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Buchbesprechung: „Lillith und die Dämonen des Kapitals. Die Ökonomie auf Freuds Couch" von Tomáš Sedláček und Oliver Tanzer

Wir wollten nicht sieben Jahre auf das nächste Buch von Tomáš Sedláček warten (siehe die Besprechung von Sedlacek's „Economy of Good and Evil“). Jetzt liegt mit „Lilith“ schon nach vier Jahren sein nächstes Buch auf dem Tisch - aber da hätten wir doch lieber noch etwas gewartet…

 

Die Rezension
Ein ungewöhnlicher Titel kann ja durchaus verkaufsfördernd wirken. Ob Lilith die richtige „Galionsfigur“ auf dieser Fahrt in psychoanalytische und kapitalismuskritische Gewässer ist, weiß man auch nach der Lektüre des Buches nicht. Lilith wurde früh zur Symbolgestalt in diversen feministischen Bewegungen, weil sie als weiblicher Dämon des jüdischen Volksglaubens und als erste Frau Adams (nicht Eva) ihren ganz eigenen Weg gehen wollte - bevor sie zum blutsaugenden Nachtgespenst wurde. Es geht im Buch aber nicht um emanzipatorische Themen, außer dass am Ende ein Kapital mit der Überschrift „Bordellökonomie“ lockt.

Große Erwartungen also an die erste Frau Adams und das zweite Buch von Tomáš Sedláček, nach seinem Bestseller „Die Ökonomie von Gut und Böse“. Ein zweiter Autor, der Untertitel („Die Ökonomie auf Freuds Couch“) und die Einleitung bestärken diese Erwartungshaltung, denn dort heißt es: „Die Legende von Lilith ist die titelgebende Geschichte dieses Buches, weil sie ein Sinnbild für das Drama des modernen Kapitalismus darstellt". Und weiter: „Wenn wir ihr Gleichnis auf die wirtschaftliche Ebene heben, dann repräsentiert sie Beginn und Ende, Alpha und Omega einer zerstörerischen Ökonomie. Die Freiheit als idealer Brutplatz der Marktwirtschaft, die sich schließlich in einem perversen Kreislauf von Konsum und Wachstum wiederfindet. Lilith ist der Archetyp einer Konsummaschine, die gleichzeitig gebären und zerstören muss.“

Wir sehen - und dieses „Wir sehen“ ist ein häufig wiederholter Satz des Buches - wir sehen also, dass es nicht um die Dämonen des Kapitals, sondern die des Kapitalismus geht. Genau genommen geht es darum aber auch nicht, sondern um eine Vielzahl „ökonomischer Dämonen“. Andererseits bevölkern mehr Götter, Sagengestalten, Dichter und Psychologen das Buch als Ökonomen. Psychologen haben natürlich gemäß Untertitel Zutritt. Ein bisschen Freud und ein bisschen Jung. Andererseits: eine durchgängige „Freud‘sche Analyse“ der Ökonomie ist es auch nicht.

Was ist es dann? Die angekündigte Psychoanalyse der „rationalen Ökonomie“ wird mit Beispielen von Figuren von Homer, Shakespeare, Goethe und dem halben Olymp angeboten. Bibelstellen, Liedertexte, Gedichte und Mythen werden stets präzise und mit genauer Quellenangabe zitiert. Aber all das „Dämonische“ des Kapitals, des Kapitalismus und der Ökonomie wird kursorisch und mit knackigen Worten, polemisch oder provokativ eingeführt - mehr als eingeführt dann aber auch wieder nicht. Polykrates ist eine Ausnahme, der wird gründlich vorgestellt. Der war aber kein Ökonom.

Und dann ist da noch die „andere Phase“ der Depression, die Manie. Die wird - wieder, darf man zugestehen - gut begründet und ausgearbeitet. Das Korollar für die Makroökonomie, dass Manien mindestens ebenso „gefährlich“ für die Wirtschaft sind wie die Depressionen, kennen wir schon, seit der „Ökonomie von Gut und Böse“. Das findet man dort besser.

Insgesamt liest sich das Buch ein bisschen als wäre man im Religionsunterricht: Viele Geschichtchen, Strophen und Bildchen, mal unterhaltsam, aber meistens stark mit der Attitüde des kapitalismuskritischen Bohemiens gewürzt. Es ist ja wirklich interessant, von den psychologischen Kategorien wie Angst, Neid, Gier, Panik und all das in unserer Wirtschaft zu lesen - aber was sagt uns das alles?

Wir sehen: Anstelle von wirklich historischer oder psychologischer Analyse bekommt der Leser genau wie die Leserin eine Plauderei auf der Couch. Unterhaltsam? Ja. Lehrreich? In Bezug auf Götter und Dämonen und griechische Mythologie: ja. Aber in Bezug auf das „Alpha und Omega einer zerstörerischen Ökonomie“? Da hatten wir nach der „Ökonomie von Gut und Böse“ konkretere Antworten erwartet.


Das Buch: „Lilith und die Dämonen des Kapitals. Die Ökonomie auf Freuds Couch“, Carl Hanser Verlag, München, 2015. 350 S.

Die Autoren: Tomáš Sedláček, Oliver Tanzer

Der Rezensent: Dr. Oliver Roll ist Founding Partner/CEO des Asset Management-Beratungs- und Vertriebsunternehmens 4AlphaDrivers. Er verfügt über viele Jahre Erfahrung im Bereich institutioneller Kapitalanlage sowie im Vertrieb und Marketing von Fonds- und Finanzprodukten.