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Investmentstile: Growth und Value, 2. Teil

Im zweiten Teil der Serie beschreibt Mark Robertson, unabhängiger Finanzjournalist und Finanzanalyst bei Vontobel Asset Management, Inc., New York von 1991–2000, die Unterscheidungskriterien von Value- und Growth-Titeln.

Vontobel investiert in Value-Aktien, die ein rasches Ertragswachstum bei gleichzeitig tiefen Aktienpreisen versprechen. Das sind die so genannten „Stars“. Wir können die Analyse von Bernstein (Vgl. Teil 1 der Serie, Anm. d. Redaktion) hundertprozentig  nachvollziehen, da wir bei Vontobel Asset Management, Inc., New York vor langer Zeit entschieden haben, dass der vielversprechendste Ansatz darin besteht, Aktien von – fundamental betrachtet – Wachstumsunternehmen zu kaufen, wenn ihr Preis  dem einer Value-Aktien entspricht. Diese «Nieten» und «Stars» innerhalb des Markts sind Ausdruck von kurzfristigem Profitstreben und Ängsten, die zu Preisineffizienzen führen. Zeitgenössische Value-Investoren versuchen, aus diesen Ineffizienzen Nutzen zu ziehen,  indem sie die Stars kaufen und natürlich die Nieten vermeiden. Einen Star-Titel zu finden, ist allerdings in etwa vergleichbar mit der Suche nach einem Autohändler, der einen brandneuen Mercedes-Benz zum Preis eines gebrauchten VWs anbietet, oder nach einem Fleischer, der das beste Filetstück zum Preis von normalem Rindfleisch in der Auslage hat. Wir halten ständig Ausschau nach qualitativ hochwertigen Produkten zu günstigen Preisen und sind permanent auf der Hut, nicht zuviel für das zu bezahlen, was wir kaufen. In dieser Hinsicht eifern wir Warren Buffett nach, dem Chairman und Hauptaktionär der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway. Nicht zuletzt unter dem Einfluss seines Partners und Stellvertreters, Charlie Munger, ist Buffett bereits vor langer Zeit zu der Erkenntnis gelangt, dass der traditionelle Value-Ansatz, obwohl lohnend, seine eigenen Defizite hat. Er sah, dass es im Universum der Value-Titel viele Nieten gibt, genauso wie Bernstein sie im Universum der Wachstumsaktien fand, wobei eine Niete eine Aktie ist, deren Kurs mehr Wachstum eskomptiert, als das Unternehmen erreichen kann. Der einzige Unterschied zwischen einer Growth-Niete und einer Value-Niete ist das Erwartungsniveau, das im Fall einer Growth-Niete hoch und im Fall einer Value-Niete gering oder sogar negativ ist. In Anlehnung an Gertrude Stein, der amerikanischen Avantgarde-Autorin, deren Pariser Wohnung ein Salon für die führenden Künstler und Literaten zwischen dem Ersten und dem Weltkrieg war, lässt sich konstatieren: Eine Niete ist eine Niete ist eine Niete.

Buffett übernahm das Zepter bei Berkshire im Jahr 1965 – rückblickend, das gibt er zu, war das Unternehmen eine Niete. Es war ein Textilproduzent, der scheinbar zu einem Schnäppchenpreis zu haben war. In den 60er-Jahren waren hoch gesteckte Wachstumschancen in der US-Textilindustrie längst ein Thema aus grauer Vorzeit. Outsourcing ist in dieser personalintensiven Branche ein Jahrzehnte altes Phänomen; ausländische Anbieter haben aufgrund immenser Kostenvorteile die Margen gedrückt. US-Produzenten versuchten zwar, sich im Wettbewerb zu behaupten, indem sie Arbeit durch Kapital ersetzten und in neue, High-Tech-Webmaschinen investierten. Gleichzeitig entließen sie Heerscharen von relativ gut bezahlten Arbeitern, ohne aber mit den Kostenstrukturen ihrer ausländischen Wettbewerber mithalten zu können. Buffett war sich dessen zwar bewusst, glaubte aber, dass der Preis das geringe Potenzial von Berkshire reflektierte. Nach rund 20 Jahren vergeblichen Bemühens, einen Gewinn zu erzielen, richtete er den Blick nach vorne und sah, soweit das Auge reichte, für den Textilbetrieb von Berkshire nichts außer fortgesetzter operativer Verluste. Folglich legte er diesen Teil des Unternehmens still.

In seinen ersten Jahren wandte Buffett den traditionellen Ansatz des Value-Stils an und kaufte daher oftmals – wie er sagt – «Zigarrenstummel», von denen sich eine Reihe als Nieten erwiesen. In Berkshires Geschäftsbericht 1989 merkt Buffett an, dass ein auf der Strasse aufgelesener Zigarrenstummel, der nur noch für einen Zug gut ist, vielleicht kein grosses Raucherlebnis verspreche, an diesem Zug aber aufgrund des ‹Schnäppchenpreises› alles Gewinn sei. Mit der Zeit lernte er jedoch, dass scheinbar günstige Gelegenheiten alles andere als günstig sein können. Genauso wie das Textilgeschäft von Berkshire erweisen sie sich mitunter als kostspielige Fehler. Nicht nur, dass an der Zigarre kein Zug mehr übrig war, mit ihrem Erwerb waren auch noch Kosten verbunden. Im Verlauf der Jahre verstand er es, Zigarrenstummel zugunsten von Stars zu meiden. Mit der Investition in Wachstumsunternehmen haben Buffett und Munger ein niedergehendes, traditionelles Industriegeschäft in ein weltweit führendes Konglomerat umgewandelt, das über 100%-Beteiligungen u.a. in der Versicherungs-, Finanz-, Möbel-, Zeitungs- und Süßwarenbranche verfügt und zudem große Positionen in mehreren erstklassigen US-Unternehmen hält. Sie haben in Wachstumsunternehmen investiert, aber nur, wenn diese Gesellschaften zum Preis von Value-Titel zu haben waren. Diese Value-Investoren hatten nicht zuletzt deshalb einen gewaltigen Erfolg, weil sie in der Lage waren, Wachstumsunternehmen zu identifizieren, aber auch, weil sie sich in Geduld übten und auf den ineffizienten Markt warteten, der produktive Vermögenswerte zu attraktiven Preisen anbietet. Scheint keine Hexerei zu sein, oder? Die Identifizierung von Wachstum sollte tatsächlich einfach sein. Schließlich kann jeder mit einer entsprechenden Datenbankabfrage die diesjährigen Gewinne mit denen des Vorjahres vergleichen. (Wir beziehen uns hier auf eine gewinnbasierte Analyse unter der Annahme, dass der Investor an dem Anlagekandidaten als laufendem Betrieb interessiert ist. Schwebt dem Investor hingegen eine mögliche Liquidation vor, sollte der Schwerpunkt eher auf der Bilanz als auf der Erfolgsrechnung liegen.) Leider ist dies jedoch nicht so leicht, wie es den Anschein hat. Zunächst wäre es viel zu kurzsichtig, eine Anlage nur auf dem Ergebnis eines Jahres im Vergleich zum Vorjahr zu basieren. Man sollte zudem den Gewinn um außerordentliche oder einmalige Positionen bereinigen sowie zyklische Effekte  berücksichtigen, um die Ertragskraft eines Anlagekandidaten  über mehrere Jahre zurück beurteilen zu können. Nur so erhält man eine Schätzung für den normalisierten Gewinn des laufenden Jahres. Zeigt sich in der Analyse, dass die Gesellschaft profitabel wächst, schätzt man das Wachstum der künftigen Gewinne über einen gewissen Zeitraum (bei uns sind es fünf Jahre) und zieht ein Discounted-Cashflow-Modell heran, um den inneren bzw. fairen Wert der Ertragskraft des Unternehmens zu ermitteln. Die Frage, ob ein Unternehmen profitabel wächst oder einfach nur wächst, ist der Schwerpunkt des nächsten Abschnitts. Bei der Wertermittlung der künftigen Gewinne kommt es zu einer Divergenz zwischen traditionellen Value- und Growth- Investoren. Der Unterschied besteht vereinfacht ausgedrückt darin, dass traditionelle Value-Investoren zukünftiges Wachstum komplett außen vor lassen. Zeitgenössische Value-Investoren hingegen sind durchaus bemüht, zur Approximation des inneren Werts des Unternehmens das zukünftige Wachstum einzubeziehen, und wir denken, dass Growth-Investoren (im Gegensatz zu Growth-Spekulanten) dies ebenfalls tun. Noch einmal in Anlehnung an Gertrude Stein – ein Investor ist ein Investor ist ein Investor.

Nächste Woche, im dritten Teil der Serie, lesen Sie mehr über die elementare Rolle von Wettbewerbsvorteilen bei der Unternehmensanalyse.