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Kommentar: US-Gesundheitssystem - Investieren in den Umbruch

Ein funktionierendes Gesundheitswesen spielt eine entscheidende Rolle für die Lebensqualität einer Gesellschaft. Der Sektor steht besonders in den USA einigen Herausforderungen gegenüber – nicht zuletzt durch eine immer älter werdende Bevölkerung und komplexe Systeme. Im Vorfeld der US-Wahlen 2020 legen die Präsidentschaftskandidaten neue Vorschläge vor, wie das Gesundheitssystem verbessert werden kann. Aktuelle Entwicklungen mit dem Ziel, die Versorgung für alle besser zugänglich und erschwinglicher zu machen, sind auch für Investoren interessant.

Hendrik-Jan Boer

Kosten für Gesundheitsversorgung in den USA steigen
Die USA sind das einzige große reiche Land der Welt, das keine allgemeine Gesundheitsversorgung hat. Die Ausgaben für Gesundheit sind im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) allerdings im Vergleich zu allen anderen OECD-Ländern am höchsten: Zurzeit geben die USA rund 17% des BIP für das Gesundheitswesen aus, verglichen mit einem OECD-Durchschnitt von rund 11%.

In den sechs Jahren nach der Verabschiedung des Affordable Care Act, auch bekannt als Obamacare, sank der Anteil der nicht krankenversicherten Amerikaner auf rund 9% der Bevölkerung. Seitdem stagniert die Zahl, denn nicht jeder kann sich die Vorsorge leisten, und manch einer entscheidet sich bewusst dagegen. Die Centers of Medicare and Medicaid Services (CMS), so der Name der Bundesbehörde, die Medicare und andere staatliche Gesundheitsprogramme verwaltet, prognostiziert, dass die nationalen Gesundheitsausgaben der USA bis 2027 um 5,5% pro Jahr steigen werden. Das ist schneller als das BIP-Wachstum.

Komplexe Administration treibt Ausgaben
Einer der meistgenannten Gründe für die fehlende allgemeine Gesundheitsversorgung der USA sind die Kosten für die medizinische Versorgung. Es gibt viele Faktoren, warum das Gesundheitswesen in den USA so teuer ist: Medikamente, medizinische Geräte und Dienstleistungen sind teurer als anderswo in der OECD. Zudem werden amerikanische Ärztinnen und Ärzte besser bezahlt als ihre Kollegen in anderen Ländern, unter den US-Topverdienern bilden sie eine der größten Gruppen.

Doch auch die institutionelle Komplexität des Gesundheitssektors der USA lässt die Kosten steigen: Dem Gesundheitswesen fehlt eine einheitliche Institution, bei der alle Zahlungen gebündelt werden. Stattdessen gibt es eine komplexe Wertschöpfungskette, die aus mehreren Interessengruppen und Programmen besteht. Traditionell werden medizinische Leistungen im Zusammenhang mit Krankenhauskosten und Erstattungen für Medikamente, die in der Apotheke gekauft werden, von verschiedenen Stellen verwaltet. Medizinische Leistungen für Krankenhauskosten bearbeitet die Managed Care Organisation (MCO), während ein Pharmacy Benefits Manager (PBM) die Kosten für selbst verabreichte Arzneimittel rückvergütet. Mindestens sechs verschiedene Parteien sind beteiligt, bevor ein Patient ein Medikament erhält oder die Auslagen erstattet bekommt. Mehrere Kostenträger und Anbieternetzwerke im US-Gesundheitssystem führen zu potenziell doppelten Verfahren und Verwaltungskosten. Sie tragen zu den hohen und weiterhin steigenden Kosten des Gesundheitswesens in den USA bei.

Dazu kommen falsche Anreize für Dienstleister, die nicht nach Qualität und Ergebnis, sondern nach Zeitaufwand vergütet werden, sowie die steigende Nachfrage durch eine immer älter werdende Bevölkerung. Eine weitere Herausforderung ist der hohe Aufwand für die Entwicklung neuer Medikamente. Ein aktuelles Beispiel ist das 475.000 US-Dollar-Medikament von Novartis, Kymriah, das zur Behandlung von CAR-T, einer Form von Leukämie bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt wird. Trotz hoher Arzneimittelpreise sinken die Renditen für Forschung und Entwicklung (F&E) weiter. Deloitte berichtete letztes Jahr, dass die F&E-Renditen von großen Biopharma-Unternehmen auf den niedrigsten Stand seit neun Jahren gesunken sind.

Effektivere Strukturen machen Gesundheitsversorgung für Investoren interessant
Für Investoren sind in diesem Umfeld solche Unternehmen interessant, die Lösungen für die nachhaltige Senkung der Gesundheitskosten sowie den besseren Zugang und die Erschwinglichkeit von Gesundheitsversorgung entwickeln. Um die galoppierenden Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen, arbeiten einige Pharmaunternehmen mit unterschiedlichen Rationalisierungsmodellen der Wertschöpfungskette.

Hier einige Bespiele:

*Fusionen von Einzelhandelsapotheken oder PBMs
Die Kostenträger des amerikanischen Systems, die MCOs, integrieren immer häufiger die Kosten für medizinische Behandlungen mit denen für Arzneimittel, weil Arbeitgeber die gesamten Gesundheitsausgaben ohnehin als einen Posten sehen. In der Vergangenheit waren die MCOs an einer Reihe Unternehmenszusammenschlüssen im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar beteiligt. In den vergangenen zehn Jahren haben die neu entstandenen Unternehmen einen durchschnittlichen Cash Flow Return on Investment (CFROI) von 20% erzielt – doppelt so hoch, wie in der gesamten Gesundheitsbranche.

*Pharmabranche mit eigenen Arztzentren und Apotheken
UnitedHealth, das mit 46 Millionen Mitgliedern größte und börsennotierte MCO in den USA, bündelte bereits 2011 seine Krankenversicherungs- und Apothekenleistungen und setzte damit den Trend zur vertikalen Integration in Gang. Diese zukunftsorientierte Strategie hat sich in einer starken Aktienkursentwicklung mit einer Gesamtrendite von mehr 95% in einem Zeitraum von drei Jahren niedergeschlagen und damit die Rendite des MSCI World Index von rund 40% deutlich übertroffen. Dazu unterhalten beispielsweise UnitedHealth oder Humana eigene Arztpraxen oder Praxiszentren, um Ärzten Fahrtkosten zu ersparen und Synergien zu nutzen. Andere Pharmaunternehmen betreiben eigene Apotheken und können so Patienten mit einfacheren Untersuchungen oder Tests kostengünstiger versorgen als Kliniken oder Praxen.

Mit Life Science Innovation ermöglichen
Neben den Unternehmen, die beim Strukturwandel des US-Gesundheitssektors an der Spitze stehen, sind auch die Hersteller von Life-Science- und Biopharma-Unternehmen im Fokus von Investoren. Anbieter in diesem Bereich steigern mit ihren Produkten und Dienstleistungen die Produktivität der Pharmaindustrie in Forschung und Entwicklung sowie in der Fertigung und bei Labortests. Das Medikament Kymriah, die CAR-T-Leukämietherapie von Novartis, wurde beispielsweise durch das Produkt CTS (Cell Therapy Systems) von Thermo Fisher ermöglicht und unterstützt.

Thermo Fisher Scientific ist daher ein gutes Beispiel für die Anlagechancen in diesem Teilsektor: Der Life Science-Anbieter mit einem Jahresumsatz von 24 Mrd. US-Dollar hatte in den vergangen zehn Jahren eine CFROI zwischen 18 und 32%. Zum Vergleich der CFROI des Wettbewerbs lag im gleichen Zeitraum zwischen 11 und 16%. Der Aktienkurs von Thermo Fisher ist in den letzten drei Jahren um mehr als 85% gestiegen – das ist das Doppelte des MSCI World.

Ein weiterer interessanter Teilsektor der Gesundheitsbranche sind Auftragsforschungsunternehmen (Contract Research Organisations, CROs): Sie führen klinische Studien durch, bei denen sie meist Patienten, bei denen andere Therapien versagt haben, potenziell lebensrettende Medikamente zur Verfügung stellen. PRA Health Sciences ist eine führende CRO und Eigentümer von Symphony Health, dem weltweit zweitgrößten Unternehmen für Gesundheitsdaten. Die Daten- und Analysefähigkeiten von PRA bei der Patientenrekrutierung tragen dazu bei, die Kosten für die Medikamentenentwicklung zu senken und Medikamente zugleich schneller auf den Markt zu bringen. Das Unternehmen erzielte seit 2012 einen jährlichen CFROI zwischen 27 und 62%, verglichen mit 12 bis 17% der Mitbewerber.

Fazit
Um die Gesundheitsversorgung in den USA – aber auch weltweit – für alle langfristig nachhaltig, bezahlbarer und effizienter zu gestalten, arbeiten innovative Unternehmen daran, komplexe Prozesse zu vereinfachen. Sie entwickeln Lösungen, damit Patienten leichter die Behandlung erhalten, die sie benötigen. Die gute Nachricht für Investoren: Viele dieser Anbieter erzielen gleichzeitig attraktive Renditen.

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*) Hendrik-Jan Boer ist Head of Sustainable & Impact Equity Investing bei NN Investment Partners.