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„Der Immobilienmarkt in China befindet sich in einer weitaus kritischeren Verfassung als erwartet“

IPE D.A.CH Chefredakteur Frank Schnattinger im Gespräch mit Gerwin Bell, Lead Economist Asien PGIM Fixed Income, zur ökonomischen Entwicklung in China und anderen Schwellenländern und der Anlagestrategie von PGIM Fixed Income in diesem Jahr.

Gerwin Bell

IPE D.A.CH: Hat sich in China zuletzt die schnelle Wirtschaftserholung vom Sommer 2020 fortgesetzt?
Bell: China war das erste von der Coronapandemie betroffene Land und hat 2020 als erster Staat den Weg wieder aus der Wirtschaftskrise gefunden. Das Jahr 2021 war dagegen geprägt von der Politik der Regierung in Peking, soziale Ungleichheiten anzugehen und regulatorische Schritte vor allem gegenüber Technologiekonzernen zu implementieren. Als Folge davon ist das Wachstum 2021 eingebrochen.

IPE D.A.CH: Die offiziellen Zahlen geben für 2021 allerdings immerhin ein BIP-Wachstum von 8% aus…
Bell: Ein Großteil dieses Wachstums wurde schon im Vorjahr erwirtschaftet. Ein entsprechender Vortrag ist nun für 2022 kaum mehr vorhanden. Deshalb wird es ungleich schwerer, die offizielle Zielsetzung von 5% Wirtschaftswachstum in diesem Jahr zu erreichen.

IPE D.A.CH: Wie wird sich die chinesische Wirtschaft dann 2022 entwickeln?
Bell: Wir sehen 2022 als Jahr, in dem verschiedene Stimuli verhindern sollen, dass das Wachstum enttäuschend ausfällt. Dahinter stehen politische Motive, denn Generalsekretär Xi Jinping will im Oktober seine dritte Amtszeit bestätigt bekommen. Eine Wachstumskrise mit einem stockenden Arbeitsmarkt ist nicht gerade eine geeignete Kulisse dafür. Wir erwarten ein Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von 4,5%. Die Wirtschaftspolitik prägen werden Zinssenkungen, eine fiskale Expansion vor allem auf der Ebene der Lokalregierungen und die Rücknahme der Restriktionen im Immobiliensektor.

IPE D.A.CH: Welche Rolle spielt der angeschlagene Immobiliensektor überhaupt für die chinesische Wirtschaft?
Bell: Eine enorm große. 15 bis 33% der Volkswirtschaft in China hängen direkt oder indirekt am Immobiliensektor. Das ist deutlich mehr als etwa in den USA oder Spanien. Die Lokalregierungen beziehen ein Drittel ihrer Einnahmen aus Immobilien und 80% des Haushaltsvermögens stecken in Immobilien. Dementsprechend heftig würden die negativen Auswirkungen eines rapiden Preisverfalls auf den Konsum ausfallen.

IPE D.A.CH: Wie steuert die Regierung dagegen?
Bell: Der Immobilienmarkt in China befindet sich in einer weitaus kritischeren Verfassung als erwartet. Weil die Regierung die Banken kontrolliert, wird sie mit neuen Finanzierungsschüben entgegensteuern und die jüngsten Restriktionen bei der Vergabe von Immobilienkrediten wieder lockern. Damit will sie verhindern, dass mit einem Einbruch am Immobilienmarkt ein großer schwarzer Schwan für die Realwirtschaft entsteht.

IPE D.A.CH: Sehen Sie andere potenzielle Schwarze Schwäne geopolitischer Natur?
Bell: Als Unsicherheitsfaktoren bleiben die mögliche Eskalation der Lage im Südchinesischen Meer aufgrund der territorialen Ansprüche Chinas und vor allem die Politik Pekings gegenüber Taiwan. Was die Beziehungen zwischen den USA und China angeht, setzt sich in Washington die Erkenntnis durch, dass die unter Donald Trump eingeführten Importzölle vor allem der US-Wirtschaft schaden. China wird aber auch in Zukunft von den USA als strategischer Konkurrent wahrgenommen.

IPE D.A.CH: Kommen wir zu den Bondmärkten – welche Chancen bietet China in diesem Jahr hier für Investoren?
Bell: Um die Wirtschaft zu stimulieren, wird China 2022 anders als die Notenbanken im Rest der Welt die Leitzinsen senken. Der chinesische Onshore-Markt mit Anleihen auf die Währung Renminbi bietet in diesem Umfeld mit Inflationsraten auf historisch niedrigem Niveau die Chancen auf Kapitalgewinne. Aus diesem Grund sind chinesische Onshore-Titel eine unserer Kernpositionen – im Gegensatz zum chinesischen Offshore-Bondmarkt in US-Dollar, der durch das Exposure in Immobilienkonzerne noch sehr risikobehaftet ist.

IPE D.A.CH: Wie schätzen sie das Renditepotenzial in Indien ein? Ist das Land für Bond-Investoren ein schlafender Riese?
Bell: In ökonomischer Hinsicht ist Indien aufgrund der unter Modi eingeleiteten Reformen ein Wachstumsmarkt. Allerdings ist Indien in seiner Geld- und Anleihenpolitik noch sehr auf inländische Notwendigkeiten und noch zu wenig auf ausländische Investoren fokussiert. Ein signifikanter Inflationsschub ist dieses Jahr möglich, ebenso eine Verschiebung der Fiskalkonsolidierung mit dem Resultat, dass noch mehr Anleihen ausgenommen werden. Deshalb sehe ich die Zeit noch sehr verfrüht, um Kernpositionen in Indien aufzubauen.

IPE D.A.CH: Welche anderen asiatischen Märkte sind für Sie interessant?
Bell: Im restlichen Asien ist die Inflation wegen der hohen Output-Lücken ähnlich niedrig wie in China. Das zunehmende Wachstum ist in den Bondmärkten noch nicht gepreist. Dennoch bleiben wir mit unserer der Positionierung in Anleihenmärkten wie Indonesien vorsichtig und warten für 2022 ab, bis ein geldpolitischer Kurs zu erkennen ist, vor allem ob die Fed mit weiteren Zinsschritten folgt.

IPE D.A.CH: Favorisieren Sie chinesische Corporate oder Sovereign Bonds?
Bell: Bei Unternehmensanleihen sind wir in der Regel im US-Dollar-Markt engagiert, der im Schatten des Immobiliensektors steht. Auf dem RMB Markt sind wir nicht in Corporate Bonds involviert, da wir Governance-Aspekte wie Disclosure und Rechtssicherheit als immer noch nicht getestet ansehen.

IPE D.A.CH: Ist die Coronapandemie ein Katalysator für Investoren, um mehr Positionen in asiatische Anleihen aufzubauen?
Bell: Vor vier Jahren begann China, seinen Bondmarkt für ausländische Investoren zu öffnen mit dem Ziel, vor allem renommierte Adressen anzuziehen. Das klappte und als Folge nahmen Index-Provider chinesische Bonds in die Indizes, was die Nachfrage nochmals steigerte. Dieser technische Aspekt von Indexinklusionen ist inzwischen schwächer ausgeprägt, aber der größte Mittelzufluss bei asiatischen Anleihen geht weiter nach China.

IPE D.A.CH: Kommen wir abschließend nochmals auf die globale Ökonomie zurück. Sehen wir weiterhin ein früher postuliertes „asiatisches Jahrhundert“?
Bell: Die These ist immer noch aktuell, aber mit weniger Dominanz von Seiten Chinas, sondern mehr auf Asien als Ganzes. China ist gerade dabei, seine hohen Investitionen umzustellen auf mehr schuldenfinanziertes Wachstum, ohne sich in allzu große Abhängigkeit von Fremdkapital zu begeben. Zugleich werden die südostasiatischen Länder mit ihrer Bevölkerung immer stärker in den globalen Handel integriert, indem sie das Investitionsklima verbessern und sich in globale Lieferkette einklinken. Dasselbe gilt für Indien.

IPE D.A.CH: Besten Dank für diese Einschätzungen.