einzudämmen und die dortigen Verluste über die Zeit zu verteilen.
Im Jahr 2024 hat dieses politische Vorgehen gut funktioniert: Materialien, die ursprünglich für den chinesischen Immobiliensektor produziert worden waren, wie etwa Stahl und Beton, wurden stattdessen in zahlreiche Schwellenländer exportiert. Und mit Erzeugnissen aus dem Bereich der grünen Energien hatte man sich verstärkt dem europäischen Markt zugewandt, um dort den globalen Marktanteil auszubauen.
2024 machte der Immobiliensektor nur noch sechs Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, im Vergleich zu den zehn Prozent zuvor. Das reale Wirtschaftswachstum wurde somit überwiegend von Nettoexporten und Investitionen getragen. Allerdings sind die Exportpreise in dieser Phase gesunken, dazu hat der aggressive inländische Wettbewerb auf Margen und Gewinne gedrückt.
Das angebots- und exportgetriebene Wachstumsmodell Chinas stößt nun an seine Grenzen. Viele Schwellenländer haben höhere Zölle und Handelsbarrieren gegen chinesische Waren eingeführt, Europa hat Untersuchungen zu mutmaßlichem Preisdumping chinesischer Produkte eingeleitet, hinzu kommen natürlich noch die Zollerhöhungen und Zugangsbeschränkungen der USA. Zwar haben jüngste Gespräche zu einer vorübergehenden Entspannung der Handelskonflikte zwischen den USA und China geführt, doch die Beziehung bleibt angespannt – und das Handelsvolumen folgt weiterhin einem langfristigen Abwärtstrend.
Ersichtlich sind die Handelsprobleme in den jüngsten amtlichen BIP-Daten des dritten Quartals. Die aggregierten Gesamtzahlen fielen zwar besser aus als erwartet, doch ein erheblicher Teil ist hier auf steigende Lagerbestände zurückzuführen, nachdem diese bereits im zweiten Quartal stark zugelegt hatten. Die Aufschlüsselung nach Ausgabenkategorien offenbart jedoch deutliche Schwächen. Die private Binnennachfrage – also Konsum und private Investitionen – verzeichnete die stärkste Abnahme seit der Pandemie. Dabei ist der Rückgang bei Sachwertinvestitionen inzwischen vom Immobiliensektor auch auf Industrie und Infrastruktur übergeschwappt. Selbst die zuvor immer relativ stabilen Investitionen staatseigener Unternehmen waren zuletzt rückläufig.
Auch wenn die jüngsten Daten ein über den Erwartungen liegendes BIP-Wachstum anzeigen, deuten sie bei genauerer Betrachtung also darauf hin, dass sich die inländischen Rahmenbedingungen in China verschlechtern, während die Dynamik des Außenhandelswachstums gleichzeitig nachlässt – mit Ausnahme des Handels mit Afrika. Ungeachtet dieser Herausforderungen produzieren chinesische Unternehmen weiterhin auf hohem Niveau, die Lagerbestände bei Rohstoffen und Fertigwaren nehmen weiter zu.
Mittelfristig kann der Lageraufbau jedoch nicht unbegrenzt weiterlaufen, wenn China die deflationären Tendenzen eindämmen und wirtschaftliche Stabilität bewahren will. Die chinesische Regierung hat zuletzt eine sogenannte „Anti-Involution“-Kampagne angestoßen, die dem übermäßigen Wettbewerb entgegenwirken und die Wirtschaft stärker auf qualitatives Wachstum ausrichten soll. Doch wenn China nicht bereit ist, die Inlandsnachfrage entschiedener zu fördern oder ein langsameres Produktionswachstum zu akzeptieren, können die chinesischen Produktbestände weiterhin nur mit zusätzlichen Export-Preisabschlägen abgebaut werden.
Fiskalisch stimulierende Maßnahmen gibt es zwar schon, deren Wirkung bleibt bislang jedoch begrenzt. Die deflationären Kräfte breiten sich wohl weiterhin global aus. Und am stärksten betroffen dürften Länder mit niedrigen Handelsbarrieren sein, ergo viele Staaten in Europa.
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*) Tiffany Wilding, Ökonomin, und Stephen Chang, Portfoliomanager, beide bei PIMCO
Gastbeitrag: Chinas Wachstumsmotor vor neuen Herausforderungen
Tiffany Wilding
Stephen Chang
