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Buchbesprechung: „Economics of Good and Evil" von Tomáš Sedláček

Das Werk von Tomáš Sedláček ist wie der Panama-Kanal: Vielleicht nur ein schmaler Weg, aber durch diesen Weg werden Ozeane verbunden. Hier geht es um die „Ozeane“ von Wirtschaftsgeschichte und –theorie einerseits und Kultur- und Moralgeschichte andererseits. So wie Methaphysik zur Physik steht dieses Buch („Meta-Ökonomik“) zum gegenwärtigen Paradigma der Wirtschaftswissenschaft und bietet dabei eine beeindruckende Tour d'Horizon vom Gilgamesch-Epos, der Bibel, dem antiken Griechenland, über Descartes, Adam Smith, Bernard Mandevill u.v.m. bis hin zu Tolkien, dem Film "Matrix" und Keynes' „Animal Spirits“. Die von mir gezählten 1.012 Fußnoten beweisen das und umfassen nicht nur Belegstellen, sondern enthalten vielfach auch noch weitere originelle Überlegungen.

Die Rezension
Aber zuerst noch zum Autor: Tomáš Sedláček, in Tschechien 1977 geboren, Gewinner des Deutschen Wirtschaftsbuch- preises 2012, ist heute Chef-Volkswirt der ČSOB, der größten tschechischen Bank. Von Ende 2001 bis Anfang 2003 war er Wirtschaftsberater im Stab von Václav Havel, hatte seitdem unter anderem Beratungsposten im tschechischen Finanzministerium, dem tschechischen nationalen Wirtschaftsrat, Stipendien in den USA, und publizierte sein Buch 2009 in Tschechien, wo es nicht nur auf die Bestsellerlisten kam, sondern auch in Form eines Theaterstücks auf die Bühne.

Wieder zum Buch: Das gliedert sich im Wesentlichen in zwei Teile. Im ersten Teil werden ökonomische Zusammenhänge in der Mythologie, der Religion und Theologie, in der Philosophie und in der Wissenschaft untersucht. Im zweiten Teil sucht und findet Sedláček Mythen, Religion, Theologie, Philosophie und Wissenschaft in der Ökonomik. Das alles können wir hier nicht vernünftig in einer Rezension kurz zusammenfassen: Gehen Sie hin und lesen Sie selbst…, jedes Kapitel eine Horizont-Erweiterung (und für sich selbst lesbar). Aber was ist der rote Faden? Die Kritik daran, dass das heutige Mainstream-Paradigma eigentlich viel zu arm und farblos ist, gerade weil es eine Descarte'sche Abstraktion oder Reduktion auf einen Homo Oeconomicus vorgenommen hat und damit – nach Sedláček – blind gemacht hat für die wirklich wichtigen Triebkräfte, die das, was wir Wirtschaft nennen, ausmachen.

Wenn wir die Metapher vom Panama-Kanal aufgreifen, so reißt er eine Bresche in die Modellgläubigkeit und verbindet so (wieder), was zusammengehört: Menschliches Handeln, das eben nicht in einer sterilen Modellwelt eines fiktiven Homo Oeconomicus stattfindet, sondern stets alle Elemente des kulturellen Daseins des Menschen umfasst. Wie zum Beweis weist er wiederholt darauf hin, wie „religiös“ manchmal die Sprache der Ökonomen sein kann (wenn z.B. der aktuelle 'haircut' mit dem „Erlass' uns unsere Schuld“ verglichen wird).

Eine andere interessante neue Perspektive: Sedláček weist zu Recht darauf hin, wie viele rein ökonomische Größen zum Fetisch in unserer Gesellschaft geworden sind, prominentestes Beispiel für ihn: BIP und Wachstum. Dabei sind für ihn im zyklischen Auf und Ab unsere Probleme nicht die Depressionen, sondern die Manien! Sind Ihnen solche Perspektiven zu philosophisch, psychologisch oder theologisch, zu wenig konkret für die Lösung unserer aktuellen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragestellungen? Nun, wir würden auch keine Antworten auf diese konkreten und praktischen Fragen in einem Buch mit diesem Titel erwarten; was Sie aber erwarten können, ist eines der originellsten Dekonstuktionen des wissenschaftlichen Aplombs, mit dem so oft unser Business-Speak daherkommt. Ein bisschen agiert Sedláček wie das Kind in „Des Kaisers neue Kleider“.

Gibt es Themen, deren ebenso scharfsinnige Analyse und kulturgeschichtliche Einbettung ich gerade in einem Buch mit solchem philosophischen Antritt und der Überschrift mit den moralischen Kategorien von Gut und Böse vermisst habe? Nun, Wall Street kommt ein wenig zu kurz und ja, die Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit und dem was soziale Gerechtigkeit genannt wird. Gerade hier zeigen sich doch auf größerer, gesamtgesellschaftlicher Ebene die moralischen Kategorien von gut und gerecht, gerade hier haben die heftigsten jahrhundertelangen Kämpfe und ideologi- schen Auseinandersetzungen stattgefunden. Das klingt nur sehr kursorisch im Kapital über das Christentum an. Vielleicht wird das ja aber auch Teil von Tomas Sedláček nächstem Buch – an dem er schon arbeitet.

Sieben fette und sieben magere Jahre: Tomas Sedláček sagt, er habe mehr als sieben Jahre an dem Buch gearbeitet. Hoffentlich folgen nicht sieben magere Jahre – so lange wollen wir auf sein nächstes Buch nicht warten.


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Das Buch: „Economics of Good and Evil. The Quest for Economic Meaning from Gilgamesh to Wall Street“, Oxford UP, Oxford 2011
(deutsche Ausgabe „Die Ökonomie von Gut und Böse“, Hanser, München 2012)

Der Autor: Tomas Sedláček

Der Rezensent: Dr. Oliver Roll, Managing Director, max.xs financial services AG