Foundation | Welcome

Menu


Wechsel an der Spitze der Bank of England – der Handlungsspielraum bleibt begrenzt

Anfang Juli wird Mark Carney, der momentan noch Chef der Notenbank Kanadas ist, an die Spitze der Bank of England rücken. Finanzminister George Osborne hatte ihn außerhalb des offiziellen Ausschreibungsverfahrens eigens ausgewählt, so dass nun natürlich hohe Erwartungen an Carney geknüpft werden. Dabei geht es für ihn in erster Linie darum, die britische Wirtschaft aus dem aktuellen Abschwung herauszuführen, der sich im Hinblick auf das BIP sogar als noch gravierender erweisen könnte als die Weltwirtschaftskrise.

Carney genießt derzeit ein hohes Ansehen. Denn während sich Großbritannien sowie die Eurozone zurzeit immer noch in oder am Rande einer Rezession befinden, wächst das kanadische BIP auf Jahresbasis um 1,7% und damit kräftiger als die US-Wirtschaft, und zwar sowohl während als auch nach der Finanzkrise. Gleichzeitig hat sich die Inflation in Kanada in den letzten sechs Jahren bei durchschnittlich 1,8% eingependelt. In Großbritannien dagegen liegt die Preissteigerung bei 3,1% – vielleicht der größte Makel der Amtszeit des fast schon puritanischen Inflationshüters Mervyn King.

Osborne hat bereits ausgeschlossen, Großbritannien mit Hilfe der Fiskalpolitik aus seiner aktuellen Krise zu führen. Damit bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder eine ausgeprägte und rasche Erholung der Eurozone als dem größten Handelspartner Großbritanniens – diese Hoffnung scheint allerdings vergeblich zu sein – oder aber die Geldmarktpolitik.

Wird Mark Carney also etwas ganz neues und völlig anderes unternehmen oder die bisherigen Maßnahmen der Bank of England massiv ausweiten? Wer dies erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Denn es gibt gleich mehrere Gründe, warum der Handlungsspielraum von Mark Carney letztlich doch kleiner ist als erhofft.


Grund 1: Eine Zinssenkung belastet die Bausparkassen
Mit einer Zinssenkung kann man der Wirtschaft einen zwar moderaten, aber durchaus willkommenen Auftrieb geben. Das Problem: In Großbritannien liegt der Diskontsatz bereits seit Anfang 2009 konstant bei 0,5%. Eine weitere Senkung in Richtung 0% – wie es die US-Notenbank getan hat – wäre zwar für den Konsum ebenso von Vorteil wie für Unternehmen, deren Hypotheken oder Kredite an den Basiszins oder den Libor gekoppelt sind. Allerdings könnten weitere Zinssenkungen in Großbritannien die Bausparkassen belasten, die dann aufgrund spezieller Vertragsstrukturen Einnahmeeinbußen hinnehmen müssten. Gerade die Bausparkassen werden jedoch dringender gebraucht denn je, da die die britischen Banken zuletzt deutlich weniger Kredite vergeben haben.

Grund 2: Eine Abwertung hat mehr negative als positive Effekte
Eine spürbare Abwertung des Pfund wäre für das produzierende Gewerbe ein wahrer Segen, weil die Exporte dann preiswerter würden. Entgegen aller modernen Mythen stellen nämlich auch die Briten Güter her, die derzeit 12% der gesamten Wirtschaftsleistung ausmachen – zum Beispiel Autos, Flugzeugturbinen, Chemikalien und Rüstungsgüter. Allerdings wären wohl die negativen Auswirkungen auf den Konsum größer als die Entlastung des produzierenden Gewerbes. Denn die infolge eines schwächeren Pfunds steigenden Importpreise würden dazu führen, dass sich die Inflation beschleunigt. Damit wiederum würden die realen Einkommen sinken und schließlich der Konsum nachlassen. Unter dem Strich würde ein schwächeres Pfund wohl die britische Wirtschaft insgesamt belasten.

Grund 3: Auch für den Chef sind nicht alle Maßnahmen durchsetzbar
Derzeit möchten sechs der neun Mitglieder des Geldmarktpolitischen Ausschusses der Bank of England (MPC) keine weiteren monetären Ankurbelungsmaßnahmen ergreifen. Ein kluger Notenbankchef würde sicherlich erkennen, dass Uneinigkeit für die Wahrnehmung der Notenbank als stabilisierende Kraft schädlich wäre – und so etwas wünscht man sich ja vor allem dann nicht, wenn ausländische Investoren jeden Monat britische Staatsanleihen im Wert von durchschnittlich 6 Mrd. GBP erwerben. Die kanadische Geldmarktpolitik orientiert sich dagegen viel stärker am Konsens, was den Mitgliedern des Leitungsgremiums dadurch tatsächlich mehr Macht verleihen dürfte als bei klassischen Abstimmungsentscheidungen.

Grund 4: Verpasste Chancen
Bereits bei der Haushaltsvorstellung im März definierte der Finanzminister nicht nur das Mandat der Bank of England neu, sondern änderte auch den Informationsfluss zwischen der Notenbank und dem Finanzminister bei Überschreitung des Inflationsziels. Die Bank of England soll auf Wunsch des Schatzkanzlers außerdem „zukunftsorientierter“ kommunizieren. Da Osborne mit der Neuausrichtung aber nicht bis zu Carneys Ankunft gewartet hat und der Markt sowieso einen wesentlich wachstumsorientierteren designierten Notenbankchef erwartet, scheinen die Änderungen recht bescheiden zu sein. Vielleicht liegt die einzige Hoffnung auf eine radikalere Notenbank tatsächlich in einer Änderung ihrer Kommunikationspolitik. Denn wäre es dann nicht auch möglich, in Kommentaren zukünftige Zinsanhebungen an ein nachhaltiges BIP-Wachstum zu knüpfen anstatt einfach nur das Inflationsziel zu ändern?

Grund 5: Großbritannien ist nicht Kanada
Im Gegensatz zu Kanada sind die britischen Banken angeschlagen, der größte Handelspartner steht ebenfalls unter Druck und die Rohstoffreserven der Briten gehen zur Neige. Kanada hat zudem seine Fiskalkrise bereits in den 1990er Jahren hinter sich gebracht, nachdem S&P das Land 1992 herabgestuft hatte und die Politiker parteiübergreifend zu dem Entschluss gelangten, die Staatsverschuldung zu senken. 2002 erhielt Kanada sein „Triple A“ zurück. Großbritannien befindet sich momentan aber in einer ganz anderen wirtschaftlichen Lage, und die fiskalischen Probleme wiegen deutlich schwerer als diejenigen, die Mark Carney in seiner Zeit bei der Zentralbank Kanadas erlebt hat.

Doch es gibt nicht nur schlechte Nachrichten. Obwohl der Handlungsspielraum von Mark Carney eindeutig begrenzt ist, könnte er beim Timing das Glück auf seiner Seite haben. So sieht es jedenfalls der stellvertretende Chef der Bank of England, Paul Tucker: „Betrachtet man das letzte Jahr, so geht es der britischen Wirtschaft vielleicht doch nicht so schlecht wie die Zahlen auf den ersten Blick glauben machen… Meiner Meinung nach liegt zwar noch ein langer Weg vor uns, aber es besteht auf jeden Fall Grund zur Hoffnung.“


---
*) Jim Leaviss ist Leiter Fixed Income bei M&G Investments